30 Jahre Geiselnahme von Gladbeck – Opfern und Angehörigen gedenken und sich der Verantwortung stellen

Resolution der der Fraktionen von CDU, FDP und der GRÜNEN im Landtag

I.  Ausgangslage
Im August 1988 erschütterte ein Verbrechen Deutschland, das sich als „Gladbecker Geiseldrama“ tief in das Bewusstsein und die Erinnerung der Bundesrepublik Deutschland eingebrannt hat. Denn es steht wie kein anderes für mediale Grenzüberschreitung und Versagen bei Polizei und Behörden.
Die Tatsache, dass Reporter so stark in ein Kriminalgeschehen involviert waren und zum Teil Vermittlerfunktionen übernahmen, hat nicht nur die Grenzen journalistischer Berichterstattung überschritten, sondern war auch nur möglich, weil Einsatzleitung und Polizeiführung dies zuließen: Nach einem Banküberfall im nordrhein-westfälischen Gladbeck hatten die beiden Täter während ihrer Flucht mehrfach Geiseln genommen und waren mit ihnen zusammen durch Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und die Niederlande geflüchtet. Während dieser Zeit ließen sich Journalisten von den Geiselnehmern instrumentalisieren und überschritten damit die Grenzen der Berichterstattung deutlich: Ein Interview wurde geführt, während ein Täter einer Geisel die Waffe an den Hals drückte. Ein Fotograf bat darum, der Geisel die Waffe erneut an den Kopf zu halten, um ein besseres Bild zu bekommen. Ein Reporter ließ sich gegen Geiseln austauschen. Ein anderer stieg ins Fluchtauto, um den Entführern den Weg zur Autobahn zu zeigen. Diese Szenen sind uns allen präsent – und wurden zuletzt auch filmisch aufgearbeitet.
Dass es so weit kommen konnte, lag auch und vor allem an Fehlern der verantwortlichen Einsatzleitung in Nordrhein-Westfalen. Diese ließ nach heutigen Erkenntnissen mehrere Möglichkeiten verstreichen, die Geiselnahme zu beenden und die Geiseln zu retten. Erst nach den Ereignissen in Bremen wurde diese Null-Risiko-Strategie geändert. Nach 54 Stunden endete das Geiseldrama bei Bad Honnef in einem hochriskanten und bis heute noch umstrittenen Polizeieinsatz. Insgesamt zeigten sich während jener drei Tage im August 1988
zahlreiche organisatorische und strukturelle Mängel im Polizeieinsatz, die jedoch nicht die vor Ort handelnden Polizisten, sondern die zuständigen Leitungsebenen zu verantworten hatten.
Sowohl die Bremische Bürgerschaft als auch der Landtag von Nordrhein-Westfalen haben vor dreißig Jahren Untersuchungsausschüsse eingesetzt, um die Abläufe der polizeilichen Einsätze im Zuge des Geiseldramas politisch aufzuarbeiten. Die Untersuchungsausschüsse haben in der Rückschau erhebliche Fehler, Fehleinschätzungen sowie Defizite der Polizei und im Bereich der Innenministerien ergeben.
Das Gladbecker Geiseldrama hat am Ende drei unschuldigen Menschen das Leben gekostet. Doch weder die traumatisierten Geiseln noch ihre Angehörigen und die Hinterbliebenen wurden in der Folgezeit durch das Land Nordrhein-Westfalen in ausreichendem Maße betreut. Die Notwendigkeit solcher definierten zentralen Nachsorgestrukturen, inklusive der standardisierten Übergabe der Verantwortung für Opfer und Hinterbliebene aus der Gefahrenabwehrlage, beschreibt der Bundesbeauftragte für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz Jahrzehnte nach den Vorfällen völlig zu Recht als eine notwendige Aufgabe des sozialen Rechtsstaates.
Wir wissen, dass Staat, Sicherheitsbehörden und die Presse aus ihren damaligen Fehlern gelernt haben. So wurde zum Beispiel der Pressekodex dahingehend geändert, dass die Presse sich in keinem Fall zum Werkzeug von Verbrechern machen lassen dürfte und auch während des Tatgeschehens keine Interviews geführt werden dürfen. Im Bereich der Polizei ist nunmehr geregelt, dass die Einsatzleitung bei Geiselnahmen oder ähnlichen Gefährdungssituationen die ganze Zeit dort verbleibt, wo die Tat begonnen hat, um alle notwendigen Informationen an einer Stelle zu bündeln. Darüber hinaus wurden in sechs nordrhein-westfälischen Großstädten Stäbe eingerichtet, in denen permanent für Großeinsätze ausgebildete Beamte zusammenarbeiten. Das entbindet uns jedoch nicht von der Aufgabe, die staatliche Verantwortung auch in Nordrhein-Westfalen vollumfänglich zu übernehmen und bei den Opfern und ihren Angehörigen angemessen um Vergebung zu bitten.
II.  Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  • Der Landtag Nordrhein-Westfalen gedenkt der Opfer des Gladbecker Geiseldramas und spricht ihnen, den Angehörigen und Hinterbliebenen seine Anteilnahme aus.
  • Wir erkennen die Verantwortung Nordrhein-Westfalens für die gemachten Fehler an.
  • 30 Jahre nach den Ereignissen ist es an der Zeit, sich zu dieser Verantwortung zu bekennen und im Namen des Landes die Angehörigen der drei Todesopfer und die weiteren Betroffenen um Entschuldigung zu bitten.
  • Die Einrichtung einer zentralen Opferschutzbeauftragten durch die Landesregierung war ein wichtiger Schritt. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, die vorhandenen Opferschutzstrukturen unter Beachtung der Lösungsvorschläge des Bundesbeauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz weiterzuentwickeln, die ergänzenden, die Landesebene betreffenden Empfehlungen umzusetzen und sich auf Bundesebene für die Realisierung der weiteren Empfehlungen des Bundesbeauftragten einzusetzen.
  • Die damaligen Ereignisse der Öffentlichkeit in geeigneter Form zugänglich zu machen.