Johannes Remmel: Europapolitik Juli 2020

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Liebe Europa-Freundinnen und -Freunde,
nach der Europa-Euphorie im Zusammenhang mit der Europawahl 2019 und der für uns Grüne schwierigen Kommissionsbildung steht die EU aktuell im Zentrum einer großen Krise. Diesmal ist es Corona als globale Pandemie, die das öffentliche und wirtschaftliche Leben weltweit in ungeahnter Weise einschränkt und vielen Menschen Not und Elend bringt. Eine Krise, die schonungslos offenlegt, dass wir in einem globalen Dorf leben, gleichzeitig aber ohne gute Nachbarschaft alleine national völlig hilflos wären. Dazu kommt, dass die Krise alte Gräben in Europa wieder aufgerissen hat: Hier der finanzstarke Norden, der vergleichsweise mühelos Unterstützungsgelder an seine Unternehmen und Bürger*innen auszahlen konnte; dort der finanzkrisengebeutelte Süden und kaputtgesparte Gesundheitsstrukturen. Alleine lassen sich die wirtschaftlichen, finanziellen und gesundheitspolitischen Folgen kaum stemmen. In dieser Situation gilt mehr denn je: Nur ein geeintes, solidarisches Europa kann die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen.
Gleich nach der Sommerpause geht daher zuerst unser Antrag zur Stärkung der europäischen Solidarität in der Corona-Krise in die Beratung im Europa-Ausschuss. Darin fordern wir die Landesregierung u.a. dazu auf, sich verstärkt für grenzübergreifende Kooperationen in der Pandemiebekämpfung einzusetzen – sei es in der Versorgung von Covid19-Patientinnen und -Patienten, bei der Bereitstellung von medizinischem Material oder bei der Kooperation der lokalen Gesundheitsbehörden.
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Der größte Erfolg der letzten Monate war sicherlich die Verfassungsänderung zum 70. Jubiläum unserer Landesverfassung am 18. Juni. Gemeinsam mit CDU, SPD und FDP haben wir einen Europabezug in unsere Verfassung aufgenommen. Von nun an heißt es da in Artikel 1 (3):
,,Nordrhein-Westfalen trägt zur Verwirklichung und Entwicklung eines geeinten Europas bei, das demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist, die Eigenständigkeit der Regionen wahrt und deren Mitwirkung an europäischen Entscheidungen sichert. Das Land arbeitet mit anderen europäischen Regionen zusammen und unterstützt die grenzüberschreitende Kooperation."
Diese Formulierung geht über ein bloßes Bekenntnis zur Europäischen Union noch hinaus, indem es den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes aufgreift und ihn als Handlungsleitlinie für kommende Landesregierungen festschreibt. Damit spiegelt unsere Verfassung nun auch Schwarz auf Weiß wider, was die Menschen in Nordrhein-Westfalen ohnehin schon seit Jahrzehnten denken und leben: Frieden, Wohlstand und Nachhaltigkeit in NRW sind untrennbar mit dem europäischen Einigungsprozess verbunden.
An dieser Stelle ist es mir besonders wichtig zu betonen, dass diese Initiative zur Verfassungsänderung ganz maßgeblich von der Zivilgesellschaft vorangetrieben worden ist. Namentlich die Europa Union NRW hat mit ihrem Engagement dazu beigetragen, ein wichtiges Anliegen der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in das Parlament zu tragen und schlussendlich in der Verfassung festzuschreiben.
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Natürlich gelingt es nicht immer, einen so breiten parlamentarischen Konsens herzustellen. Unsere Initiative zum Europäischen Grünen Deal haben die Koalitionsfraktionen abgelehnt. Dabei kann genau dieses Instrument entscheidend dazu beitragen, Europa in eine grünere, nachhaltigere Zukunft zu führen und gleichzeitig die Folgen der aktuellen Corona-Krise abzumildern. Für die im Grünen Deal festgeschriebenen Gesetze, Initiativen und Maßnahmen bedarf es eines umfassenden Investitionsprogramms. Jetzt ist die Chance, diese Investitionen in nachhaltige Bahnen zu lenken, grünes Wachstum zu fördern  und umweltschädliche Subventionen abzubauen. Nur so können wir sowohl der Klimakrise als auch den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise gezielt entgegenwirken.
Wir fordern deshalb von der Landesregierung, dass sie nicht nur alle Maßnahmen des Grünen Deals konsequent umsetzt und ambitioniert auf ein klimaneutrales NRW bis spätestens 2050 hinarbeitet. Sondern auch, dass sie sich auf allen Ebenen dafür einsetzt und im Rahmen der eigenen Kompetenzen dafür sorgt, dass der Europäische Grüne Deal, das Pariser Klimaschutzabkommen und die nationalen Klimaschutzziele, die in der EU-Taxonomie dargelegten sechs EU-Umweltziele und die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (SDG) ab sofort und durchgehend den Rahmen aller politischen Programme bilden. Hierfür ist bei CDU und FDP leider noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten – wir bleiben dran!
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In eine ähnliche Richtung geht unser Antrag zur Klimadiplomatie der EU, in dem wir die Landesregierung aufgefordert haben, die klimadiplomatischen Beziehungen der EU zu unterstützen. Die deutsche Ratspräsidentschaft seit 1. Juli 2020 bietet optimale Voraussetzungen, Einfluss auf die Klimadiplomatie der EU zu nehmen – beispielsweise über eine klimapolitische Schwerpunktsetzung bei wichtigen diplomatischen Ereignissen wie dem EU-China-Gipfel 2020. Hierauf muss die Landesregierung über Europaministerkonferenz und Bundesrat hinwirken. CDU und FDP meinen dagegen, in diesem Bereich schon genug zu leisten. Dabei muss die Landesregierung zuerst einmal auch ihre eigenen diplomatischen Beziehungen endlich konsequent an klimapolitischen Fragestellungen ausrichten, insbesondere mit den Beneluxstaaten und NRWs Partnerregionen weltweit.
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Ein weiteres wichtiges Anliegen war mir unser Antrag zum Stopp des EU-Mercosur-Abkommens. Die Anhörung im Europaausschuss hat verdeutlicht, wie wichtig unsere Initiative hier war. Denn für ein bisschen mehr wirtschaftlichen Erfolg werden der Fortbestand des Amazonasregenwaldes, das Weltklima sowie der Lebensraum und die Gesundheit von Menschen riskiert. Die Regelungen im Mercosur-Abkommen zum Umwelt- und Klimaschutz sind völlig unzureichend, da sie zu unverbindlich und vor allem nicht sanktionsbewehrt sind. Die Eindämmung der Waldrodungen, verbesserte Arbeitsbedingungen für die Menschen vor Ort und der Schutz der indigenen Bevölkerung bleiben mit diesem Abkommen nichts als Utopie. Leider überwiegen bei CDU und FDP wieder einmal die wirtschaftlichen Interessen gegenüber Umweltschutz und Sozialstandards – obwohl selbst unsere heimische Landwirtschaft äußerst besorgt ist über die Auswirkungen des Abkommens, da die Dumping-Konkurrenz aus Südamerika den ohnehin schon hohen Druck auf die Branche weiter steigern würde.
Wer sich vertieft mit den möglichen Folgen des EU-Mercosur-Abkommens auseinandersetzen möchte, dem*der sei diese von argentinischen Wissenschaftler*innen im Auftrag der Grünen-Europafraktion erstellte Studie empfohlen (englische Langfassung und deutsche Kurzfassung verfügbar).
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Zu guter Letzt haben wir im Europaausschuss zu verschiedenen aktuellen Themen Berichte der Landesregierung erbeten und diskutiert:

  • Weiterentwicklung des Karlspreises: Bericht und Ausschussprotokoll
  • Errichtung einer „Akademie für Internationale Politik in Bonn“: Bericht und Ausschussprotokoll
  • Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Staatsanleihekaufprogramm der EZB auf den europäischen Einigungsprozess und NRW: Bericht; Ausschussprotokoll erscheint in Kürze auf der Website des Landtags
  • Biodiversitätsbericht des Europäischen Rechnungshofes: Bericht; Ausschussprotokoll erscheint in Kürze auf der Website des Landtags

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Ich wünschen Euch und Ihnen einen erholsamen Sommer und vor allen Dingen gute Gesundheit! Ich würde mich über Rückmeldungen und Anregungen sehr freuen.

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