Armutsbekämpfung muss Priorität haben

Kleine Anfrage von Sigrid Beer, Mehrdad Mostofizadeh, Josefine Paul

Mehrdad Mostofizadeh

Aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) wird auch in NRW eine Reihe von Programmen finanziert, die vorrangig auf die soziale Eingliederung und Bekämpfung der Armut zielen.
Ausgerechnet der Sozialminister Laumann plant, insgesamt 110 Mio. Euro (ca. 55 Mio. ESF Mittel) aus der so bezeichneten der ESF-Prioritätsachse B (Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut) in die ESF-Prioritätsachse A (Förderung der Beschäftigung und Unterstützung der Mobilität der Arbeitskräfte) zu verschieben. 
Im Zentrum der Neuausrichtung stehen nun die Themen Fachkräftesicherung und Qualifizierung im Rahmen der Digitalisierung. Der neue Fokus liegt damit auf der Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Unternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben.
Nicht nur das Programm „Jugend in Arbeit Plus“ soll der Programmverschiebung geopfert werden. Genauso stehen vor dem Aus u.a. die Programme „Starthelfende Ausbildungsmanagement“ und „Ausbildungsbotschafter“.
Darüber hinaus soll es eine Reduzierung des Mitteleinsatzes im wieder auflebenden "Werkstattjahr“ mit einer eingeengten Zielgruppe und im integrierten Sozialraum-Programm geben. Heftig kritisiert wird auch die damit verbundene Ablösung des Produktionsschulansatzes in NRW.
So kommentiert der Leiter der Produktionsschule Schweicheln wie viele andere Fachleute schon Ende Februar in der Neuen Westfälischen: 
„Die Idee des Werkstattjahrs geht am Bedarf vorbei. Denn das Werkstattjahr hilft Jugendlichen beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Die Produktionsstätten sind jedoch für junge Erwachsene, die – sollte das Projekt abgeschafft werden – nichts mehr haben und quasi auf der Straße stehen. Denn es gibt sonst keine vergleichbare Maßnahme."
Auch der örtliche Angeordnete hat seinem Unverständnis in einem Brief an den zuständigen Minister Ausdruck verliehen. Aus dem Schreiben von Stephan Paul MdL, FDP, zitiert ebenfalls die Neue Westfälische:
„Für den Bereich Herford kann ich sagen, dass mich der niedrigschwellige produktionsorientierte Ansatz der Produktionsschule gerade für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen, die bisher noch keinen Anschluss an den Arbeitsmarkt gefunden haben, durchaus überzeugt hat…Mich würde daher insbesondere interessieren, welche Perspektiven wir in Herford zukünftig gerade der Zielgruppe der 19- bis 25-jährigen ohne Ausbildungsreife anbieten können? Gerade im Kreis Herford haben wir mit 430 jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, die zu den Langzeitarbeitslosen zählen, hier eine besondere Verantwortung."
Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Die deutliche Abkehr von der Priorität der Armutsbekämpfung trifft die besonders benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Während sich die Problematik der Langzeitarbeitslosigkeit auch in NRW weiter verfestigt, wird gerade einmal das in der EU vorgeschriebene Mindestmaß des Mitteleinsatzes zur Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut durch den Minister für Soziales angesetzt.
Die Mittel des Europäischen Sozialfonds sollten dazu genutzt werden, durch niedrigschwellige Programme, die das Lebensumfeld mitdenken und einbeziehen, weiteren Verfestigungen und manifesten Ausgrenzungen entgegen zu wirken. Dabei geht es immer um das Heranführen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Arbeitsmarkt.
Bei der neuen Linie des Ministeriums werden dagegen Unternehmen von Kosten der Weiterbildung entlastet und dafür erhebliche Mittel der Armutsbekämpfung entzogen.
Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Welche Förderlinien, die bisher aus ESF-Mitteln finanziert wurden, werden von Minister Laumann aufgrund welcher Evaluationsergebnisse eingestellt (bitte mit öffentlich zugänglicher Quellenangabe und Zeitangabe)?
  2. Wie kompensiert das Land NRW den Ausfall der Mittel, die bisher aus dem Europäischen Sozialfonds in die soziale Eingliederung und Bekämpfung der Armut geflossen sind?
  3. Wie haben sich die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege in der Frage der Programmverschiebung positioniert?
  4. Können Mitnahmeeffekte durch Unternehmen und Betriebe in den neu angedachten Förderlinien, die aus ESF-Mitteln gespeist werden, vermieden werden?

Welche Förderprogramme zur sozialen Eingliederung und Armutsbekämpfung wird es in NRW zukünftig für junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr geben?