I. Hintergrund
Mädchen und junge Frauen in Nordrhein-Westfalen waren noch nie so gut ausgebildet wie heute. Junge Frauen möchten wirtschaftlich unabhängig sein, ihre Fähigkeiten einbringen und Verantwortung übernehmen. Dabei kommt der Berufswahl eine wesentliche Bedeutung zu.
Doch bis heute haben Mädchen und Jungen ein sehr unterschiedliches Berufswahlverhalten. Noch immer entscheiden sich weit weniger Mädchen für ein Studium oder eine Ausbildung in einem technischen Beruf als ihre männlichen Altersgenossen. Mädchen entscheiden sich häufig für eine Ausbildung im Gesundheits- oder Dienstleistungssektor, während Jungen vorwiegend Berufe im handwerklich-technischen Bereich anstreben. Dabei liegen insbesondere bei Mädchen und jungen Frauen Potentiale, die bislang zu wenig genutzt werden. Junge Frauen in Deutschland verfügen über eine sehr gute Schulbildung und haben auch in technischen und naturwissenschaftlichen Fächern gute Note. Trotzdem schöpfen sie ihre Berufsmöglichkeiten nicht voll aus. Bei etwa 400 anerkannten Ausbildungsberufen beschränken sich mehr als die Hälfte der Mädchen auf nur zehn verschiedenen Ausbildungsberufen im dualen System, unter den kein einziger aus dem technisch-naturwissenschaftlichen Bereich ist. Dabei fehlt den Betrieben gerade in technischen und techniknahen Bereichen qualifizierter Nachwuchs.
Ähnliches gilt für technische Studiengänge. Weniger als ein Viertel der Studienanfängerinnen und -anfänger im ingenieurwissenschaftlichen Bereich sind weiblich. Noch deutlicher ist der Unterschied im Fach Informatik, wo der Männeranteil noch immer über 80% liegt, während in naturwissenschaftlichen Bereichen wie Pharmazie mittlerweile die Mehrheit der Studierenden weiblich ist. Das sog. MINT-Problem ist an den Hochschulen also in erster Linie ein IT- und Technikproblem. Hier sollen Programme wie „Komm, mach MINT“ junge Frauen insbesondere für einen Studiengang in diesen Bereichen interessieren.
Dies gilt selbstverständlich auch für alle Bereiche der Jugendarbeit. Offene Jugendarbeit, verbandliche Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit tragen zur Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung im besonderen Maße bei. Deshalb begrüßen wir geschlechterdifferenzierte und geschlechtersensible Angebote, die auch der Berufswahlorientierung dienen.
Das Berufswahlverhalten junger Menschen orientiert sich noch immer stark an alten Rollenbildern und stereotypen Zuschreibungen der jeweiligen Berufe. Mit diesen Zuschreibungen geht auch einher, dass die sogenannten typische Frauenberufe, in der Regel deutlich schlechter bezahlt werden und geringere Aufstiegschancen bieten als die klassischen Männerberufe. Etwas anders stellt sich die Situation der Mädchen mit Migrationshintergrund dar. Obwohl sie in ihren Berufswünschen eine größere Offenheit für verschiedene Berufsfelder aufweisen als Mädchen ohne Migrationshintergrund, verengt sich das Spektrum der gewählten Berufe je näher der Zeitpunkt der Ausbildung rückt. Forschungen zeigen, dass hier weniger die individuellen Wünsche als vielmehr strukturelle Segregation vorliegt. Hier gilt es, Unternehmen zu sensibilisieren und die interkulturelle Öffnung der Verwaltung voranzutreiben.
Seit dem Jahr 2001 versucht der Girls Day dieser noch sehr stark von Geschlechterstereotypen geprägten Berufswahl entgegen zu wirken. Er richtet sich an Mädchen der Klassen 5 bis 10 und wird in NRW durch die regionalen Arbeitskreise koordiniert. Der Girls Day soll Mädchen die Möglichkeit geben, sich fernab von Rollenklischees beruflich zu orientieren. Mädchen sollen vor allem in technische-handwerkliche Bereiche hineinschnuppern und ermutigt werden, sich für eine Ausbildung oder ein Studium in diesem Bereich zu entscheiden. Die Beliebtheit dieser Veranstaltungsform spiegelt sich auch in den Evaluationen wider. So gaben im Jahr 2013 95 Prozent der Mädchen an, der Aktionstag habe ihnen sehr gut oder gut gefallen. Darüber hinaus können sich 36 Prozent der teilnehmenden Mädchen durchaus vorstellen, an einem der vorgestellten Betriebe, ein Praktikum oder eine Ausbildung zu absolvieren.
Schwerpunkt des Mädchen-Zukunftstags sind Berufe, in denen weniger als 40% der Auszubildenden oder Beschäftigten weiblich sind. Mehr als 1,3 Millionen Mädchen haben seit Beginn der Initiative bundesweit am Girls Day teilgenommen und Eindrücke in Werkstätten, Laboren und Büros gewinnen können. Auch der Landtag beteiligt sich in jedem Jahr mit einer zentralen Aktion am Girls Day. Aktuell liegt der Frauenanteil im Landtag von Nordrhein-Westfalen bei knapp 30%. Die Abgeordnetentätigkeit gehört damit zu den Berufsbereichen, in denen Frauen bis heute unterrepräsentiert sind. Die Erhöhung des Frauenanteils auch im parlamentarischen Bereich ist ein wichtiges Anliegen rot-grüner Frauen- und Geschlechterpolitik.
Darüber hinaus profitieren auch die Unternehmen und Betriebe. Durch die breite Öffentlichkeitswirkung des Girls Day und die aktive Teilnahme an der Initiative werden Unternehmen und Betriebe stärker auf die Potentiale von jungen Frauen aufmerksam gemacht. Die Überwindung alter Rollenklischees und die Erschließung neuer Perspektiven für Mädchen und junge Frauen können nur gelingen, wenn auch die Arbeitgeberseite Verantwortung übernimmt und Frauen aktiv fördert.
Die Berufswahl von Mädchen entscheidet sich aber nicht an einem Tag. Deshalb hat die rot-grüne Landesregierung eine Reihe von Maßnahmen aufgelegt, um junge Menschen bei der Erschließung beruflicher Perspektiven zu unterstützen.
So fördert das Land beispielsweise die 16 Kompetenzzentren Frau und Beruf, deren Aufgabe unter anderem im Engagement für eine breite berufliche Orientierung und Ausbildung von Mädchen besteht. Darüber hinaus ist es Ziel der Kompetenzzentren, die Frauenerwerbsquote zu steigern, die beruflichen Chancen und die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu verbessern und allgemein positive Beiträge zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu leisten. Der Grundstein zur Erreichung dieser Ziele wird bereits mit der Berufswahl gelegt. Deshalb gilt es, die geschlechtersensible Berufswahlorientierung weiter zu stärken und die Perspektiven von Mädchen und jungen Frauen zu erweitern.
Mit dem Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule – Beruf in NRW“ hat die Landesregierung darüber hinaus ein neues Übergangssystem entwickelt, dass den Start in die berufliche Ausbildung erfolgreicher als bisher ermöglichen soll. Auch hier gilt es, die Geschlechterperspektive noch intensiver in den Blick zu nehmen. Die gezielte Förderung von Mädchen und jungen Frauen trägt dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken und dem Fachkräftemangel gezielt entgegen zu wirken. Zur geschlechtersensiblen und systematischen Berufs-und Studienwahlentscheidung gehört die Entwicklung verschiedener Standardelementen, durch die der Entscheidungsprozess von der Jahrgangsstufe 8 an bis zur anknüpfenden Berufsorientierung definiert wird. Besonders der Bereich der Potenzialanalyse bietet eine gute Möglichkeit für die gendersensible Herausstellung der individuellen Potentiale. Mit dem Projekt „Geschlechtersensibilität erhöhen – Qualität im Übergang Schule-Beruf sichern: ein Beratungs- und Qualifizierungsprozess“, welches begleitend zur Umsetzung des Landesvorhabens „Kein Abschluss ohne Anschluss – Neues Übergangssystem Schule-Beruf NRW“ des Kompetenzzentrum Technik-Diversitiy-Chancengleichheit e.V. (Bielefeld) vorangetrieben wird, leistet die Landesregierung einen Beitrag dafür, die Berufsorientierung von Mädchen gendergerechter zu gestalten. Die Neugestaltung des Übergangs Schule – Beruf ist damit ein wichtiges Element präventiver Jugend-, Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und wird landesweit ausgebaut. Insbesondere gilt es unter diesen Aspekten auch benachteiligte Gruppen, wie junge Mütter in den Blick zu nehmen. Maßnahmen wie die Teilzeitausbildung gilt es weiterzuentwickeln.
Unter dem Leitmotiv „Prävention statt Nachsorge“ soll bis zum Jahr 2017/18 ein flächendeckendes, systematisches und gendersensibles Berufs-und Studienorientierungsangebot für alle Jugendliche der Sekundarstufen I und II eingeführt werden. Dieses neue System soll den Jugendlichen eine Möglichkeit der reflektierten Auseinandersetzung mit verschiedensten Berufs-und Studienwahlmöglichkeiten anbieten und ihren somit eine solide Grundlage für eine wichtige Lebensentscheidung zur Verfügung stellen.
Aber auch den Agenturen für Arbeit kommt eine große Verantwortung für eine geschlechtersensible Berufswahlorientierung zu. Mit Blick auf das unterschiedliche Berufswahlverhalten von Mädchen und Jungen gilt es hier die Instrumente zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Zu oft sind auch die Berufsinformationszentren und die dortigen Berufsberatungen noch in alten Geschlechterbildern verhaftet. Diese gilt es aufzubrechen, um Mädchen und Jungen gleichermaßen die gesamte Bandbreite der Berufsmöglichkeiten zugänglich zu machen.
II. Der Landtag stellt fest:
- Mädchen und junge Frauen beschränken sich nach wie vor in ihrer Berufswahl auf ein sehr eingeschränktes Berufsspektrum.
- In Rahmen von „Kein Abschluss ohne Anschluss“ wird eine nachhaltige, gendersensible und systematische Berufs- und Studienorientierung flächendeckend eingeführt. Dies ermöglicht insbesondere Mädchen und jungen Frauen, auch naturwissenschaftliche und technische Beruf kennenzulernen und eine reflektierte Berufs- und Studienwahlentscheidung zu treffen.
- Der Girls Day bietet Mädchen darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Perspektiven bei der Berufswahl zu erweitern und ihre vielfältigen Potentiale besser zu nutzen.
- Die 16 Kompetenzzentren Frau und Beruf in Nordrhein Westfalen leisten wichtige Arbeit für eine breite berufliche Orientierung, von der auch junge Frauen und Mädchen profitieren.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
- Bei der Ausgestaltung des Landesvorhaben „Kein Abschluss ohne Anschluss – Übergang Schule – Beruf in NRW“ die gendersensible Berufswahlorientierung und die Zielgruppe Mädchen besonders in den Blick zu nehmen. Die spezifischen Belange von Mädchen mit Migrationshintergrund müssen hierbei berücksichtigt werden.
- Sich auf Bundesebene für die flächendeckende Ausweitung von Gendertrainings für die Beschäftigten der Berufsberatung in den Arbeitsagenturen einzusetzen.
- im Rahmen des Ausbildungskonsenses NRW und bei ihren Kontakten mit Sozialpartnern und Kammern auf die Möglichkeiten einer verstärkten gendersensiblen Berufswahl aufmerksam zu machen.