I. Ausgangslage
Die Landesregierung hat einen Gesetzentwurf zum 2. Bildungssicherungsgesetz vorgelegt, um auf die pandemiebedingten Umstände im laufenden Schuljahr zu reagieren und notwendige Anpassungen beim Schulgesetz und dem Lehrerausbildungsgesetz vorzunehmen. In der Anhörung des Ausschusses für Schule und Bildung zum Gesetzentwurf wurde von verschiedener Seite Kritik geäußert, dass die vorgeschlagenen Anpassungen nicht ausreichend sind. Insbesondere das Festhalten an zentralen Prüfungen in der Jahrgangstufe 10 (ZP10) wurde kritisiert. Zentral gestellte Prüfungsaufgaben berücksichtigen nicht, dass der tatsächlich erteilte Unterricht sowohl in Präsenz wie auch in Distanz in Quantität und Qualität sehr ungleich erfolgt ist.
Entgegen der Ankündigung aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, dass „in der Regel Gesetze jedenfalls in der Regel nie so aus dem Verfahren heraus(kommen), wie sie hineingegangen sind“ und der geäußerten Hoffnung, dass Erkenntnisse aus der Anhörung in das Bildungssicherungsgesetz einfließen, sind die Koalitionsfraktionen im Schulausschuss bei einer unveränderten Verabschiedung geblieben. Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen haben deshalb einen Änderungsantrag zum Gesetz eingebracht.
Neben den notwendigen Änderungen am Gesetzentwurf gibt es aber weitere Handlungserfordernisse, um Bildung in Pandemiezeiten zu sichern. Die Verweildauer in der Schuleingangsphase dürfte für viele Kinder länger als vor Corona nötig sein. Die Übergänge von KiTa zur Schule, von der Primar- in die Sekundarstufe müssen noch sorgsamer vorbereitet und gestaltet werden.
Für noch ausstehende Klassenarbeiten steht nicht ausreichend Vorbereitungszeit zur Verfügung. Viele Schülerinnen und Schüler benötigen ganzheitliche Unterstützung und gezielte Förderangebote über den Ausgleich von Lerndefiziten hinaus. Um die gewachsenen Herausforderungen bewältigen zu können, brauchen die Schulen mehr und verlässliche Ressourcen,
hierzu müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden. Flexible Lösungen und Unterstützung in personeller und räumlicher Hinsicht müssen gewährleistet und der Infektionsschutz verbessert werden. Eine ganzheitliche und kindgerechte Teststrategie muss hierzu implementiert werden.
II. Unterstützung für Schulen jetzt schaffen
Zur längeren Verweildauer in der Schuleingangsphase bzw. der nicht absehbaren Zahl von Wiederholungen der Klasse 1 kommen die Schwierigkeiten, die sich beim Übergang von Kita zur Schule ergeben, weil durch Kita-Schließungen der Übergang nicht so ablaufen kann wie vor der Pandemie.
Grundschulen werden zum Schuljahr 2021/2022 enorme Herausforderungen in Bezug auf die Eingangsklassen zu meistern haben. Viele Kinder werden zum Zeitpunkt ihrer Einschulung kaum oder gar keine optimale vorschulische Vorbereitung in den Kindertageseinrichtungen erfahren haben. Auch sonst steht zu befürchten, dass die Einschulungsvorbereitungen in noch größerem Maße unterschiedlich stattgefunden haben werden, als es vor Pandemiezeiten der Fall war.
Gleichzeitig ist bereits jetzt absehbar, dass mehr Kinder als sonst üblich das 1. Schuljahr wiederholen werden. Vor allem die Einschätzung vieler Eltern und Lehrkräfte, dass pandemiebedingt verpasste Lerninhalte anders nicht nachgeholt werden können, ist groß.
Grundschulen sind aktuell also mit der Vorbereitung auf einen Einschulungsjahrgang konfrontiert, der in Bezug auf die individuellen Voraussetzungen der Kinder die vorangegangenen Jahrgänge an Heterogenität weit übertreffen wird, und sich gleichzeitig aus deutlich mehr Grundschülerinnen und Grundschülern zusammensetzen wird, als in regulären Jahrgängen. Vor allem brauchen Schulen gerade in den Eingangsklassen mehr Ressourcen. Auch bei den Übergängen von der Grundschule zu den weiterführenden Schulen sind kleinere Lerngruppen pädagogisch geboten. Um Lerndefizite ausgleichen zu können, sind zusätzliche Angebote erforderlich.
Zudem gestalten sich die Schuleingangsuntersuchungen durch die Überlastungen der Gesundheitsämter in NRW unterschiedlich. Auch in Pandemiezeiten muss sichergestellt sein, dass vom Kinde aus gedacht wird und die Eltern hierfür ihre gesetzlichen Möglichkeiten für ein schul- oder auch fachärztliches Gutachten und eine sozialpädiatrische Einzelfallbeurteilung unbürokratisch nutzen können. Dadurch kann ein zusätzlicher Betreuungsbedarf vor Ort entstehen. Hierfür hat die Landesregierung nur unzureichend Vorsorge getroffen, da zum kommenden Kita-Jahr der Zuwachs an Betreuungsplätzen historisch niedrige Ausmaße erreicht. Darum muss das Land zusätzliche Ressourcen sowohl im Bereich der frühkindlichen Bildung als auch im Schulbereich für eine Verstärkung der individuellen Förderung einsetzen.
Damit die Grundschullehrkräfte sich den unterrichtlichen sowie sozialen und emotionalen Bedürfnissen der Grundschulkinder widmen können, müssen in der Grundschule die Prioritäten richtig gesetzt werden und die Implementation der Lehrpläne aufgeschoben werden. Die Kinder brauchen jetzt die volle Aufmerksamkeit der Lehrkräfte und nicht neu zu implementierende Lernpläne.
Für die Durchführung von Distanz- und Wechselunterricht sind zusätzliche Förderangebote und Tutorenprogramme hilfreich, um Lehrkräfte zu unterstützen und wirklich alle Schülerinnen und Schüler zu erreichen. Hierzu bedarf es gezielter Lernstandserfassungen und Empfehlungen für die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler, damit signifikante Lerndefizite nicht verschleppt werden und die Schullaufbahn beeinträchtigen. Den Eltern muss eine Garantie auf Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern auch im Distanzunterricht gegeben werden. Sie erwarten auch zu Recht eine Sicherstellung der Qualität in der Notbetreuung.
Die Durchführung von Klassenarbeiten ist angesichts der realen Unterrichtsbedingungen eine zusätzliche Belastung und ein großer Druck für alle Beteiligten, sowohl für die Lehrkräfte, die neben dem Fachunterricht Schülerinnen und Schüler testen, sowie die Schülerinnen und Schüler. Schriftliche Leistungsüberprüfungen sollten ausgesetzt werden können bis die Bedingungen so sind, dass sich alle Schülerinnen und Schüler ausreichend darauf vorbereiten können und die Klassenarbeiten auch die Aussagekraft haben, die ihnen zukommen soll. Bis dahin sollen Leistungsbeurteilungen auf der sogenannten sonstigen Mitarbeit fußen.
Eine personelle Unterstützung ist durch zivilgesellschaftliche Organisationen z. B. wie Teach First oder Tutorenprogramme Balu und Du sowie eine großangelegte Förderoffensive möglich, in der fachlich qualifizierter Nachhilfeunterricht auf Grundlage eines individuellen Förderplans erteilt wird. Die personelle Unterstützung wird vor allem durch die Aktivierung von Lehramtsstudierenden gewährleistet. Hierzu ist dringend eine Vereinbarung mit den Hochschulen zu treffen, die ihrerseits ihr Interesse daran bekundet haben.
Zur Verbesserung des Infektionsschutzes ist eine Wiederaufnahme des Förderprogramms für Luftfilteranlagen geboten. Gerade die neuen Forschungsergebnisse zu Aerosolen in Innenräumen zeigen die Notwendigkeit einer unterstützenden technischen Lüftung. Darüber bietet die Nutzung außerschulischer Lernorte im Außenbereich eine zusätzliche Möglichkeit Lerninhalte praxisnah außerhalb des Klassenraums zu erlernen und den Lernraum Schule zu entlasten.
Für die Bildung kleinerer Lerngruppen brauchen Schulen mehr räumliche Möglichkeiten. Hier sollten zur Zeit auch nicht genutzte Räume z.B. von Stadtbibliotheken, Bürgerhäuser, Festhallen, Räume in der Gastronomie aktiviert werden.
Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte erwarten auch endlich eine wirksame Teststrategie. Diese muss nicht nur ausreichende Tests, sondern vor allem schultaugliche und kindergerechte Tests für Kinder umfassen.
Die Durchführung der notwendigen Tests kostet wertvolle Lernzeit.
Eine unterstützende Testteamstruktur muss zügig z.B. mit den Hilfsdiensten etabliert werden. Schülerinnen und Schüler, die aus unterschiedlichen Gründen keine Tests machen, kann nicht per se ein Distanzunterricht verweigert werden. Auch dazu benötigen die Schulen zusätzliche Unterstützung, damit eine Lernbegleitung stattfinden kann.
Das Programm Extra-Zeit des Schulministeriums erweist sich als zu bürokratisch in der Umsetzung und als zu eng gefasst, der von Trägern der Maßnahme geforderte Eigenanteil stellt eine weitere Hürde dar. Die Förderrichtlinien müssen unverzüglich entbürokratisiert und flexibilisiert werden, damit der Programmansatz so schnell wie möglich greifen kann und nicht wieder versandet.
III. Der Landtag stellt fest:
- Schulen brauchen eine Förderoffensive und personelle Unterstützung für die gestiegenen Anforderungen, besonders bei den Übergängen und zum Ausgleich von Lerndefiziten
- Schulen brauchen mehr räumliche Kapazitäten, um kleinere Lerngruppen bilden zu können
- Schulen brauchen flexiblere Möglichkeiten z.B. bei der Aussetzung von Klassenarbeiten
- Das Land muss die Förderung von Luftfilteranlagen fortsetzen
- Schulen erwarten eine klare Teststrategie mit ausreichenden, schultauglichen Test und eine Unterstützung zur Durchführung
- Das Land muss ein Recht auf Kontakt im Distanzunterricht garantieren und die Qualität in der Notbetreuung sicherstellen.
- Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- Umgehend Verhandlungen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Hochschulen aufzunehmen, um eine Förderoffensive zu starten und personelle Unterstützung der Schulen zu ermöglichen.
- Umgehend Verhandlungen mit den Kommunalen Spitzenverbänden aufzunehmen über die Erschließung zusätzlicher räumlicher Ressourcen für Schulen.
- Flexiblere Bedingungen für das Unterrichtsgeschehen und Leistungsbewertungen – wie die Aussetzung von Klassenarbeiten – per Verordnung zu schaffen.
- Die Implementierung der Grundschullehrpläne auszusetzen.
- Die Förderung von Luftfilteranlagen in Schulen wiederaufzunehmen.
- Umgehend eine verlässliche Teststrategie für Schulen aufzulegen, die ausreichend schultaugliche Tests und ein Unterstützung der Schulen für deren Durchführung beinhaltet.
- Sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler eine Garantie auf Kontakt im Distanzunterricht erhalten.
- Sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht getestet wurden, Distanzunterricht erhalten.
- Die Qualität in der Notbetreuung zu sichern.
- Das Programm Extra-Zeit zu entbürokratisieren, zu flexibilisieren und auf die Erbringung von Trägeranteilen zu verzichten.