Liebe Freundinnen und Freunde,
gerade hat der Landtag das Inklusionsstärkungsgesetz (ISG) verabschiedet. Zuvor hatten wir gemeinsam mit der SPD mit einem umfassenden Änderungsantrag noch eine Vielzahl von Veränderungen am Gesetzentwurf der Landesregierung vorgenommen. Damit hat das Gesetz mehr Verbindlichkeit erhalten und die Rechte, insbesondere die Beteiligungsrechte der betroffenen Menschen, werden gestärkt. Hier gibt es die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales zum Nachlesen.
Erstmalig erhalten in Deutschland die Menschen unter vollständiger Betreuung ein Wahlrecht bei den Landtags- und Kommunalwahlen. Wir hoffen, dass dies auch eine Signalwirkung für den Bund und die anderen Länder entfaltet.
Im ISG sind die allgemeinen und grundsätzlichen Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankert. Träger öffentlicher Belange – also insbesondere alle Landeseinrichtungen und -behörden sowie kommunale Einrichtungen und Träger – sind aufgefordert, die Ziele der UN-BRK im Rahmen ihres Zuständigkeits- und Aufgabenbereiches zu verwirklichen. Dies gilt auch, wenn diese Aufgaben durch Dritte durchgeführt werden.
Was regelt das Inklusionsstärkungsgesetz?
Das „Erste allgemeine Gesetz zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen“, kurz Inklusionsstärkungsgesetz, regelt folgende Bereiche:
§ Artikel 1 (Inklusionsgrundsätzegesetz) beinhaltet allgemeine und grundsätzliche Anforderungen des Allgemeinen Teils der UN-Behindertenrechtskonvention und verankert sie landesgesetzlich.
§ Artikel 2 (Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes NRW, BGG): Hier werden notwendige Anpassungen für die Sicherstellung der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung vorgenommen.
§ Artikel 3 (Ausführungsgesetz zum Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, AG SGB XII) beinhaltet Regelungen zur Entfristung und damit zur dauerhaften Zuständigkeit der Landschaftsverbände für das selbstständige Wohnen von Menschen mit Behinderungen. Darüber hinaus sind Regelungen zur Beseitigung von Schnittstellen zwischen örtlichem und überörtlichem Träger der Eingliederungshilfe zur Zusammenarbeit im Rahmen der Durchführung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII enthalten.
§ Artikel 4 (Kinderbildungsgesetz, KiBiz) und Artikel 5 (Schulgesetz, SchulG) enthalten Verweise auf die Regelungen im Behindertengleichstellungsgesetz und der Kommunikationsunterstützungsverordnung (zuvor Kommunikationshilfeverordnung) zur Wahrnehmung der Elternrechte und zur Sicherstellung der Kommunikation von Menschen mit Bedarf an Kommunikationsunterstützung wie Hörbeeinträchtigten oder Gehörlosen für den Bereich der Elterngespräche in Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen.
§ Artikel 6 und 7 enthalten Regelungen zur Erleichterung der eigenständigen Ausübung des Wahlrechts von Menschen mit erheblichen Sehbehinderungen und für Menschen, die der „Leichten Sprache“ bedürfen. Mit den Änderungen erhalten nun erstmalig auch Menschen unter vollständiger Betreuung das Wahlrecht.
§ Artikel 8 regelt die Anpassung der Kommunikationshilfeverordnung (KHV NRW) an die Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz sowie die Anpassung der Vergütungssätze an die bundesrechtlichen Regelungen, um eine einheitliche Rechtsanwendung und damit eine einheitliche Vergütung zu gewährleisten. Zugleich wird die Bezeichnung „Hilfe“ in „Unterstützung“ geändert und die Bezeichnung „Kommunikationsunterstützungsverordnung“ eingeführt.
§ Artikel 9 (Verordnung für barrierefreie Dokumente, VBD NRW) wird entsprechend der Änderungen im Behindertengleichstellungsgesetz angepasst.
§ Artikel 10 hebt die Verordnung zum Landesbehindertenbeirat auf.
§ Artikel 11 (Landesbetreuungsgesetz) sieht Regelungen zu den örtlichen Arbeitsgemeinschaften vor. Zudem wird eine rechtliche Grundlage für eine überörtliche Arbeitsgemeinschaft geschaffen.
§ Artikel 12 beinhaltet eine Evaluationsklausel zu den Entwicklungen und Auswirkungen des ISG. Hierzu soll dem Landtag nach vier Jahren ein entsprechender Bericht vorgelegt werden.
Was haben wir im Wesentlichen mit dem ISG verändert?
1. NRW ist das erste Bundesland mit einem Gesetz zur Umsetzung der UN-BRK
Mit dem ISG ist Nordrhein-Westfalen das erste Land, das die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Landesrecht umsetzt. Das ISG regelt die Barrierefreiheit und die Zugänglichkeit zu öffentlichen Räumen. Die gesellschaftlichen Teilhabechancen und die demokratischen Beteiligungsrechte der Menschen mit Behinderung werden gestärkt.
2. Menschen unter Betreuung werden künftig an Kommunal- und Landtagswahlen teilnehmen können
Bislang sind Menschen unter vollständiger Betreuung vom Wahlrecht ausgeschlossen. Dies ist mit der UN-BRK nicht vereinbar. Wir sorgen mit der SPD dafür, dass diese Menschen künftig bei Kommunal- und Landtagswahlen wählen dürfen. Auch das ist bundesweit einmalig. Zudem erhalten sehbehinderte und blinde Menschen einen Rechtsanspruch, durch Wahlschablonen ihr Wahlrecht selbstständig und unabhängig von fremder Hilfe wahrzunehmen.
3. Die „Leichte Sprache“ wird im ISG verankert
Im ISG wird das Instrument der „Leichten Sprache“ eingeführt. Damit sollen Behörden den Menschen mit Lernschwierigkeiten komplizierte Inhalte von Verwaltungsmitteilungen in einfachen Worten erklären. Damit können die Menschen selbstbestimmter und einfacher als bislang mit Behörden kommunizieren. Zudem wird die Deutsche Gebärdensprache im ISG als eigenständige Sprache anerkannt.
4. Das ISG stärkt die gesellschaftliche Teilhabe von Eltern mit Beeinträchtigungen
Durch das ISG haben künftig Eltern, die eine Kommunikationsunterstützung benötigen etwa bei einer Hörbeeinträchtigung, bei Elternsprechtagen und Elternabenden in Schulen und Kindertageseinrichtungen das Recht auf Unterstützung durch Gebärdensprach-Dolmetscher*innen. Das stärkt die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen. Sie können leichter und selbstverständlicher am Alltag teilnehmen.
5. Das ISG stärkt die Beteiligungsrechte der Verbände für Menschen mit Behinderung
Durch das ISG werden die Verbände und die Behindertenselbsthilfe verbindlicher bei der Ausarbeitung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Umsetzung der UN-BRK einbezogen. Das Gesetz verpflichtet die Träger öffentlicher Belange – wie beispielsweise Dienststellen und Einrichtungen des Landes und der Gemeinden – mit den Verbänden der Menschen mit Behinderungen zusammenzuarbeiten.
6. Das Deutsche Institut für Menschenrechte e.V. wacht über die Umsetzung der UN-BRK in Nordrhein-Westfalen
Im ISG wird die Landesregierung verpflichtet, eine vertragliche Vereinbarung mit dem Institut für Menschenrechte e.V. abzuschließen. Das Institut ist die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention und überwacht als unabhängige Instanz die Umsetzung der UN-BRK in Nordrhein-Westfalen. Zu ihren Aufgaben gehören beispielsweise die Darstellung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und die Beratung der Politikerinnen und Politiker in Bund und Ländern.
7. Zuständigkeiten für Hilfen zum Wohnen für Menschen mit Behinderung aus einer Hand
Das ISG unterstützt das selbstständige Wohnen von Menschen mit Behinderungen außerhalb von Heimen. Bereits jetzt übernehmen die beiden Landschaftsverbände nach dem Prinzip „alle Hilfen aus einer Hand“ alle Leistungen zum ambulant begleiteten wie auch stationären Wohnen. Das verhindert zusätzliche Behördengänge und mehrfache Beantragungen von Leistungen. Menschen mit Behinderung können so selbstbestimmter in der eigenen Wohnung leben. Dieses Verfahren erfolgt bisher auf Grundlage einer Verordnung. Mit dem ISG wird diese Regelung nun gesetzlich fest verankert.
8. Die Agentur Barrierefrei wird im ISG verankert
Für eine inklusive Gesellschaft ist die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung unverzichtbar. Deshalb ist Schaffung von Barrierefreiheit auch als eine wesentliche Zielsetzung im ISG festgeschrieben. Die vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Agentur Barrierefrei NRW informiert und berät zu Fragen der Umsetzung von Barrierefreiheit. Mit dem ISG wird die Agentur gesetzlich verankert.
Mit diesem Inklusionsstärkungsgesetz setzen wir einen starken Rahmen für die Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Inklusion in NRW. Während die Bundesregierung mit ihrem Entwurf eines Bundesteilhabegesetzes auf rückwärtsgewandte, defizitorientierte Fürsorgepolitik setzt, verfolgen wir in NRW den Weg der emanzipatorischen Teilhabe. Menschen sind nicht behindert, sie werden behindert. Wir wollen Barrieren abbauen und möglichst gar nicht erst entstehen lassen.
Nun geht es darum, das Gesetz umzusetzen.
Bei Rückfragen könnt Ihr Euch an mich oder unseren wissenschaftlichen Mitarbeiter für Soziales, Gesundheit, Pflege und Alter, Harald Wölter (harald.woelter@landtag.nrw.de), wenden.
Mit Grünen Grüßen
Manuela Grochowiak-Schmieding