Assistenz im Krankenhaus für Menschen mit Behinderung sichern – Gesundheitliche Versorgung menschenrechtskonform gestalten

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I.         Ausgangslage:
Seit 2009 gilt die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) für Deutschland. Die Bundesrepublik verpflichtet sich damit, den Kerngedanken der Selbstbestimmung und Teilhabe in allen Bereichen des alltäglichen Lebens umzusetzen. Im Hinblick auf den Bereich Gesundheit geht es dabei um den Zugang zur gesundheitlichen Versorgung ohne Diskriminierung.
Artikel 25 UN-BRK verpflichtet die Vertragsstaaten, das Recht behinderter Menschen auf gleichen und diskriminierungsfreien Zugang zu allen allgemeinen Diensten des Gesundheitssystems zu sichern. So darf sich die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderung nicht von denen unterscheiden, die nicht behindert oder chronisch krank sind. Eine Kranken- hausbehandlung darf auf Grund einer Behinderung für den Einzelnen nicht teurer sein als dies für alle anderen der Fall ist. Darüber hinaus sind speziell auf die jeweiligen Beeinträchtigungen beziehungsweise Erkrankungen ausgerichtete Angebote zu garantieren. Diese Dienstleistungen müssen unentgeltlich bzw. zu erschwinglichen Konditionen angeboten werden. Wenn aber die Assistenz im Krankenhaus nicht abgesichert ist und die Assistenz aus der eigenen Tasche bezahlt werden muss, wird dieser Grundsatz in Frage gestellt. Ebenso müssen alle die gleichen Möglichkeiten erhalten, sich über die Schritte der Behandlung zu informieren, z.B. durch eine Kommunikationsassistenz.

Mitnahme von persönlichen Assistentinnen und Assistenten ist für viele Menschen notwendig für ihre Sicherheit und Unterstützung

Menschen, die dauerhaft von einem persönlichen Assistenten oder einer Assistentin im Alltag unterstützt werden oder die Eingliederungshilfe erhalten, benötigen diese Unterstützung in der Regel auch während eines Krankenhausaufenthaltes. Assistenz umfasst dabei nicht nur Handlungen, die der Mensch aufgrund seiner Behinderung nicht selbst durchführen kann, sondern beinhaltet auch eine psychosoziale Begleitung und Reflektion der Situation im Krankenhaus. Dies ist für viele Betroffenen wichtig, um die medizinische Versorgung überhaupt annehmen zu können. Wenn die Assistenz im Krankenhaus nicht vorhanden ist, kann es dazu kommen, dass Patientinnen und Patienten nicht ausreichend essen und trinken, wenn das Pflegepersonal keine Zeit hat, ihnen dies in der individuell erforderlichen Weise zu geben.
Menschen mit geistiger Behinderung benötigen über die Pflege hinaus auch Hilfen, die neue Situation und ihre Erkrankung und Behandlung einschätzen zu können. Hierbei sind sie auf vertraute Menschen (Mitarbeitende der EGH oder Angehörige) angewiesen. Diese vertrauten Menschen sind auch wichtig, um als „Dolmetscher*in“ für gegenseitiges Verständnis zu sorgen.
„Krankenhausaufenthalte sind für Menschen mit Behinderungen und insbesondere mit Demenz oft mühsam und auch für das Personal eine zusätzliche Belastung. Es gibt bereits gute Konzepte, wie Krankenhausstationen besetzt sein müssten, um den Bedürfnissen dieser Patientengruppe gerecht zu werden. So treten auch für die Personen Probleme auf, deren Assistenzanspruch per Gesetz eigentlich geregelt ist.“ (Nationale Aktionsplan Deutschlands von 2011)
Eine Befragung zur umfassenden Assistenz im Krankenhaus durch die Interessengemeinschaft „Selbstbestimmt Leben“ aus 2015 hat ergeben, dass die Versorgung von behinderten Menschen, die Assistenzbedarf haben und/oder Eingliederungshilfe erhalten und auf gesundheitliche Behandlungen im Krankenhaus oder einer Rehabilitation angewiesen sind, oft unzureichend ist. Sie ist gekennzeichnet durch fehlende Kommunikationsmöglichkeiten und Ängsten auf Seiten der Patientinnen und Patienten sowie einer Überforderung des Personals mit dieser Situation.

Assistenzpflegebedarfsgesetz ist seit 2009 in Kraft – der Großteil der Betroffenen erhält allerdings keine Finanzierung für ihre Assistenz

Das seit 2009 in Kraft befindliche und 2012 noch mal erweiterte Assistenzpflegebedarfsgesetz sieht zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vor, dass die Träger der Sozialhilfe die Kosten für eine persönliche Assistenz während eines akutstationären Krankenhausaufenthalts zu übernehmen haben. Das gilt nur, wenn sie ihre Assistenz im sog. Arbeitgebermodell“ selbst organisiert, nicht, wenn sie einen ambulanten Pflegedienstbeauftragt haben.
Ziel ist es den betroffenen behinderten Arbeitgeber*innen eine Kontinuität ihrer angestellten Assistenzkräfte zu sichern und Kündigungen zu ersparen, sobald eine Krankenhausbehandlung vorliegt. Ihre Assistent*innen können mit ihnen im Krankenhaus aufgenommen werden. Die Kosten trägt das Krankenhaus.
Dies führt dazu, dass zwar Menschen mit Behinderung als Arbeitgeber*innen ihre Assistenzperson ins Krankenhaus mitnehmen können, aber völlig gleich betroffene Personen, die die Assistenz als Sachleistung, zum Beispiel durch einen ambulanten Dienst erhalten, diese Möglichkeit nicht haben. Dabei beträgt der Anteil derer, die ihre Assistenz selbst organisieren gerade mal 6 Prozent. Für den Großteil der Betroffenen ist daher keine gesicherte Grundlage zur Finanzierung ihrer notwendigen Assistenz gegeben.
Problematisch wird die Lage im Krankenhaus besonders für Menschen, die keinen Assistenzvertrag abschließen können oder dürfen, jedoch unbedingt mit Assistenz ins Krankenhaus gehen müssten. Personen, die in einer stationären Einrichtung leben und so ihre Assistenz oder Unterstützung nicht selbst organisieren, haben besondere Schwierigkeiten, die erforderliche Unterstützung im Krankenhaus zu erhalten. Hier bedarf es finanzieller und gesetzlicher Regelungen.

Versorgung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Krankenhaus

In Zuschriften kommunaler Behindertenbeauftragten oder von Trägern aus der Behindertenhilfe wird insbesondere die Situation der Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen problematisiert. So stellt für Angehörige und Akteure in der Behindertenhilfe die oft fehlende Assistenz ein großes Problem dar. Nach Aussagen betroffener Angehöriger würden die Krankenhäuser teilweise eine Begleitung verlangen, weil diese nicht in der Lage und zum Teil auch überfordert seien, die notwendige Unterstützung und Behandlung der behinderten Menschen zu leisten. Angehörige alleine sind – soweit noch vorhanden – oft überfordert, dies alleine abzudecken.
Ohne Unterstützung kann es seitens der Betroffenen zur Verweigerung medizinisch notwendiger Behandlungen kommen, weil die Menschen mit kognitiven Einschränkungen nicht verstehen, was mit ihnen geschieht.
Zur Lösung dieser Alltagsproblematik fordert u.a. der Beirat für Behindertenfragen der Stadt Bielefeld eine kostendeckende Finanzierung der Assistenz von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus.

II.        Gesetzliche Regelung zur Finanzierung der notwendigen Assistenz im Kranken- haus für alle Menschen mit Behinderung

Betroffenenverbände wie die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland – ISL e.V. haben auf den problematischen Sachverhalt der fehlenden Finanzierung der Assistenz im Krankenhaus bereits mehrfach aufmerksam gemacht. 2015 wurde vom Bundesverband ein Rechtgutachten vorgelegt, deren Erstellung auch aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert wurde. Darin wird u.a. festgestellt:
„In der Gesamtschau besteht beim Aufenthalt im Krankenhaus kein Anspruch auf zusätzliche Pflegeleistungen, die nicht Leistungsbestandteil der krankenhäuslichen Krankenpflege sind. Ausnahme bildet das vierwöchig weiter zu leistende Pflegegeld der sozialen Pflegeversicherung. Nur für Menschen, die Pflege über das Assistenzmodell/Arbeitgebermodell erhalten bestehen die Ansprüche seit den Änderungen in SGB V, XI und XII 2009 fort. Sie erhalten seit 2012 auch Leistungen beim Aufenthalt in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung nach § 107 Abs. 2 SGB V. […]“.
https://www.isl-ev.de/index.php/aktuelles/projekte/assistenz-im-krankenhaus
Gefordert wird daher; die Zugangsbarrieren in der Gesundheitsversorgung systematisch ab- zubauen und die Einbeziehung erforderlicher nichtmedizinischer personeller Unterstützung (also z.B. Assistenzpersonen) in allen Bereichen der medizinischen Rehabilitation zu gewähr- leisten. Hierzu werden u.a. diverse Änderungen in den Sozialgesetzbüchern V, XI und XII vor- geschlagen.
Auch die Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Schnittstellenproblematik zwischen SGB V und SGB XI hat bereit 2014 mehrere Lösungsmöglichkeiten für eine Verbesserung der Versorgungslage vorgeschlagen. Schwerpunkt liegt dabei auf Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, so dass nicht alle diese Vorschläge gleich wirksam für alle Menschen mit Behinderung wären.
Die Bundestagsfraktion Bundnis90/Die GRÜNEN hat nochmals in der Plenarsitzung des Bundestags am 8. Mai 2018 in einer parlamentarischen Anfrage (Drucksache 19/2083, Frage 100) auf die Ungleichbehandlung bei der Finanzierung der Assistenz im Krankenhaus hingewiesen. Ein entsprechender Antrag auf Erweiterung des Rechtsanspruches wurde bislang im Bundestag abgelehnt (Drucksache 18/3155).
Die Interessenvertretung selbstbestimmt Leben ISL e.V. schlägt vor, § 11, Absatz 3 (SGB V) dahingehend zu ändern, dass sich die Finanzierung der Assistenz nicht nur auf das Arbeitgeber*innen-Modell beschränkt. Entsprechend wären im SGB XI und XII die Regelungen zur Kostenübernahme dem Arbeitgeber*innen-Modell anzugleichen.
Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen – FbJJ schlägt seinerseits zur Umsetzung des Art: 25 der UN-BRK in Bezug auf die Finanzierung der Assistenz im Krankenhaus folgende Regelung vor, die §§ 63b Abs. 3 und Abs. 4 S. 1 SGB XII ersatzlos streichen sowie § 11 Abs. 3 SGB V wie folgt zu fassen:
„Bei stationärer Behandlung umfassen die Leistungen auch die aus behinderungsbedingten Gründen notwendige Mitaufnahme einer Begleitperson des Versicherten oder bei stationärer Behandlung in einem Krankenhaus nach § 108 oder einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung nach § 107 Absatz 2 die Mitaufnahme einer Pflegekraft, soweit die Pflege der Versicherten durch im Teilhabeplan nach § 19 SGB IX als notwendig festgestellte Assistenzleistungen nach § 78 SGB IX als Komplexleistung erbracht wird.
Ist bei stationärer Behandlung die Anwesenheit einer Begleitperson aus medizinischen Gründen notwendig, eine Mitaufnahme in die stationäre Einrichtung jedoch nicht möglich, kann die Unterbringung der Begleitperson auch außerhalb des Krankenhauses oder der Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung erfolgen. Die Krankenkasse bestimmt nach den medizinischen Erfordernissen des Einzelfalls Art und Dauer der Leistungen für eine Unterbringung nach Satz 2 nach pflichtgemäßem Ermessen; die Kosten dieser Leistungen dürfen nicht höher sein als die für eine Mitaufnahme der Begleitperson in die stationäre Einrichtung nach Satz 1 anfallenden Kosten.“
https://www.teilhabegesetz.org/media/Ottmars_Dateien/190314_FbJJ_Vorschla308ge_UN- BRK_Endfassung.pdf

III.  Der Landtag stellt fest:

·          Die Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen, wie auch in Deutschland insgesamt muss konform mit der Behindertenrechts-Konvention (BRK) gestaltet werden.
·          Menschen mit Behinderung, die dauerhaft von einem persönlichen Assistenten oder einer Assistentin im Alltag unterstützt werden, benötigen diese Unterstützung meistens auch während eines Krankenhausaufenthaltes. Dies gilt auch für diejenigen, die zuhause von Angehörigen unterstützt werden.
·          Persönliche Assistentinnen und Assistenten unterstützen bei der Ernährung, bei der Kommunikation, der Körperpflege, der Mobilität und überall dort, wo sie gebraucht werden. Behinderte Menschen, die mit Persönlicher Assistenz leben, arbeiten zudem ihre Assistentinnen und Assistenten ein, so dass ein Vertrauensverhältnis entsteht und die Assistenzkräfte genau wissen, was zu tun ist, um Schmerzen zu vermeiden und Selbstbestimmung zu ermöglichen.
·          Für alle Betroffenen, die nicht das Arbeitgeber*innen-Modell anwenden (können) stellt die fehlende Finanzierung der Assistenz und Unterstützung ein großes Problem dar Es muss daher eine rechtliche Grundlage für einen Weiterbezug der Leistungen bzw. zur Sicherung der Versorgungskontinuität im Krankenhaus für alle Assistenznehmerinnen und Assistenznehmer geschaffen werden, nicht nur für diejenigen, die ihre Assistenz im Arbeitgebermodell organisieren.
·          Die Leistungen der Eingliederungshilfe als personenzentrierte Hilfen müssen auch im Krankenhaus und in Reha-Einrichtungen fortlaufen und bedarfsgerecht erbracht werden. In den Zeiten eines Krankenhaus- und Reha-Aufenthaltes darf es zu keiner pauschalen Leistungskürzung kommen.
·          In die G-BA-Regelungen für die "Strukturierten Qualitätsberichte" der Krankenhäuser sollte – neben den Angaben zur Barrierefreiheit – von den Krankenhäusern dargestellt werden, wie die Sicherstellung der notwendigen Assistenz geregelt wird.
·          Sinnvoll erscheint zudem die Erstellung von Assistenzvereinbarungen durch Assistenzdienste und ihren Assistenznehmer*innen mit den Kliniken über die Bedarfe der Betroffenen und die Zuständigkeiten des Klinikpersonals (Beispiel „ambulante Dienste e.V. Berlin“).

IV.     Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

1.       Sich auf Bundesebene mit Nachdruck für die Finanzierung der Assistenz im Krankenhaus für alle, die sie benötigen, einzusetzen. Hierzu wird u.a. eine Bundesratsinitiative ergriffen, mit der die Regelungen des Assistenzpflegebedarfsgesetzes, die Menschen mit Behinderung berechtigen, sich durch eigene Assistenzpflegekräfte in Krankenhäusern sowie stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen unterstützen zu lassen, über den bereits berechtigten Personenkreis hinaus auf alle Menschen mit Behinderung, die eine Assistenz im Krankenhaus benötigen, erweitert wird.
2.       Dafür Sorge zu tragen, dass die Krankenhäuser – über die strukturierten Qualitätsberichte hinaus – eigene Aktionspläne zur Barrierefreiheit erstellen, sowie Selbstverpflichtungen zur Sicherung der notwendigen Assistenz erarbeiten und erforderliche Hilfsmittel bereitstellen. Hierzu gehören auch Informationen zur Sicherung der Assistenz auf der Krankenhauswebseite.
3.       Sich dafür einzusetzen, dass die G-BA-Regelungen zu den "Strukturierten Qualitätsbrichten" der Krankenhäuser entsprechend angepasst werden und diese neben den Angaben zur Barrierefreiheit auch Aussagen zur Sicherstellung der notwendigen Assistenz beinhalten.
4.       Sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der UN-BRK und den neuen Grundsätzen des BTHG die Eingliederungshilfe als personenzentrierte Unterstützung der Teilhabe bei Menschen mit Behinderungen unabhängig vom Ort der Leistungserbringung auch im Krankenhaus und in Reha-Einrichtungen bedarfsgerecht weiter geleistet wird. In den Zeiten eines Krankenhaus- und Reha-Aufenthaltes darf es zu keiner pauschalen Leistungskürzung kommen.