Aktivierende Stadtentwicklung jetzt!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Wohnungs- und Flächenmangel bekämpfen – Aufstockung und intelligente Nachverdichtung unterstützen: Die Landesregierung muss umgehend zu einem Städtebau-Gipfel einladen!

Ausgangslage
Seit der Finanzkrise 2008 hat sich der Immobilienmarkt in Nordrhein-Westfalen tiefgreifend gewandelt. Einerseits erlebten neben Aktienanlagen vor allem Immobilien eine Renaissance als renditestarke Wertanlage. Andererseits wuchs mit sinkender Arbeitslosigkeit, steigenden Löhnen und sich wandelnden Ansprüchen an zeitgemäßes Wohnen die Pro-Kopf-Nachfrage nach Wohnraum. Zunächst in den sogenannten Schwarmstädten wie Köln, Düsseldorf oder Münster, wurde dieser Prozess durch den anhaltenden Trend zum Leben in den Metropolen zusätzlich immens angeheizt.

Immobilienpreise und Mieten steigen weiter, „Sozialbindungen“ laufen aus

Gerade hier sind Immobilienpreise und Mieten in den vergangenen zehn Jahren förmlich explodiert. In Verbindung mit dem unregulierten Trend zur Luxussanierung ist der Mietmarkt des mittleren und unteren Preissegments vielerorts bereits weitgehend zum Erliegen gekommen. Der steigende Druck auf die Zentren führt zwangsläufig zu Ausweichbewegungen in die Peripherie und die angrenzenden Regionen. Laut einer aktuellen Studie der Humboldt- Universität und der Hans-Böckler-Stiftung liegen von den zehn deutschen Städten, in denen durchschnittlich der höchste Anteil des Haushaltseinkommens für die Miete aufgebracht werden muss, sieben in NRW, an der Spitze Neuss („Die Wohnsituation in den 77 deutschen Großstädten – 77 Stadtprofile“, Andrej Holm, Stephan Junker, Humboldt-Universität Berlin, Hans-Böckler-Stiftung, 2019). Diese Probleme werden sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen, da derzeit landesweit jährlich 10.000 Wohnungen aus der Mietpreisbindung fallen.

Ungebremster Flächenverbrauch ist keine nachhaltige Lösung

Neben der Bekämpfung von Spekulation und die zunehmende Gentrifizierung, ist die Schaffung zusätzlichen Wohnraums ein Weg, um den Preisanstieg auf dem Wohnungsmarkt zu bremsen. Die Fokussierung auf zusätzlichen Flächenverbrauch löst die Flächensorgen jedoch nicht, sie sorgt vielmehr für eine Vielzahl zusätzlicher Probleme. So ist der ungebremste Flächenfraß nicht nur ein fortwehrender Angriff auf die Artenvielfalt, das Klima oder den Boden- und Gewässerschutz. Er provoziert auch neue Konkurrenzkämpfe und gesellschaftliche Konflikte. Denn längst wehren sich Land- und Forstwirte gegen die fortschreitende Verknappung ihrer Flächen und die Gefährdung ihrer Berufsgrundlage. Im am dichtesten besiedelten Flächenland Nordrhein-Westfalen ist daher jeder Hektar unbebauter Fläche ein Wert im doppelten Sinne.

Aktivierende Stadtentwicklung jetzt! Neue Potentiale für die Innenentwicklung heben

Es ist also nötig nach anderen Möglichkeiten zu suchen, um zusätzlichen Wohnraum flächenschonend zu schaffen. Da in den Innenbereichen der Städte auch rekultivierbare Brach- und Retentionsflächen immer knapper werden, muss dazu auch nach bislang unentdeckten Potentialen zur Nachverdichtung unserer urbanen Räume gesucht werden. Dabei rücken seit einiger Zeit insbesondere eingeschossige Gewerbeimmobilien ins Blickfeld der Stadtentwicklung. Allen voran die großen Supermarkt- und Discounterketten haben in den vergangenen 20 Jahren flächendeckend neue, immer größere, Gewerbeimmobilien entwickelt, die neben ihrer vorwiegend uniformen und eingeschossigen Bauweise vor allem riesige ebenerdige Parkplatzflächen gemeinsam haben. Der Flächenbedarf, insbesondere des Lebensmitteleinzelhandels, hat sich auf diese Weise in den vergangenen Dekaden massiv erhöht, oft genug zu Lasten potentieller Wohnbauflächen. Dabei wird nicht nur die Fläche als solche verbraucht, sondern auch das Flächenpotential des Geschossbaus vergeudet. Eine nachhaltige und flächenschonende Stadtentwicklungspolitik muss sich bemühen, diese Flächen wieder einem breiteren gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Nutzen zuzuführen. Eine Studie der TU Darmstadt und des Eduard-Pestel-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass deutschlandweit alleine durch Aufstockung der Märkte der 20 größten Supermarkt-Ketten rund 400.000 Wohnungen entstehen könnten (Wohnraumpotenziale in urbanen Lagen – Aufstockung und Umnutzung von Nichtwohngebäuden, Deutschlandstudie 2019, TU Darmstadt, Eduard-Pestel-Institut Hannover). Dieses enorme Potential gilt es auch in NRW bestmöglich auszunutzen. Die Stadtentwicklung in den großen deutschen Metropolen, aber auch die Handelsketten selbst, nähern sich den Chancen, die eine solche intelligente Nachverdichtung bestehender Siedlungsräume für alle Seiten birgt, bereits in ersten Modellprojekten an: Sie verknüpfen die gewerbliche Nutzung ihrer Grundstücke und Gebäude mit anderen Funktionen, z.B. der Entwicklung von Wohn- oder Büroräumen. Dazu werden Gebäude aufgestockt bzw. von vorne herein mehrgeschossig geplant und Verkehrsflächen unterirdisch angelegt. Die gewonnenen Gebäudeflächen werden so angelegt und ausgestaltet, dass eine möglichst verträgliche Koexistenz unterschiedlicher Nutzungen gewährleistet wird.

Intelligente Nachverdichtung vereinfachen und fördern

Hierbei entstehen in aller Regel zusätzliche bauliche, infrastrukturelle und rechtliche Fragestellungen, deren Lösung mit einem zusätzlichen bürokratischen und finanziellen Aufwand verbunden ist. So steigen nicht nur die Anforderungen an den Immissions- oder Brandschutz. Auch die Ansprüche an die Bauausführung erhöhen sich. Von der Statik, über die Infrastruktur für eine effiziente Ver- und Entsorgung, die Auswahl der Baumaterialien bis hin zur Gestaltung von Grundstücks- und Verkehrsflächen müssen alle Aspekte einer Immobilie auf die zusätzlichen Nutzungen abgestimmt werden. Erste Modellprojekte in Berlin und anderen Großstädten zeigen, dass dieser zusätzliche Aufwand ohne eine geeignete Förderung und Unterstützung dazu führt, dass die zusätzlich geschaffenen Angebote wiederum im oberen Preissegment angesiedelt werden. Eine Entlastung im unteren und mittleren Segment entsteht auf diese Weise zunächst nicht. Um gerade in den angespannten Wohnungsmärkten zu spürbaren Effekten zu gelangen, ist also die Politik gefordert, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Neben einer Klärung der planungs- und baurechtlichen Probleme (z.B. Notwendigkeiten von Nutzungsänderungen, Präzisierung des Brand- und Immissionsschutzrechts, Energieeffizienzanforderungen, Stellplatzverordnung, etc.), sind Zugänge zur Städtebauförderung und der sozialen Wohnraumförderung zu schaffen und auszugestalten. Ziel muss es sein, einerseits eine effizientere Flächenausnutzung in unseren Städten zu ermöglichen und gleichzeitig den Preisanstieg insbesondere in den unteren und mittleren Segmenten des Wohnungsmarktes wirkungsvoll zu bremsen. Um dies zu erreichen, ist das Instrument der Mietpreisbindung auch in diesem Zusammenhang unverzichtbar.

Schulterschluss suchen, Rahmenbedingungen gemeinsam gestalten: Die Landesregierung muss jetzt die Initiative ergreifen

Um Interesse und Akzeptanz der Beteiligten für einen solchen Paradigmenwechsel bei der Entwicklung innerstädtischer Gewerbeimmobilien von Anfang an zu fördern, muss dieser Prozess zwischen Politik, potentiellen Investorinnen und Investoren sowie potentiellen Nutzerinnen und Nutzern auf Augenhöhe stattfinden. In einem ersten Schritt muss die Landesregierung dazu alle Akteure zu einem breiten Beteiligungsprozess zusammenführen. Den Auftakt dazu sollte ein Städtebau-Gipfel bilden, zu dem die Landesregierung unmittelbar einladen muss. Gemeinsam mit potentiellen Investorinnen und Investoren, insbesondere mit den großen Handelsketten, den kommunalen Spitzenverbänden, den Kammern sowie Vertreterinnen und Vertretern betroffener Interessensverbände (Mieterschutzbund, Einzelhandelsverband, Haus&Grund, etc.) sind zunächst rechts- und förderpolitische Anforderungen zu diskutieren und die notwendigen Rahmenbedingungen zu definieren. Anschließend wird die Landesregierung gefordert sein, die erforderlichen landes- und bundespolitischen Schritte zügig vorzubereiten, einzuleiten und anzuschieben.

Der Landtag stellt fest:

1.     Der nordrhein-westfälische Immobilienmarkt im Allgemeinen und der Wohnungsmarkt im Besonderen sind seit der Finanzkrise im Jahr 2008 aus dem Gleichgewicht geraten. Hierzu hat neben der gestiegenen Bedeutung von Immobilien als Wertanlage, auch der ungebremste Zuzug in die Metropolen und die allgemein gestiegene Pro-Kopf- Nachfrage nach Wohnraum beigetragen.
2.     Die seit Jahren kontinuierlich steigenden Immobilien- und Mietpreise gefährden inzwischen die soziale Durchmischung, insbesondere in den zentralen Quartieren unserer Metropolen, zunehmend aber auch in deren Umland.
3.     Die einseitige Fokussierung auf die Erschließung zusätzlicher Flächen im Freiraum löst diese Probleme nicht. Vielmehr untergräbt sie die Ziele des Arten-, Klima- und Umweltschutzes und provoziert neue gesellschaftliche Konflikte.
4.     Gleichzeitig hat sich in den vergangenen Dekaden insbesondere im Bereich des Einzelhandels eine Baukultur etabliert, die einer effizienten Nutzung des Siedlungsraums durch eingeschossige Bauweisen und raumgreifende Parkplatz- Konzepte entgegensteht.
5.     Solche ineffizient genutzten innerstädtischen Räume sind wichtige städtebauliche Potentialflächen, deren funktionaler Nutzen durch kluge Konzepte zur Gebäudeaufstockung bzw. Nachverdichtung und geeignete Förderinstrumente gesteigert werden muss.

Der Landtag beschließt:

1.     Die Landesregierung wird beauftragt, umgehend alle maßgeblichen Akteure (Handelsketten, Kommunen, Kammern, Verbände) zu einem NRW-Städtebau-Gipfel einzuladen und auf Augenhöhe zusammenzubringen.
2.     Im Rahmen des NRW-Städtebau-Gipfels wird ein gemeinsamer Katalog über die notwendigen zu schaffenden rechtlichen und fördersystematischen Rahmenbedingungen erarbeitet mit dem Ziel, die sich aus der Mindernutzung innerstädtischer Gewerbeimmobilien ergebenden stadtentwicklungspolitischen Potentiale systematisch zu heben.
3.     Die Landesregierung wird beauftragt, die in diesem Katalog festgehaltenen landes- und bundespolitischen Schritte und Maßnahmen umgehend im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit einzuleiten und vorzunehmen.
4.     Die einzelnen Schritte und Maßnahmen werden jährlich in Bezug auf Wirkung und Zielerreichung evaluiert und soweit erforderlich angepasst und fortgeschrieben.
5.     Die Landesregierung informiert den Landtag zeitnah über die Ergebnisse des Städtebaugipfels und berichtet in den folgenden Jahren über den Stand der Umsetzung der erarbeiteten Maßnahmen sowie den Umfang des dadurch geschaffenen Wohnraums.