Verena Schäffer: Newsletter Rechtsextremismus September 2020

Newsletter

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
wir haben im März eine Große Anfrage zum Thema Rechtsextremismus mit 228 Fragen gestellt. Wir wollten von der Landesregierung wissen, wie der organisierte Rechtsextremismus in Nordrhein-Westfalen strukturiert ist, wie er agiert und vor allem welche Gefahren von ihm ausgehen. Die Antwort liegt uns nun vor – hier kann die Große Anfrage heruntergeladen werden. Mit diesem Newsletter wollen wir ein paar Schlaglichter auf interessante Ergebnisse setzen.
Zudem möchten wir Sie und Euch gerne auf eine interessante Anhörung zu den Themenkomplexen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus am morgigen Donnerstag (01. Oktober 2020) von 10.00 bis ca. 15.00 Uhr hinweisen. Grundlage der Anhörung sind insgesamt vier Anträge der Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD. Von der Anhörung wird es einen Livestream geben – über diesen Link kann man die Anhörung ab 10.00 Uhr verfolgen.
Auch die vielen interessanten Stellungnahmen von Sachverständigen für die Anhörung sollen nicht unerwähnt bleiben, hier können sie nachgelesen werden.
Kurzauswertung der Großen Anfrage Rechtsextremismus
Das „Gravitationszentrum des Neonazismus“ in Nordrhein-Westfalen
So bezeichnet der Verfassungsschutz „Die Rechte“ seit Jahren. Angesichts ihrer engen Vernetzung mit nahezu allen neonazistischen Gruppierungen, der rechtsextremen Kampfsport- und Rechtsrockszene sowie ihrer Beteiligung an diversen Versammlungen des rechtsextremen Spektrums liegt diese Einordnung auf der Hand. Dass von den Mitgliedern von „Die Rechte“ eine ernstzunehmende Gefahr ausgeht, ist mit Blick auf die wiederholten Angriffe aus ihrem Kreis u.a. auf Menschen mit Migrationsgeschichte, auf Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit, auf demokratische Politiker*innen und Menschen, die sich gegen Rechts engagieren, bereits seit langem bekannt. Welche Dimension die Gewaltbereitschaft von „Die Rechte“ hat, zeigt sich in der Anzahl der Straftaten, die von ihrem Mitgliedern verübt wurden, sehr deutlich. Für den Zeitraum von November 2008 bis Februar 2020 hat die Polizei insgesamt 378 politisch rechts motivierte Straftaten von Mitgliedern von „Die Rechte“ verzeichnet. Darunter sind 85 Körperverletzungsdelikte, bei 71 davon handelt es sich um gefährliche Körperverletzung. In acht Fällen ging es um Straftaten gegen das Waffengesetz und in einem Fall um Terrorismusfinanzierung.
Waffen in der rechtsextremen Szene
Nach Angaben der Landesregierung sind derzeit neun Personen aus dem rechtsextremen Spektrum im Besitz mindestens einer Waffe. 31 Personen haben einen kleinen Waffenschein, der zum Führen von Schreckschuss-, Gas- und Signalwaffen berechtigt. Hinzu kommen die sogenannten Reichsbürger, von denen 162 Personen waffenrechtliche Erlaubnisse haben. In 58 Fällen sind die Personen zum Besitz von erlaubnispflichtigen Schusswaffen berechtigt. Wir müssen davon ausgehen, dass noch mehr Rechtsextreme legal und illegal im Besitz von Waffen sind. Die Angaben in Antwort auf unsere Große Anfrage beziehen sich nur auf Personen, zu denen der Verfassungsschutz Daten speichert. Das tut er bei Personen, die z.B. als Führungsfiguren relevant für die Ausrichtung und Entwicklung einer rechtsextremen Organisation sind.
Es darf nicht sein, dass Mitglieder von „Die Rechte“, „Der III. Weg“, „NPD“ oder der „Identitären Bewegung“, von denen eine erhebliche Gefahr insbesondere für bestimmte gesellschaftliche Gruppen ausgeht, im Besitz von Waffen sind. Vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Anschläge in Halle und Hanau muss es eine noch höhere Aufmerksamkeit bei den Sicherheitsbehörden dafür geben, dass Waffen in dieser Szene vorhanden sind. Aus unserer Sicht muss dringend überprüft werden, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, die waffenrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen.
Rechtsextrem geprägte „Mischszenen“
Seit etwa zwei Jahren finden in Nordrhein-Westfalen regelmäßig Versammlungen der „First Class Crew Steeler Jungs“, der „Bruderschaft Deutschland“, des Vereins „Mönchengladbach steht auf“, des Vereins „Begleitschutz Köln“ und der „Besorgten Bürger Herne“ statt. Diese Gruppierungen sind untereinander gut vernetzt und unterstützen sich gegenseitig bei Versammlungen. Sie setzen sich zusammen aus Hooligans, Rockern und Rechtsextremisten. An ihren Versammlungen nahmen auch Personen aus dem Kreis von „Die Rechte“, der „NPD“, der „Identitären Bewegung“ sowie der Organisator des „Kampf der Nibelungen“ teil. Die Rechtsrock-Band „Kategorie C“ und der Rechtsrock-Sänger „Lunikoff“ traten bei mehreren Veranstaltungen dieser „Mischszenen“ auf. Ein Führungsmitglied der „Bruderschaft Deutschland“ hatte Kontakt zur rechtsterroristischen „Gruppe S.“. Gegen Mitglieder der „Steeler Jungs“, des Vereins „Mönchengladbach steht auf“ und der „Besorgten Bürger Herne“ wurden am 7. Dezember 2019 Ermittlungen wegen der Bildung terroristischer Vereinigungen eingeleitet.
Bei dieser Szene handelt es sich also keineswegs nur um Gruppen, die in der Regel störungsfrei verlaufende „Spaziergänge“ veranstalten. In dieser Szene treffen sich neonazistische und neurechte Akteure. Zudem scheint es eine Anschlussfähigkeit zu rechtsterroristischen Bestrebungen zu geben.
Für Nachfragen stehen unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin für Strategien gegen Rechtsextremismus, Hasret Karacuban (hasret.karacuban@landtag.nrw.de, 0211 884 4321) und ich gerne zur Verfügung.