Neue Verfassungskommission hat ihre Arbeit aufgenommen

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
heute, am 19.11.2013, konstituierte sich im Landtag die Kommission zur Reform der Nordrhein-Westfälischen Landesverfassung. Sie soll, wie es im fraktionsübergreifenden Einsetzungsbeschluss heißt (Drucksache 16/3428), „die Verfassung des Landes NRW im dritten Teil systematisch (…) überprüfen und dem Landtag Ergänzungs- und/oder Streichungsvorschl­äge für eine moderne, zukunftsfähige Verfassung (…) unterbreiten“. Mit diesem Newsletter wollen wir Euch über die anstehende Arbeit und die Strukturen informieren.
Ihr findet alle Unterlagen zur Verfassungskommission fortlaufend aktualisiert auf der Themenseite der Landtagsfraktion: http://gruene.fr/verfassungskommission

Warum eine Verfassungsreform?

Unsere Landesverfassung hat seit ihrer Entstehung vor 63 Jahren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des demokratischen Nordrhein-Westfalens gespielt. So hat sie insbesondere dazu beigetragen, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie eine „nordrhein-westfälische Identität“ entwickeln konnte.
Das war bei ihrer Entstehung noch längst nicht absehbar. Ganz im Gegenteil.
Im Parlament war der Verfassungstext hart umkämpft. In 3. Lesung votierten CDU und Zentrum mit 110 Stimmen dafür und SPD, FDP und KPD mit 97 Stimmen dagegen. Die Volksabstimmung vom 18. Juni 1950 erbrachte dann allerdings eine Zustimmung von 57 Prozent, bei einer Wahlbeteiligung 71,6 Prozent. Unsere Verfassung konnte so am 10. Juli 1950 verkündet werden und ist einen Tag später in Kraft getreten.
Aber natürlich haben sich die gesellschaftlichen, politischen und technischen Realitäten in der hinter uns liegenden 63-jährigen Verfassungsgeschichte stark verändert.
In Nordrhein-Westfalen leben mittlerweile viele Menschen aus ganz Europa und der Welt, Menschen verschiedenster ethnischer Herkunft mit unterschiedlichen Glaubensausrichtungen. Auch haben sich zwischenzeitlich die sozialen Muster des familiären und ehelichen Zusammenlebens und die allgemeinen Ansichten über Erziehung deutlich geändert. Das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist längst zu einem gesellschaftspolitischen Konsens geworden.
Ob diese Entwicklungen von unserer Verfassung derzeitig hinreichend abgebildet werden, oder ob der Verfassungstext sogar in Teilen veraltet ist und der Verfassungswirklichkeit womöglich  entgegensteht, sollte nach unserer Auffassung intensiv geprüft werden. Denn außer partiellen Verfassungsänderungen in Einzelfällen hat es eine grundlegende Reform bislang nicht gegeben. Darum forderten wir bereits im Sommer 2005 die Einrichtung einer Verfassungskommission (Landtagsdrucksache 14/13), leider vergeblich.
Darauf, dass wir das Thema im aktuellen Koalitionsvertrag mit der SPD verankern konnten und die Kommission jetzt an die Arbeit geht, können wir nach dieser langen Vorarbeit stolz sein.

Warum eine Überprüfung nur innerhalb ihres dritten Teils, der von den „Organen und Aufgaben des Landes“ handelt?

Schon im Koalitionsvertrag ist die Eingrenzung der Arbeit zunächst auf den dritten Teil der Verfassung angelegt, d.h., der zweite Teil unserer Verfassung, der in den Artikeln 4 bis 29a  „von den Grundrechten und der Ordnung des Gemeinschaftslebens“ handelt, ist von der Überprüfung ausgenommen. Wichtige Themen wie Familie, Schule, Religion und Religionsgemeinschaften bleiben damit  – vorerst – von der Überprüfung ausgenommen.
Aber auch der dritte Teil unserer Verfassung, der mit Artikel 30 beginnt, hat aus grüner Sicht einiges zu bieten. Hier haben wir endlich die Möglichkeit, vorhandene Demokratiedefizite anzusprechen und zu beheben.
Denn mit dem rasanten und inzwischen weit fortgeschrittenen digitalen Wandel haben sich für die Bürgerinnen und Bürger des Landes NRW neue, technische Möglichkeiten der politischen Informationsgewinnung eröffnet. Dass der politische Alltag damit verstärkten Eingang in das Leben vieler Bürgerinnen und Bürger gefunden hat, ist Tatsache, wie es anhand der vielen Kommentare auf Onlineportalen und in sozialen Netzwerken abzulesen ist.
Auch der Ruf nach verbesserten Möglichkeiten der demokratischer Teilhabe wird lauter, so dass die in der Verfassung vorgesehenen Instrumente der direkter Beteiligung dahingehend zu untersuchen sind, ob sie den wachsenden Partizipationswünschen der Bevölkerung noch hinreichend Rechnung tragen.
Nach unseren Überlegungen müsste einmal darüber nachgedacht werden, ob sich der allgemeinen „Politikverdrossenheit“ nicht mit verfassungsändernden Beschlüssen wie der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre ober der Absenkung der Quoren für Volksbegehren und Volksinitiativen, wirksam entgegengewirkt werden könnte. Denn für uns ist es nicht tatenlos hinnehmbar, dass sich mit allgemein sinkender Wahlbeteiligung die Legitimationsbasis unseres Parlaments verringert.
Auch ob den in NRW lebenden EU-BürgerInnen auf Landesebene das aktive und passive Wahlrecht weiterhin vorenthalten bleiben darf, ist in diesem Zusammenhang kritisch zu hinterfragen.
Anlässlich der Entwicklungen des Föderalismus und des zusammenwachsenden Europas sind außerdem Fragen nach den parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten Nordrhein-Westfalens auf beiden Ebenen zu beleuchten. Es ist zu überprüfen, ob mit diesen Entwicklungen nicht auch eine Stärkung der parlamentarischen Rechte einhergehen müsste, um einem eventuellen Verlust an demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten auf nationalstaatlicher Ebene als auch bei der Einbindung in den europäischen Rechtssetzungs- und Entscheidungszug, entgegenzuwirken.

Arbeitsweise der Kommission

Wir haben es durchgesetzt, dass der Arbeitsprozess der Verfassungskommission so ausgestaltet werden soll, dass er den Bürgerinnen und Bürgern, Verbänden und anderen gesellschaftlichen Interessengruppen effektive Beteiligung ermöglicht. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass entsprechende Vorschläge aus der Öffentlichkeit unmittelbar in den Arbeitsprozess mit einfließen können.
Wir haben dem Kommissionsvorsitzenden Prof. Dr. Bovermann (SPD, ohne Stimmrecht in der Kommission) bereits vorgeschlagen, dass für die öffentliche Beteiligung an der Arbeit der Verfassungskommission ein ausgewogenes, niedrigschwelliges, zukunftsweisendes und finanzierbares partizipatives Verfahren entwickelt wird.
Zusätzlich wird die Kommission auf unsere Initiative hin die Frage zu klären haben, ob und ggf. in welcher Form vor einer Einbringung der verfassungsändernden Anträge in das Plenum über die Formulierungsvorschläge der Kommission ein Referendum durch die Bürgerinnen und Bürger in NRW stattfinden kann.
Denn nach unserem Verständnis kann nur eine Landesverfassung, die eine hohe Akzeptanz von der Bevölkerung erfährt, als belastbares Fundament für den staatsbürgerlichen Zusammenhalt aller in Nordrhein-Westfalen lebender Menschen dienen.

Grüne Struktur

Die Verfassungskommission setzt sich aus 19 stimmberechtigten Mitgliedern und einer entsprechenden Zahl von Stellvertreterinnen und Stellvertretern zusammen. Dabei stellt die SPD-Fraktion 8 Mitglieder, die CDU-Fraktion 5 Mitglieder. FDP, PIRATEN und wir GRÜNE sind mit 2 Mitgliedern vertreten.
Eure Grünen Mitglieder und Ansprechpartner sind:

  • Stefan Engstfeld MdL (Obmann) (stefan.engstfeld@landtag.nrw.de) und
  • Dagmar Hanses MdL (dagmar.hanses@landtag.nrw.de)

Vertreterin und Vertreter sind:

  • Manuela Grochowiak-Schmieding  MdL (manuela.grochowiak-schmieding@landtag.nrw.de) und
  • Matthi Bolte MdL (matthi.bolte@landtag.nrw.de)

Die Abgeordneten werden in ihrer Arbeit unterstützt von:

  • Olaf Behnk
  • Ute Karneil-Teltschik (Sachbearbeitung) (ute.karneil-teltschik@landtag.nrw.de)

Wir sind sehr froh und dankbar darüber, dass sich Herr Prof. Dr. Gusy, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte an der Universität Bielefeld, bereit erklärt hat, uns als sachverständiges Mitglied der Kommission zu Verfügung zu stehen (http://www.jura.uni-bielefeld.de/lehrstuehle/gusy/startseite/).
Hier könnt ihr den Einsetzungsantrag (Drucksache 16/3428) mit der Aufgabenbeschreibung und der festgelegten Arbeitsweise der Kommission lesen.
Hier findet ihr das Manuskript von Stefans Rede zur konstituierenden Sitzung sowie die aktuelle Pressemitteilung und ein Youtube-Video zum Start der Kommission.
Bei Nachfragen stehen wir Euch natürlich gerne zur Verfügung.
Herzliche Grüße,
Stefan Engstfeld                Dagmar Hanses

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