Häufigkeit und Prävention von Femiziden in NRW

Kleine Anfrage von Verena Schäffer und Josefine Paul

Portrait Josefine Paul

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben häusliche oder sexualisierte Gewalt. In Deutschland wird im Durchschnitt ein wenig mehr als alle zweieinhalb Tage eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet.1 In 80% der Fälle, in denen ein Mord an Partnerinnen oder Partnern bzw. Ex-Partnerinnen oder Ex-Partnern geschieht, ist eine Frau betroffen. Während diese Frauenmorde häufig als „Eifersuchtstragödien“ oder „Familiendramen“ bezeichnet werden, sprechen Fachleute von „Femiziden“, d.h. Tötungsdelikten, die aus geschlechterspezifischen Motiven gegen Frauen verübt werden. Der Begriff ist in Deutschland bisher nicht offiziell anerkannt. Laut Statistiken des Bundeskriminalsamts waren es im Jahr 2019 insgesamt 117 Frauen und im Jahr 2018 insgesamt 122 Frauen, die von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden.2 2020 wurden 139 Frauen Opfer ihrer Partner oder Ex-Partner.3

Kontrolle oder vermeintliche Besitzansprüche des Täter gehören bei Femiziden häufig zum Tatmuster. Femizide bzw. geschlechtsspezifische Gewalt finden sich in allen sozialen bzw. gesellschaftlichen Schichten. Frauenmorden gehen oftmals vollzogene Trennungen oder geäußerte Trennungswünsche der späteren Opfer oder extremes Kontrollverhalten und psychische Gewalt der Täter voraus. Diese Faktoren beruhen oft auf patriarchal verankerten Machtstrukturen wie etwa vermeintlichen Besitzansprüchen von Partnern in Bezug auf ihre (Ex-)Partnerinnen.

In sehr vielen Fällen können Frauen nur erschwert aus einer Gewaltsituation innerhalb ihrer Partnerschaft entkommen. Das gilt insbesondere für Familienkonstellationen mit Kindern. Hier besteht oft ein massives Spannungsverhältnis zwischen dem Gewaltschutz für die betroffenen Frauen und dem Umgangsrecht der Täter mit den gemeinsamen Kindern, von denen eine Gefahr mindestens für die Frauen ausgeht. In dem Buch „Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen“ beschreiben die Autorinnen das Phänomen „Femizide“ als ein strukturelles Problem, das vor allem mit Geschlechterstereotypen, Hierarchien und Machtstrukturen verbunden ist.

Femizide werden häufig verharmlost, indem beispielsweise die persönliche Beziehung als Erklärungsmuster herangezogen wird und sich dies schlimmstenfalls sogar strafmildernd auswirkt.

Artikel 46 des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 (Istanbul-Konvention) regelt deutlich, dass Gewalttaten und Tötungsverbrechen in einem Paarbeziehungs- oder Familienkontext nicht als strafmildernd, sondern als strafschärfend berücksichtigt werden können.

In einem Beschluss vom 7. Mai 2019 entschied der Bundesgerichtshof, dass die Auflösung einer Beziehung seitens des Opfers als Motiv für ein Tötungsverbrechen gegen die Annahme eines niedrigen Beweggrunds spricht, um wegen Mordes zu verurteilen. Eine vom Opfer gewollte oder vollzogene Trennung wirkt sich faktisch also strafmildernd für den Täter aus. Dies ist ein Widerspruch zur seit 2018 in der Bundesrepublik geltenden Istanbul-Konvention.4

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

  1. Wie viele Frauen sind nach Kenntnis der Landesregierung seit 2015 bis Ende 2021 durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet worden? (Bitte um tabellarische Aufschlüsselung nach Datum, Ort und Tatbestand)
  2. Wie hoch ist die Zahl an versuchten Morden bzw. Totschlägen gegen Frauen in NRW seit 2015? (Bitte um tabellarische Auflistung nach Ort, Datum und Tatbestand wird erbeten)
  3. Wie viele der Täter der zu den Fragen 1. und 2. aufgeführten Taten vollendeter und versuchter Tötungsdelikte waren vor Tatbegehung vorbestraft bzw. sind angezeigt worden wegen Gewalttaten innerhalb der Familie? (Bitte um tabellarische Auflistung nach Ort, Datum und Tatbestand)
  4. Inwieweit wird die polizeiliche Kriminalstatistik geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide zukünftig ausweisen?
  5. Welche konkreten Maßnahmen zur Sensibilisierung und Prävention sowie zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Femiziden hat die Landesregierung seit 2017 ergriffen?

1 Deutsche Welle online vom 25.11.2021: https://www.dw.com/de/gewalt-gegen-frauen-wenn-der-alltag-zum-albtraum-wird/a-59911579 (12.01.2022).

https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Partnerschaftsgewalt/p  artnerschaftsgewalt_node.html (12.01.2022).

3 NDR online vom 23.11.2021: https://www.ndr.de/kultur/Femizide-in-Deutschland-Wenn-Maenner-Frauen-toeten,femizid100.html (12.01.2022).

4 Deutschlandfunk online vom 18.09.2021: https://www.deutschlandfunkkultur.de/femizide-in-deutschland-getoetet-weil-sie-frauen-sind.990.de.html?dram :article_id=496107 (12.01.2022), Deutscher Juristinnenbund, Themenpapier vom 25.11.2019, online unter: https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st19-24 (12.01.2022).