Gesetzentwurf der Landesregierung: Drucksache 18/15921
Die Fraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen beantragen, Artikel 1 des oben genannten Gesetzentwurfs wie folgt zu ändern:
- Nummer 16 wird wie folgt gefasst:
„16. § 34c wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 2 wird wie folgt gefasst:
„(2) Die Befugnis gemäß Absatz 1 steht der Polizei auch zu, wenn
- dies zur Abwehr einer Gefahr für die sexuelle Selbstbestimmung nach §§ 174 bis 178, 182 des Strafgesetzbuchs unerlässlich ist,
- die Person, der gegenüber die Anordnung nach Absatz 1 getroffen werden soll, nach polizeilichen Erkenntnissen bereits eine Straftat nach § 238 des Strafgesetzbuchs begangen hat und bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in absehbarer Zeit Straftaten nach § 238 Absatz 2 oder 3 des Strafgesetzbuchs begehen wird oder
- dies zum Schutz einer nach § 34a Absatz 1, § 34b Absatz 1 Satz 3 oder einer sonst gefährdeten Person, die in einer partnerschaftlichen, familiären oder familienähnlichen Beziehung zu der von der Anordnung betroffenen Person steht oder stand und im Hinblick darauf einer Lebensgefahr oder Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt ist, unerlässlich ist.
Mit Einwilligung der gefährdeten Person kann dieser ein technisches Mittel zur Verfügung gestellt werden, das Zuwiderhandlungen der betroffenen Person ge-
gen Maßnahmen nach § 34a oder § 34b Absatz 1 Satz 3 anzeigt.“
- b) Absatz 3 wird wie folgt geändert:
- aa) Satz 9 wird wie folgt gefasst:
„Die Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nur verarbeitet werden, soweit dies erforderlich ist für die folgenden Zwecke:
- zur Verhütung oder zur Verfolgung von besonders schweren Straftaten,
- zur Feststellung von Verstößen gegen Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote nach § 34b,
- zur Verfolgung einer Straftat gemäß § 34d,
- zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder
- zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des technischen Mittels.“
- bb) Folgender Satz wird angefügt:
„Die Sätze 1 bis 11 gelten entsprechend für die Verarbeitung der Daten, die mit Hilfe des technischen Mittels erhoben und gespeichert werden, das der gefährdeten Person nach Absatz 2 Satz 2 zur Verfügung gestellt worden ist.“
- c) In Absatz 4 wird nach der Angabe „Satz 1“ die Angabe „und 12“ eingefügt.“
- Folgende Nummer 17 wird angefügt:
„17. In § 38 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 wird die Angabe „zehn“ durch die Angabe „14“ ersetzt.“
Begründung:
Zu Nr. 1
zu a)
Die Änderung der Ziffern 1 und 2 sind redaktioneller Natur.
Die neue Ziffer 3 und der neue Satz 2 haben folgenden Hintergrund:
Der Zweck der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) nach § 34c Absatz 2 Satz 2 bezog sich bislang auf die Überwachung der Befolgung von Maßnahmen nach § 34a (Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot). Mit der Schaffung der neuen Fallgruppe kann die Anordnung der EAÜ zukünftig auf Bereiche erstreckt werden, die weiter gehen als das unmittelbare Umfeld der Wohnung. Nunmehr sind auch sonst gefährdete Personen umfasst, die ein partnerschaftliches, familiäres oder familienähnliches Verhältnis zu der von der Anordnung betroffenen Person haben oder hatten. Darunter können sowohl (Ex-) Partnerinnen und Partner als auch Angehörige oder – seltener – ehemalige Angehörige fallen. Auch Kinder der (Ex-)Partnerinnen und Partner können erfasst sein („familienähnliche Beziehung“). Häusliche Gewalt und Partnerschaftsgewalt liegen nicht nur vor, wenn die Gewalt zwischen Personen stattfindet, die in einer familiären, familienähnlichen oder partnerschaftlichen Beziehung zusammenwohnen, sondern auch, wenn sie unabhängig von einem gemeinsamen Haushalt innerhalb der Familie oder in aktuellen oder ehemaligen Partnerschaften geschieht. Eine allein an eine Maßnahme nach § 34a PolG NRW (Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot) und damit an den gemeinsamen Haushalt anknüpfende Regelung greift insoweit zu kurz, da sie eine Vielzahl von Fällen, insbesondere der Partnerschaftsgewalt, nicht erfasst bzw. berücksichtigt. Allein im Jahr 2024 lebten 48,5 % der Opfer oder 20.383 von Partnerschaftsgewalt betroffene Personen nicht in einem gemeinsamen Haushalt mit den Tätern. Überdies bestand die Partnerschaft bzw. Beziehung zu dem Täter bei 42 % der Opfer zum Zeitpunkt der Tat bereits nicht mehr. In einer – nicht genauer bestimmbaren – Vielzahl dieser Fälle dürften die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 34a PolG NRW insoweit nicht vorgelegen haben. Die Ergänzung dient demnach der Verbesserung des Schutzes für von Gewalt betroffenen Personen, da ansonsten von der Maßnahme der Domestic-Violence-Technologie lediglich die Personen betroffen wären, die mit dem Täter in einem gemeinsamen Haushalt wohne. Eine Vielzahl von Opfern von Partnerschaftsgewalt bliebe anderenfalls unberücksichtigt.
Für die zeitliche Dauer gilt durch den Wegfall des letzten Halbsatzes die allgemeine Regelung des § 34c Absatz 8. Die Anordnung setzt eine Lebensgefahr oder eine schwerwiegende Verletzung der körperlichen Unversehrtheit für die gefährdete Person voraus. Der Personenkreis wird außerdem auf Fälle der Partnerschaftsgewalt ausgeweitet, die mit der von der Anordnung betroffenen Person nicht in einem Haushalt leben.
Gleichzeitig wird das sog. Spanische Modell geregelt, bei dem mit Einwilligung der gefährdeten Person auch dieser ein technisches Mittel zur Verfügung gestellt wird, das Zuwiderhandlungen der betroffenen Person gegen zum Schutz der gefährdeten Person nach § 34a oder § 34b Absatz 1 Satz 3 erlassene Anordnungen meldet.
zu b)
Die Änderung der Ziffer 1 ist redaktioneller Natur.
Die Änderung der Ziffer 4 stellt sicher, dass die Verarbeitung der erhobenen Aufenthaltsdaten mit den Eingriffsschwellen der Maßnahmen, zu deren Überwachung die EAÜ dienen kann (§ 34a, § 34b Absatz 1 Satz 3) kompatibel ist.
Der neu eingefügte Satz 12 erklärt die Datenverarbeitungsregeln der Sätze 1 bis 11 für entsprechend anwendbar, soweit es die Daten betrifft, die mit Hilfe des technischen Mittels erhoben und gespeichert werden, das der gefährdeten Person zur Verfügung gestellt worden ist.
zu c)
Die Änderung erstreckt die Löschfrist des Absatz 4 auf die Daten, die mit Hilfe des technischen Mittels erhoben und gespeichert wurden, das der gefährdeten Person zur Verfügung gestellt worden ist.
zu Nr. 2
Die bisher in § 34a Absatz 5 Satz 1 und 2 vorgesehene Frist von im Regelfall zehn Tagen wird auf vierzehn Tage verlängert. Diese Anpassung trägt den praktischen Erfahrungen der Polizeibehörden, Beratungsstellen und Gerichte Rechnung, wonach der bisherige Zeitraum regelmäßig nicht ausreicht, um den Schutz gefährdeter Personen in Fällen häuslicher Gewalt wirksam sicherzustellen und die Rückkehrverbote nachhaltig durchzusetzen.
Des Weiteren erfolgt mit der Änderung ein Gleichlauf der Dauer der Fristen von Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot mit der Dauer der Ingewahrsamnahme nach § 35 PolG NRW in § 38 Abs. 2 Nr. 3 PolG NRW. Dieser Gleichlauf entspricht bereits der gesetzgeberischen Intention, wie sie in der Begründung zur Einführung des § 38 Abs. 2 Nr. 3 PolG NRW (LT-Drs. 13/1525 vom 4. September 2001) zum Ausdruck gebracht wurde. Dies ist erforderlich, um in Fällen, in denen eine kurzfristige Ingewahrsamnahme der gewaltausübenden Person unerlässlich ist, sicherzustellen, dass die gefährdete Person in der Zwischenzeit nicht außerhalb der Wohnung wiederangetroffen wird und dadurch einer erneuten Gefahr von Gewalteinwirkungen ausgesetzt ist. Die Angleichung der Fristen gewährleistet einen konsistenten Schutzmechanismus und verhindert Schutzlücken zwischen verschiedenen polizeilichen Maßnahmen.
Die praktische Evidenz zeigt, dass die bisherige Höchstfrist von zehn Tagen regelmäßig nicht ausreicht, um den Schutz gefährdeter Personen wirksam sicherzustellen und Rückkehrverbote nachhaltig durchzusetzen. Eine maßvolle Verlängerung der Frist trägt dem staatlichen Schutzauftrag aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf körperliche Unversehrtheit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) Rechnung, indem sie den Opferschutz stärkt. Demgegenüber wird das Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) zwar berührt, jedoch nur in verhältnismäßigem Umfang eingeschränkt. Die längere Dauer dient einem legitimen, verfassungsrechtlich besonders gewichtigen Ziel und bleibt unter richterlicher Kontrolle eng begrenzt. Insgesamt ist eine Verlängerung daher als verhältnismäßige Anpassung an die praktischen Erfordernisse und zur effektiven Gefahrenabwehr gerechtfertigt.
Mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2002 und der damit verbundenen Einführung des § 34a ins PolG NRW wurde damals die Befugnis der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer Maßnahme nach § 34a PolG NRW nicht erweitert. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass Personen, gegen die eine Wohnungsverweisung und ein Rückkehrverbot angeordnet wurden, nur bis zum Ende des auf die Anordnung der Ingewahrsamnahme folgenden Tages festgehalten werden durften und teilweise mehrere Ingewahrsamnahmen angeordnet werden mussten, um eine Maßnahme nach § 34a durchzusetzen.
Mit Gesetz vom 13. Dezember 2018 (GV. NRW. S. 684, ber. 2019 S. 23) wurde der § 38 PolG NRW geändert und die Dauer der Ingewahrsamnahmen zur Durchsetzung von Maßnahmen nach § 34a PolG NRW auf eine maximale Dauer von zehn Tagen erweitert, analog zum § 34a PolG NRW. Seit der Erweiterung der Dauer der Ingewahrsamnahmen zur Durchsetzung von Maßnahmen nach § 34a PolG NRW machen die Kreispolizeibehörden – wie vorher auch schon durch mehrfache Anordnungen von Ingewahrsamnahmen – regelmäßig Gebrauch von der Möglichkeit einer längerfristigen Ingewahrsamnahme, um die Opfer von häuslicher Gewalt zu schützen, wenn sich Adressaten einer Maßnahme nach §34a PolG NRW nicht an die Anordnung halten. Die Dauer der Anordnungen der Ingewahrsamnahmen, über die gemäß § 36 PolG NRW ein Richter entscheidet, sind unterschiedlich und abhängig von der konkreten Gefährdungsbeurteilung im Einzelfall. In den letzten fünf Jahren wurden mehr als 100 längerfristige Ingewahrsamnahmen zur Durchsetzung einer Maßnahme nach § 34a PolG NRW von der Polizei angeordnet und richterlich bestätigt. Die Dauer der Maßnahmen differenzierte dabei von einem bis zu elf Tagen. Es bestand auch bisher schon die Notwendigkeit, Ingewahrsamnahmen mit einer Dauer von mehr als zehn Tagen anzuordnen, um Opfer von Gewalt zu schützen.
Um eine erneute Gesetzeslücke wie vor 2018 zu vermeiden und der Notwendigkeit des tatsächlichen Opferschutzes gerecht zu werden, ist es angemessen und verhältnismäßig, die Dauer der Ingewahrsamnahme entsprechend zu erweitern, insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsgüterabwägung zwischen dem Schutz von Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und einer vorübergehenden Beeinträchtigung von Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz Freiheit der Person und Artikel 11 Absatz 1 Grundgesetz Freizügigkeit.
Zudem bestehen in der Praxis häufig psychologische Hemmnisse und erhebliche emotionale Belastungen der Opfer, in der akuten Ausnahmesituation häuslicher Gewalt binnen weniger Tage gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Eine Verlängerung des polizeilichen Schutzzeitraums gibt den Betroffenen die erforderliche Zeit, um zur Ruhe zu kommen, die Situation zu reflektieren und notwendige rechtliche sowie psychosoziale Unterstützung (z. B. durch Beratungsstellen, Jugendamt, Sozialamt oder anwaltliche Vertretung) in Anspruch zu nehmen.
Hinzu kommt, dass die Belastung der Gerichte, insbesondere im Bereich der Familien- und Zivilgerichte, in der Praxis dazu führt, dass innerhalb der bisherigen Frist von zehn Tagen nicht in allen Fällen eine gerichtliche Entscheidung über Folgemaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz vorliegt. Eine Verlängerung auf vierzehn Tage gewährleistet einen lückenlosen Übergang zwischen polizeilichem und gerichtlichem Schutz und verhindert Schutzlücken zu-lasten der gefährdeten Personen.
Die Maßnahme bleibt weiterhin auf eine kurzfristige, polizeiliche Interventionshandlung beschränkt, die den Zeitraum bis zum Erlass zivilgerichtlicher Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz überbrückt. Sie ist jederzeit gerichtlich überprüfbar; der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG bleibt uneingeschränkt gewahrt. Die Verlängerung der Frist stellt somit eine verhältnismäßige, verfassungsrechtlich tragfähige und praxisgerechte Fortentwicklung des polizeilichen Opferschutzes dar.
