Kommunalinfo: Wissenschaftsbasierter, verlässlicher und flexibler Stufenplan dringend benötigt

Liebe Freund*innen,

ich grüße Euch herzlich zum neuen Jahr und wünsche ein frohes und gesundes 2021!

Monatelang hat Ministerin Gebauer die Empfehlungen von Wissenschaftler*innen wie in den Wind geschlagen und bezeichnete zuletzt die Mahnungen der Leopoldina als „untauglich“. Sie hielt am Präsenzunterrichtsmantra auch noch im November letzten Jahres fest.
Ein inzidenzbasierter Stufenplan wurde dabei schon im Oktober 2020 vom Robert-Koch-Institut vorgelegt. Das Schulministerium blockierte dagegen Wechselunterrichtsmodelle. Solingen ist nur ein Stichwort dazu. Die Eingaben zahlreicher anderer Schulen zu ihren Wechsel- oder Hybridunterrichtsmodellen, die dezidiert auch benachteiligte Kinder und Jugendliche im Blick haben, wurden abschlägig beschieden.

Jetzt hat das Virus die Schulministerin eiskalt erwischt. Der Jahresauftakt beginnt mit Distanzunterricht. Für wenige Schüler*innen ist die Schule zur „Notbetreuung“ offen. Im Interview beim TV-Sender Phoenix erweckte die Ministerin am 7.1. gleich wieder den Eindruck, sie wolle unmittelbar nach dem 31.1. in den Präsenzunterricht zurück. Dafür hagelte es zurecht gleich wieder massive Kritik. In der von uns beantragten Sondersitzung des Schulausschusses musste sie auf meine Nachfrage dann doch zurückrudern. Es sei unsicher, wie es weitergehe, sie könne selbst eine Weiterführung des umfänglichen Distanzunterrichts nicht mehr seriös ausschließen, so die Ministerin

Umso mehr ist es jetzt wichtig, das gesamte Schuljahr bis zu den Sommerferien zu betrachten und nicht wieder in die Kurzatmigkeit des Schulministeriums zu verfallen.

Infektionsschutz und Bildungsgerechtigkeit gehören zusammen

Ministerin Gebauer wie auch die gesamte Kultusministerkonferenz (KMK) haben das Infektionsgeschehen an Schulen systematisch runtergespielt. Und die NRW-Ministerin rühmt sich gerne ihrer Rolle in der KMK. Der Hamburger Schulsenator Rabe behauptete öffentlich, dass eine Datenauswertung in Hamburg belegen würde, dass die Infektionen an der Helmholtz-Schule von außerhalb hereingetragen worden seien. Dabei belegt die Genomanalyse das genaue Gegenteil. Wir haben deshalb einen Bericht eingefordert, auf welche wissenschaftlichen Grundlagen sich die KMK in ihren Beschlüssen stützt. Denn auffällig ist, dass die KMK die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (s. oben) rundweg ablehnte.

Fixpunkt der KMK war die Betonung des Präsenzunterrichts. Richtig ist, dass der Zugang zum Präsenzunterricht wichtig für die Bildungsgerechtigkeit ist. Wer aber beim Infektionsschutz lasch wird, geht das Risiko ein, dass es immer wieder zu Quarantänen an einzelnen Schulen kommt, dadurch kein kontinuierliches Lernen in Klassen und Kursen gegeben ist und Familien immer in Ad-Hoc-Mini-Lockdowns gezwungen werden. Vulnerable Gruppen bleiben dann zumeist ohne Berücksichtigung. Wenn präventive Konzepte, um Inzidenzzahlen nicht in die Höhe schießen zu lassen, so vehement blockiert werden, dann ist das Risiko eines generellen Lockdowns enorm hoch. Wie auch die Schulministerin eingestehen muss.

Der Stufenplan, den das Ministerium unter Druck noch vor Weihnachten herausgegeben hat, bleibt hinter den Anforderungen weit zurück. Dass in Gebieten mit Inzidenzen über 200 noch schulscharf Infektionszahlen dargelegt werden sollen, bevor es zu Maßnahmen kommen kann, ist ein schlechter Witz und ignoriert die pandemische Situation. Das Virus macht nicht an der Schulbezirksgrenze oder Straßenecke halt. Es geht um Kontakt- und Mobilitätsreduzierung.

Wissenschaftlich basierter Stufenplan

Ein Stufenplan für NRW muss wissenschaftlich fundiert sein. Virologisch ist das die Expertise des Robert-Koch-Instituts. Aber auch eine pädagogische und soziale Betrachtung ist wichtig, ebenso wie die Beachtung des Kinderschutzes. Das bedeutet, konsequent in stabilen Kleingruppen zu unterrichten, wenn Präsenz wieder möglich ist.

Verlässlich für Schulen und Schulträger

Der Stufenplan muss klar sagen, welche Maßnahmen bei welchem Inzidenzwert zu ergreifen sind. Ab wann ist Hybridunterricht möglich bzw. geboten, ab wann sind die Gruppengrößen zu verringern usw. Es ist nicht vertretbar, dass die Schulen dazu jedes Mal erst bei der Schulaufsicht nachfragen müssen, wie es bis Weihnachten geregelt war. Auch die Schulträger brauchen die Verlässlichkeit. Kommunen sind durchaus bereit weitere Räume für Unterrichtszwecke zu erschließen, wie z.B. Vereinsheime, Stadtteilbibliotheken etc. Damit könnte man kleinere Lerngruppen bilden. Aber die Kommunen brauchen die Sicherheit, dass solche Anstrengungen für längere Zeit Geltung haben. Zudem muss das Land auch hier finanziell unterstützen. Geld ist vorhanden. So sind z.B. die 75 Mio. für das völlig verunglückte Ferienprogramm nur zu einem sehr geringen Teil abgerufen worden.

Flexibel auf die Situation vor Ort reagieren

Wir fordern, dass das Land einen klaren, verlässlichen Rahmen vorgibt. Gleichzeitig brauchen Schulen und Schulträger das Zutrauen in die Eigenverantwortung und den Freiraum flexibel auf die Situation vor Ort zu reagieren. Jede Einzelfallregelung bei der Schulaufsicht zu beantragen ist umständlich und kostet Zeit und Nerven. Dazu gehören zum Beispiel auch Fragen der Unterrichtsgestaltung.

Personelle Unterstützung aktivieren

Kleinere Lerngruppen brauchen räumliche aber natürlich auch personelle Ressourcen. Vielen Lehramtsstudierenden sind die Nebenjobs wegen Corona weggebrochen. Sie könnten in großer Zahl für eine Tätigkeit als Lernbegleiter*innen gewonnen werden. Die Hochschulen würden das begrüßen, aber die Schulministerin weigert sich bislang davon Gebrauch zu machen. Dabei stünde Geld, wie bereits angesprochen durch die nicht genutzten Mittel des Ferienprogramms und Mittel für unbesetzte Stellen zur Verfügung.

Ein unfreiwilliges Kurzschuljahr

Im vergangenen Schuljahr lag der Fokus der Aufmerksamkeit auf der Durchführung der Abschlussprüfungen. Dabei hatten die betroffenen Schüler*innen von August bis März noch regulär Unterricht. Die Vorleistungen, die in die Endnoten eingehen, waren i. d. R. erbracht. Die Schüler*innen der aktuellen Abschlussjahrgänge hatten nicht nur sehr eingeschränkt Unterricht im Frühjahr, sondern stecken unfreiwillig in einem de facto „Kurzschuljahr“. Zwar hat die Ministerin verkündet, dass die Lerndefizite durch den Präsenzunterricht vor Weihnachten aufgeholt seien, das ist jedoch ein Schönreden der Situation.
Erstens ist in den vergangenen Monaten erheblich mehr Unterricht ausgefallen oder aufgrund von Quarantäne-Maßnahmen unterbrochen worden. Zweitens ist der Unterricht von den Corona-Bedingungen geprägt. Die Hygienemaßnahmen erfordern viel Zeit (u.a. Händewaschen, Lüften, versetzte Essenszeiten). In vielen Stunden mussten zudem vermehrt Vertretungslehrkräfte eingesetzt werden, weil Kolleg*innen in Quarantäne waren.
Unter diesen Umständen an den Prüfungen nach dem Motto „same procedure as every year“ festzuhalten, wird der Situation nicht gerecht. Dabei geht es nicht darum, einfach die Anforderungen abzusenken. Aber statt eines Zentralabiturs muss es möglich sein, dass Lehrkräfte Aufgaben stellen, die berücksichtigen, was wirklich im Unterricht behandelt werden konnte. Es braucht Möglichkeiten, Prüfungen zeitlich zu strecken und modulhaft abzuwickeln. Zudem müssen Schüler*innen die Möglichkeit haben, freiwillig ein Schuljahr zu wiederholen, ohne dass das bei der Verweildauer angerechnet wird. Und schließlich müssen Schüler*innen an Gymnasien die Möglichkeit erhalten, vom noch verbliebenen G8 auf den G9-Bildungsgang zu wechseln.

Hierzu haben wir einen Antrag im Landtag eingebracht.
Die Ministerin haben wir aufgefordert, bis zur nächsten Ausschusssitzung einen Verordnungsentwurf vorzulegen, um den Schulen einen klaren und eindeutigen Rechtsrahmen für Prüfungen und Versetzungen an die Hand zu geben.
Wir werden auch weiter nachhaken, in der Frage, wann das in der letzten Schulmail angekündigte Videokonferenztool nun endlich an den Start geht. Derzeit gibt es nur Kopfschütteln über die Situation, dass die Schulen auf Systeme zurückgreifen müssen, die datenschutzrechtlich bedenklich sind, aber zumindest funktionieren.
Und schließlich scheint auch das Geld für sachgerechte Lüftungstechnik nicht in den Schulen anzukommen. Was tut das Land, um die Fragen von Schulträgern zu beantworten, die sich bislang nicht durchringen konnten, Gelder aus dem Programm in Anspruch zu nehmen.

Für Rückfragen stehen unser wissenschaftlicher Mitarbeiter für Schule und Weiterbildung, Norbert Czerwinski (norbert.czerwinski@landtag.nrw.de; Tel. 0211/884-2885), und ich gerne zur Verfügung.