Aussetzung wesentlicher Grundsätze des Vergaberechts durch die Landesregierung

Kleine Anfrage von Johannes Remmel

Wie der Landesrechnungshof (LRH) in seinem „Beratungsbericht gemäß § 88 Abs. 2 Landeshaushaltsordnung zu vergaberechtlichen Maßnahmen während der Corona-Pandemie“ (http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV17-5080.pdf) vom 27.04.2021 darlegt, erließ das Finanzministerium NRW (FM) nach vorheriger Anhörung des LRH am 27.04.2020 den Runderlass „Beschleunigung von Investitionen durch die Erhöhung vergaberechtlicher Wertgrenzen für die Beschaffung von Bauleistungen“ mit einer Befristung bis zum 31.12.2020. Trotz der Bedenken des LRH wurde die Gültigkeit des Erlasses per Änderungserlass vom 07.12.2020 bis zum 31.12.2021 verlängert.

Der Runderlass vom 27.04.2020 wurde dann am 20.03.2021 ersetzt durch einen erweiterten Runderlass „Beschleunigung von Investitionen durch die Erhöhung vergaberechtlicher Wertgrenzen für die Beschaffung von Leistungen“, der den Anwendungsbereich für Vergaben erheblich erweiterte und Wertgrenzen erneut nach oben verschob. Der LRH kritisierte, dass auch dieser Erlass weit über die vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) am 19.03.2020 empfohlenen Vereinfachungen für Beschaffungen hinausgehe und „wesentliche Grundsätze des Vergaberechts [aussetze], wenn regelmäßig erforderliche Verfahrensschritte für Vergaben unterhalb der Wertgrenzen nicht durchzuführen seien“ (vgl. S. 12). Des Weiteren fehlten ausreichende Begründungen sowohl für die weitere Liberalisierung des Vergaberechts, für die Erweiterung des Anwendungsbereiches des Erlasses als auch für eine womöglich dauerhafte Anwendung der neuen Regelungen. Dies kritisierte der LRH insbesondere vor dem Hintergrund, dass die angekündigte Evaluation des Ursprungserlasses vom 27.04.2020 nicht stattgefunden habe, so dass keine Erkenntnisse über die Wirkungsweise der bisherigen, bereits gelockerten Regelungen vorliegen, die eine weitere Lockerung derselben begründen könnten (vgl. S. 13).

Der LRH sah sich überdies genötigt, der Landesregierung in Erinnerung zu rufen, dass das Vergaberecht als Instrument für die Wirtschaftsförderung ungeeignet ist. Es verfolge die Zwecke der Korruptionsprävention und eines wirtschaftlichen Umgangs mit öffentlichen Mitteln und solle möglichst vielen Anbietern Zugang zu öffentlichen Aufträgen gewähren. Gleichzeitig böten die vom BMWi empfohlenen Erleichterungen ausreichend Spielraum, um auch unter den besonderen Umständen der Pandemie flexibel Beschaffungen tätigen zu können. Für die Wirtschaftsförderung zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie stünden der Landesregierung dagegen die Wirtschaftshilfen zur Verfügung, die speziell zu diesem Zwecke geschaffen worden seien (vgl. S. 13ff.).

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

  1. Wie begründet die Landesregierung die Ersetzung des Runderlasses vom 27.04.2020 durch den auf weitere Leistungen erheblich ausgeweiteten Runderlass „Beschleunigung von Investitionen durch die Erhöhung vergaberechtlicher Wertgrenzen für die Beschaffung von Leistungen“ vom 20.03.2021?
  2. Warum wurde nach Ablauf der ersten Gültigkeitsfrist und auch darüber hinaus keine Evaluation des Ursprungserlasses vom 27.04.2020 vorgenommen?
  3. Auf welcher Entscheidungsgrundlage wurde eine Ausweitung des Ursprungserlasses beschlossen und umgesetzt?
  4. Inwiefern teilt die Landesregierung die Kritik des Landesrechnungshofes, dass mit dem o.g. Runderlass vom 20.03.2021 „wesentliche Grundsätze des Vergaberechts ausgesetzt“ würden, insbesondere das Wettbewerbsgebot und der Grundsatz des gleichen Zugangs zu öffentlichen Leistungen?
  5. Inwiefern sieht die Landesregierung im Vergaberecht ein geeignetes Instrument zur Wirtschaftsförderung?