Verfassungskommission beendet ihre Arbeit

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
am 27. Juni 2016 hat zum letzten Mal die Kommission zur Reform der Nordrhein-Westfälischen Verfassung getagt. Sie hatte sich am 19.11.2013 konstituiert und verabschiedete am Montag ihren Bericht samt Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung unsers Landes, der am kommenden Freitag in 1. Lesung in das Landtagsplenum eingebracht wird.
Ihr findet den Bericht hier sowie weitere Unterlagen zur Verfassungskommission auf der Themenseite des Landtags.

Warum eine Verfassungsreform?

Unsere Landesverfassung spielt seit ihrer Entstehung vor 63 Jahren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des demokratischen Nordrhein-Westfalens. So hat sie insbesondere dazu beigetragen, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie eine „nordrhein-westfälische Identität“ entwickeln konnte.
Aber natürlich haben sich die gesellschaftlichen, politischen und technischen Realitäten in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert.
In Nordrhein-Westfalen leben mittlerweile viele Menschen aus ganz Europa und der Welt, Menschen verschiedenster ethnischer Herkunft mit unterschiedlichen Glaubensausrichtungen. Auch haben sich zwischenzeitlich die sozialen Muster des familiären und ehelichen Zusammenlebens und beispielsweise die allgemeinen Ansichten über Erziehung deutlich geändert. Das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist längst zu einem gesellschaftspolitischen Konsens geworden.
Ob diese Entwicklungen von unserer Verfassung derzeitig hinreichend abgebildet werden, oder ob der Verfassungstext sogar in Teilen veraltet ist und der Verfassungswirklichkeit womöglich entgegensteht, sollte nach unserer Auffassung intensiv geprüft werden. Denn außer partiellen Verfassungsänderungen in Einzelfällen hat es eine grundlegende Reform bislang nicht gegeben. Daher hat sich die GRÜNE Landtagsfraktion für die Einsetzung einer Verfassungskommission eingesetzt. Nach mehreren Versuchen konnten wir dies 2013 schließlich erreichen.
Wir haben selbst hohe Ansprüche an unsere Arbeit formuliert und in den vergangenen Jahren stets daran gearbeitet, diese zu erfüllen:
„Bewährtes achten, aber Rechtsentwicklungen und neue gesellschaftliche Wertentscheidungen in Verfassungsrecht gießen, damit unsere Verfassung auch in Zukunft von den Menschen in Nordrhein-Westfalen geachtet und angenommen wird, gestärkt wird, wie ein Organismus durch eine Vitaminkur.“

Unser Fazit: Es wäre mehr drin gewesen. Viel mehr.

Auch vor dem Hintergrund unserer Erwartungen fällt unser Fazit der Verfassungskommission leider sehr ernüchternd aus.
Wir hätten uns gewünscht, dass am Ende eines gut zweieinhalbjährigen Prozesses eine echte grundlegende Modernisierung der Landesverfassung gestanden hätte. Insbesondere die Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahre, die Stärkung der direkten Demokratie in Nordrhein-Westfalen wie auch die Einführung eines kommunalen Wahlrechts für Nicht-EU-Bürger*innen lagen und liegen uns sehr am Herzen. Dass wir GRÜNE uns für Ausbau, Stärkung und Vereinfachung von Mitwirkungsmöglichkeiten an demokratischen Prozessen für die Zivilgesellschaft einsetzen, ist wesentlicher Teil unsere Geschichte.
Je vielfältiger und passgenauer die partizipatorischen Rechte, desto interessierter und engagierter die Bürgerinnen und Bürger.
Leider sind diese Punkte an der sturen Blockade von CDU und FDP gescheitert.
Dabei waren wir ganz nah dran, auch bei den sogenannten „Knackpunkten“, bei denen alle Fraktionen in Konflikt mit ihren jeweiligen Vorfestlegungen gekommen sind, Konsens zu erzielen.
·         Absenkung des Eingangsquorums bei Volkbegehren
·         Schuldenbremse
·         Absenkung von Quoren bei den Instrumenten zur parlamentarischen Kontrolle
·         Ermöglichung der Verfassungsbeschwerde für alle Bürgerinnen und Bürger
All diese Punkte waren zwischen CDU/FDP und Rot-Grün einigungsreif.
Und dann scheitert dieser Konsens letztlich nur an einer Zahl. Denn plötzlich schaltet CDU-Fraktionschef Armin Laschet auf Blockade, aus Angst vor 300.000 jungen Menschen im Land, denen wir das Wahlrecht schon mit 16 Jahren ermöglichen wollen.
Beim Thema „Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen auf 16 Jahren“ wollte sich die CDU um keinen Millimeter bewegen.
Festgefahren, einbetoniert, alternativlos – entgegen der in der Wissenschaft und Expertentum überwiegend vertretenen, wohl abgewogenen und begründeten Auffassung, dass die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre für unsere Demokratie vielerlei Vorteile mit sich bringen würde. . Nicht ein einziger Sachverständiger, den die Kommission angehört hat, hat Bedenken hinsichtlich der Absenkung des Wahlalters geäußert. 
Laschet verweigert den politisch interessierten, gut informierten Jugendlichen das Recht, an Abstimmung über die Landespolitik Teil zu nehmen. Damit verweigert er diesen jungen Menschen in letzter Konsequenz die demokratische Mitbestimmung für die folgenden fünf Jahre. Und dies offenbar allein aus wahltaktischen Überlegungen. Denn belastbare Argumente, die gegen eine solche Wahlrechtsausweitung sprechen würden, sind schlichtweg nicht erkennbar.
Wir finden das unsäglich. Diese von der CDU vertretene Auffassung ist als klare Misstrauensbekundung gegenüber den Jugendlichen in NRW zu werten.
Es gibt hinsichtlich des formal logischen Denkens keine Unterschiede zum Erwachsenen. Und bezüglich ihres Wissens sind Jugendliche im naturwissenschaftlichen Bereich und teilweise auch im politischen Bereich dem durchschnittlichen Erwachsenen als Schüler*innen oder frische Schulabgänger*innen nicht selten überlegen. Jugendliche befinden sich zum großen Teil bereits im Arbeitsprozess. Und wer arbeitet, soll auch wählen können. Jugendliche, die keinen Arbeitsplatz finden, sollten ebenfalls ihren politischen Willen durch Wählen kundtun können.
Denn nach Überzeugung von uns GRÜNEN geht es mit der Wahlrechtsabsenkung darum, den Jugendlichen Interesse und Gefallen am demokratischen System nahezubringen. Das muss doch unser aller Interesse sein. Man kann Demokratie nicht nur durch Wissensweitergabe im Politikunterricht vermitteln, sondern auch durch gezielte Ansprache verbunden mit unmittelbaren, demokratischen Teilhabemöglichkeiten – durch ein aktives Wahlrecht eben, von dem Jugendliche ab 16 Jahren Gebrauch machen können, aber kein Gebrauch machen müssen.
Leider sehen das Armin Laschet und die NRW-CDU, ebenso wie die FDP, die nicht den Mut aufbrachte sich hier vom Möchtegern-Koalitionspartner zu emanzipieren, anders.

Was ist positiv am Ergebnis?

Die Stärkung der Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Landesregierung, die Einführung einer diskriminierungsfreien Eidesformel und die Direktwahl aller Verfassungsrichter durch das Parlament: Das sind Erfolge, die sich sehen lassen können und die für die Modernisierung unserer Verfassung Marksteine setzen.
Gerade die Änderung der Eidesformel ist uns ein Anliegen gewesen. Die Mitglieder der Landesregierung schwören in Zukunft, „dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des Landes Nordrhein-Westfalen widmen“ werde. Bislang lautet die Formulierung: „dem Wohle des deutschen Volkes“. Das schloss alle Mitbürger*innen aus, die bei uns in NRW leben, aber keinen deutschen Pass besitzen. Das wird endlich geändert und so erhält die Verfassung eine Eidesformel, die alle Menschen die hier leben beinhaltet. Ein wichtiges integrationspolitisches Signal, für das wir uns lange eingesetzt haben.
Die Ziele, die wir jetzt nicht erreichen konnten, werden wir in der nächsten Legislaturperiode zu Schwerpunkten unserer Arbeit machen.
Besondere bedanken möchten wir uns an dieser Stelle bei unserem sachverständigen Mitglied in der Kommission, Prof. Dr. Christoph Gusy, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld, der unsere Arbeit sehr engagiert unterstützt hat, sowie bei unseren Kolleg*innen Manuela Grochowiak-Schmieding und Matthi Bolte für die gute Zusammenarbeit sowie bei Olaf Behnk, der als Fraktionsmitarbeiter seinen Sachverstand eingebracht hat.
Weitere Informationen findet Ihr auch auf unserer Internetseite.
Bei Nachfragen stehen wir Euch natürlich gerne zur Verfügung.
Herzliche Grüße
Stefan Engstfeld             Dagmar Hanses

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