Alltagsrassismus und rechte Gewalt bekämpfen – Erfassung politisch rechts motivierter Straftaten verbessern

Antrag der Fraktion SPD und Bündnis 90/Die Grünen

I. Einleitung

In den letzten Jahrzehnten hat sich unsere Gesellschaft grundlegend verändert. Sie ist bunter und vielfältiger geworden. Die Anerkennung von Vielfalt ist inzwischen weitgehend gesellschaftlicher Konsens. In NRW haben wir eine aktive Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzt. Gleichzeitig belegen verschiedene Studien der letzten Jahre, dass rassistische und andere menschenverachtende Einstellungen in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Diskriminierung und Rassismus sind auch in NRW alltägliche Phänomene. Menschen werden aufgrund bestimmter Merkmale immer wieder ausgegrenzt und benachteiligt. Diese Vorstellungen von Ungleichwertigkeit sind ein Kernbestandteil rechtsextremer Ideologie und dienen als Legitimation für gewalttätige Übergriffe. Statistisch betrachtet wird in NRW nach der polizeilichen Kriminalstatik jeden zweiten Tag ein Mensch Opfer einer politisch rechts motivierten Gewalttat. Die Dunkelziffer liegt nach Schätzungen von Expertinnen und Experten allerdings um etwa ein Drittel höher. Das liegt zum einen daran, dass die politische Motivation der Straftaten nicht immer erkannt wird bzw. nachgewiesen werden kann, zum anderen aber häufig auch daran, dass Betroffene rechter und rassistischer Gewalt die Straftaten aus unterschiedlichen Gründen gar nicht zur Anzeige bringen. Natürlich können Statistiken nie eine genaue Abbildung der Realität  sein, sie können aber wichtige Anhaltspunkte für die Einschätzung von Problemlagen und Entwicklungen der rechtsextremen Szene bieten.
SPD und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag deutlich gemacht, dass sie nicht nur konsequent gegen Rechtsextremismus vorgehen, sondern auch Rassismus und Diskriminierung im Alltag thematisieren und angehen werden. Die dazugehörigen Maßnahmen im Kampf gegen den Rechtsextremismus sind bereits vorangeschritten. So wurden die Beratungsstellen für Opfer rechter und rassistischer Gewalt eingerichtet, die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus finanziell gestärkt und die Aussteigerberatung NinA durch Landesmittel auf ganz NRW ausgeweitet. Die vier besonders aktiven und gewaltbereiten Kameradschaften wurden im Jahr 2012 verboten, der Ermittlungsdruck auf die rechtsextreme Szene durch die vier Sonderkommissionen der Polizei in Aachen, Dortmund, Köln und Wuppertal sowie durch das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus beim LKA erhöht und eine eigene Statistik zur Erfassung von Straftaten der Allgemeinkriminalität von Rechtsextremen eingeführt. Mit der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes im vergangenen Jahr wurden die Regelungen zum V-Leute-Einsatz erstmals gesetzlich geregelt, die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gestärkt und die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel auf gewaltorientierte Bestrebungen fokussiert. Das integrierte Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus und Rassismus wird zurzeit erarbeitet; die fünf Regionalkonferenzen haben dazu wertvolle Beiträge aus der Zivilgesellschaft geleistet.

II. Feststellung

Im Abschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU)  haben sich alle Fraktionen der 17. Legislaturperiode des Bundestags auf politische Handlungsempfehlungen im Bereich der Sicherheitsbehörden, der Justiz und der Prävention gegen Rechtsextremismus geeinigt. Eine Empfehlung bezieht sich dabei auf das Themenfeld der politisch motivierten Kriminalität (PMK), das nach Ansicht des Untersuchungsausschusses unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft grundlegend überarbeitet werden muss. Bereits seit Jahren wird seitens verschiedener zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Akteurinnen und Akteure eine Überarbeitung des Definitionssystems der PMK angemahnt. Die PMK-Statistik kann jedoch keine umfassenden Lagebilder ersetzen. Sie dient in erster Linie polizeilichen Zwecken der Strafverfolgung und muss immer im Zusammenhang mit weiteren Faktoren, wie einzelnen Ereignissen, der Entwicklung der rechtsextremen Szene oder gesellschaftlicher Debatten betrachtet werden. Eine möglichst genaue Erfassung der politisch motivierten Kriminalität ist deshalb wichtig.
Die Forderung nach einer Ergänzung des Themenfeldkatalogs zur politisch motivierten Kriminalität um antimuslimische Straftaten wird seit vielen Jahren von zivilgesellschaftlichen Initiativen im Bereich des Antirassismus und auch von muslimischen Gemeinden erhoben.  Im Definitionssystem der politisch motivierten Kriminalität werden antimuslimische Straftaten unter dem Thema Hasskriminalität erfasst, aber nicht gesondert benannt, wie etwa Straftaten aufgrund von Antisemitismus, Rassismus oder gegen die sexuelle Orientierung. Für eine Statistik, die möglichst genau die Realität politisch motivierter Kriminalität erfassen soll, wäre eine gesonderte Erfassung antimuslimischer Straftaten sinnvoll. Auf der Innenministerkonferenz wurde eine Erweiterung des Themenfeldkatalogs bereits im Herbst 2011 und erneut im Frühjahr 2013 abgelehnt. Sollte eine bundeseinheitliche Umsetzung der Erfassung antimuslimischer Straftaten auch weiterhin nicht möglich sein, ist zu überprüfen, ob NRW hier mit einer eigenen Erfassung vorangeht. Denn NRW ist nicht nur das bevölkerungsreichste Bundesland, es ist auch das, in dem die meisten Musliminnen und Muslime leben.
Aus der Perspektive von Betroffenen ist die Anerkennung der politischen Dimension der Gewalt von großer Bedeutung. Denn ihnen ist sehr bewusst, dass ihre Angehörigen nicht zufällig zum Angriffsziel wurden, sondern stellvertretend für eine ganze Gruppe von Menschen, die nicht in das Weltbild von Rechtsextremen und/oder rassistischen Personen passen. Wird eine solche Straftat nicht als politisch motiviert anerkannt, wird dies als Zeichen fehlender Solidarität und unzureichendem Bekenntnis zu gesellschaftlicher Vielfalt empfunden. Hier gilt es für Sensibilität in den Fällen zu sorgen, bei denen potentielle Opfergruppen rechter Gewalt angegriffen wurden und/oder bekannte Neonazis an Straftaten beteiligt waren.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

auf Bundesebene darauf hinzuwirken, dass
die Empfehlung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags hinsichtlich der grundlegenden Überarbeitung des Themenfeldkatalogs PMK unter Hinzuziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft umgesetzt wird.
eine eigene Erfassung antimuslimisch motivierter Straftaten unter dem Themenfeld der Hasskriminalität eingeführt wird. Soweit eine bundesweit einheitliche Regelung nicht möglich sein sollte, ist die Landesregierung aufgefordert, zu prüfen, ob eine eigene Statistik für NRW umsetzbar ist.
die Umsetzung der weiteren Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags auf Ebene des Bundes und der Länder weiter vorangetrieben werden.
Maßnahmen auf Landesebene zur Erfassung und Bekämpfung politisch rechts motivierter Kriminalität sowie zur Stärkung des Opferschutzes weiterzuentwickeln und zu verstetigen. Dazu gehört u.a.
eine verstärkte Kooperation der Polizei mit den beiden vom Land geförderten spezialisierten Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt zu etablieren, um Betroffene von rechter Gewalt auf die Angebote der Beratungsstellen hinzuweisen.
den Austausch zwischen den Sicherheitsbehörden und den fünf von Land und Bund geförderten Mobilen Beratungsteams zu verstärken, um eine realistischere Einschätzung der Entwicklungen rechtsextremer Aktivitäten in NRW zu erlangen.
die Weiterentwicklung der Inhalte in Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz zum Themenkomplex Rechtsextremismus/Rassismus sowie zur interkulturellen Kompetenz. Zudem muss die interkulturelle Öffnung in den Sicherheitsbehörden und der Justiz weiter vorangetrieben werden, damit die Vielfalt der Gesellschaft sich auch in den Behörden wiederspiegelt.
die Sonderkommissionen in den vier Polizeipräsidien Aachen, Dortmund, Köln und Wuppertal sowie das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus beim LKA weiterzuführen, um u.a. den Ermittlungsdruck auf die rechtsextreme Szene aufrecht zu erhalten.