Inklusion im neuen Schuljahr

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Anmeldungen zum neuen Schuljahr sind so gut wie abgeschlossen und die Schulen bereiten sich jetzt schon auf das neue Schuljahr vor. Die Schulaufsicht hat festgelegt, welche Schulen Orte Gemeinsamen Lernens sind. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind in der Regel schon zugewiesen. In den Verteilungskonferenzen waren die Schulleitungen häufig nicht eingebunden.
Die Landesregierung hatte mit den Eckpunkten zur Neuausrichtung der schulischen Inklusion angekündigt, dass mit dem Schuljahr 2019/2020 eine neue Qualität Einzug halten soll. Nur Schulen mit Konzepten und fortgebildetem Kollegium (oder in Fortbildung befindlich) sollten Orte Gemeinsamen Lernens werden bzw. bleiben können. Eine ausreichende personelle Ausstattung sei garantiert und es gelte die Deckelung der Klassengröße von 25 bei 3 Schüler*innen mit Förderbedarf und anderthalb Stellen.
Ich hatte in verschiedenen Kleinen Anfragen nach der Umsetzung gefragt und enttäuschende und ernüchternde Antworten erhalten. Die von Elternverbänden bezweifelte „Zauberformel“ „25-3-1,5“ entpuppte sich dann auch als nicht belastbares Versprechen. Sie wurde als Rechenformel entlarvt, die die Deckelung der Lerngruppengrößen nicht gewährleistet.
In Kleinen Anfragen frage ich immer den Sachstand und die Konsequenzen der neuen Steuerung ab. Aktuell, welche Schulen zu welchem Förderschwerpunkt als Orte Gemeinsamen Lernens bestimmt wurden. Des Weiteren, wo die räumlichen und sächlichen Voraussetzungen erst geschaffen werden müssen. Die Antworten der Landesregierung stehen noch aus.
Deutliche Ungleichheiten bei den Schulformen
Die UN-Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten zum Aufbau eines inklusiven Schulsystems. Diese Verpflichtung bezieht selbstverständlich alle Schulformen mit ein. In NRW gibt es seit 1981 Schulen, die Gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung praktizieren. Es waren vor allem die Gesamtschulen, die sich diesem Modellprojekt öffneten. In den letzten Jahren haben sich aber auch vermehrt Gymnasien der Inklusion zugewandt. CDU-FDP haben in ihrer Koalitionsvereinbarung aber schon anklingen lassen, dass sie Inklusion vor allem als Aufgabe der Gesamtschulen sehen. In den Eckpunkten zur Neuausrichtung der schulischen Inklusion wurde dann festgelegt, dass Gymnasien in der Regel nur zielgleich unterrichten sollen. Damit wurden die Gymnasien ermutigt, sich aus der Beschulung vor allem der Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungen zu verabschieden, die in der Regel zieldifferent unterrichtet werden. Das ist aber die weitaus größte Gruppe der Schüler*innen mit Förderbedarf. Landesweit haben die Gymnasien von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, teilweise gegen innere Überzeugung: Sie sehen die neuen Regelungen nicht mehr ausreichend an.
Die integrierten Schulformen, also Gesamt-, Sekundar- Gemeinschafts- und Primusschulen, beurteilen die Ausstattung ebenso als kritisch, aber genau sie sind es, die nun wegen des Rückzugs der Gymnasien noch mehr Kinder aufnehmen müssen. Die zugesagten Stellen sind noch nicht einmal überall zugewiesen geschweige denn besetzt. Ob sie mit Sonderpädagog*innen, mit Regellehrkräften besetzt werden können oder als multiprofessionelle Stelle, viele Schulen gehen schon jetzt davon aus, dass bis weit in das Schuljahr hinein die Besetzungsverfahren laufen. Die Möglichkeiten der Kapitalisierung werden nicht ausgeweitet. Das Geld, was zur Unterrichtsversorgung im Haushalt steht, fließt dann an den Finanzminister zurück, wenn Besetzungsverfahren ins Leere laufen.
Besonders an den Gesamtschulen schlägt nun auf, dass sich die zugesagte Klassengröße von 25 Schüler*innen beim Gemeinsamen Lernen als leeres Versprechen entpuppt hat. Die Landesregierung hat  die entsprechenden Verordnungen zur Klassengröße nicht angepasst.
In der Verordnung zu §93 Schulgesetz werden die Schüler-Lehrer-Relationen jährlich festgelegt. Für die früheren integrativen Lerngruppen gab es hier eine Deckelung auf 25 Schüler*innen. Diese Regelung wurde nun bei der Neufassung ersatzlos gestrichen. Die Landesregierung hätte sie nutzen können. Die Gesamtschulen sind gezwungen, die Klassen „aufzufüllen“, sofern noch Nachfrage besteht. Und die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen ist landesweit immer noch höher als das Angebot.
Das macht den Handlungsbedarf für die Schulentwicklungsplanung auf der kommunalen Ebene deutlich. Es wäre in diesem Sinne hilfreich, die konkrete Situation der integrierten Schulen in den Blick zu nehmen und mit ihnen die Bedarfe zu besprechen. Denn eine Reihe von Gesamt- und Sekundarschulen hat in Resolutionen und Briefen an das Ministerium ihre dramatische Lage in der personellen Ausstattung im Verhältnis zur Zahl der zugewiesenen Schüler*innen geschildert. Ich habe die Landesregierung hierzu gefragt. Die Antwort ist enttäuschend. Offensichtlich sieht die Regierung diese breiten Proteste als ein Zeichen individueller Überlastung und leugnet die strukturellen Probleme.
Von konservativer Seite wird betont, dass die Gymnasien sich doch gar nicht aus der Inklusion verabschieden würden, sondern natürlich zielgleiche Inklusion praktizieren. Ein Blick in die Statistik zeigt das herrschende Ungleichgewicht.
Teilt man allein die Zahl der zielgleich unterrichteten Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf durch die Anzahl der Schulen, so sind das pro Gymnasium rechnerisch 1,6 Schüler*innen. Bei den integrierten Schulen sind es 15,49 Schüler*innen. Und hier kommen die zieldifferent unterrichteten Schüler*innen noch hinzu.
Anstatt eine Schulform, in die im Landesdurchschnitt über 40% der Schüler*innen in die Sekundarstufe-I wechseln im gelingenden Umgang mit Heterogenität zu stärken und Schulentwicklung zu einem inklusiven Schulsystem zu unterstützen, wird Schulentwicklung zurückgedreht.
10 Jahre UN-Konvention
Vor 10 Jahren trat die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Kraft. Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist von der Bundesrepublik als Monitoringstelle beauftragt worden, die Umsetzung kritisch zu begleiten und zu bewerten. Das Land NRW hat darüber hinaus das Deutsche Institut für Menschenrechte beauftragt, auch die landeseitige Umsetzung zu begleiten. Das Institut hat im Januar 2019 einen Bericht vorgelegt und dabei vier Bereiche besonders in den Blick genommen: selbstbestimmt Wohnen, Recht auf Mobilität, inklusive Bildung und Recht auf Arbeit. Dabei wurden eingeleitete Maßnahmen bewertet und Hinweise für zukünftige Maßnahmen gegeben. Die grüne Landtagsfraktion wird die Landesregierung in weiteren Anträgen auffordern, Konsequenzen aus dem Bericht zu ziehen. Den Anfang machte der Antrag zur schulischen Inklusion. Hier meine Rede dazu.
Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion werfen viele Fragen auf
Die Eckpunkte zur Neuausrichtung der Inklusion vom Sommer 2018 waren für uns seitdem auch Anlass, mit mehreren Kleinen Anfragen die Landesregierung nach den Auswirkungen, aber auch nach der Ernsthaftigkeit der Versprechen zu fragen. Zur Übersicht über dieses Thema sind die Ergebnisse hier noch einmal aufgeführt:
Wir haben aus der Perspektive der Schulträger gefragt. Die Anfrage zur personellen Ausstattung ist vor allem für die Klassen, in denen schon jetzt Gemeinsames Lernen praktiziert wird, eine Enttäuschung. Und die Deckelung auf durchschnittlich 25 Schüler*innen ist nicht belastbar. Die neue Inklusionsformel wird von der Ministerin inzwischen lediglich als Rechenformel bezeichnet.
In der Antwort auf eine weitere Anfrage hat die Landesregierung alle Orte des  Gemeinsamen Lernens für das Schuljahr 2018/2019 aufgeführt. Doch das wird sich noch reduzieren. So haben zum Beispiel alle Gymnasien in Essen sich nun entschieden, sich wegen der verschlechterten personellen Ausstattung, aus dem Gemeinsamen Lernen zurückzuziehen. Damit wächst der Druck auf die Sekundar- und Gesamtschulen. Die in den Eckpunkten vorgesehenen Voraussetzungen, wie das Vorliegen eines Inklusionskonzepts, die Angabe der Höchstzahl der zuzuweisenden Kinder und die Fortbildung des gesamten Kollegiums können offenbar von der Bezirksregierung nicht mehr ausreichend geprüft werden. Deshalb haben wir erneut nachgefragt.
Im vorherigen Plenum haben wir deshalb die Landesregierung aufgefordert:
Enttäuschte Schulen ernst nehmen – Inklusion verbessern
Schulministerin Gebauer hält bei der Inklusion ihre eigenen Versprechen nicht ein. An vielen Schulen machen sich Ernüchterung und Enttäuschung breit. Die Landesregierung muss schnell für Verlässlichkeit sorgen, indem sie jetzt sofort den Schulen die Ausschreibung ermöglicht und Stellen für multiprofessionelles Personal öffnet. Für die kommenden neuen Jahrgangsteams müssen jetzt schon Fortbildungen angeboten und Fortbildungstage ermöglicht werden.
Das ist alles nicht passiert.
Das konsequente Nachhaken und auf den Zahn fühlen bringt aber doch Ergebnisse. Vorbereitende Fortbildungen zu gewährleisten wurde versäumt. Nun wird es aber, so die Ministerin im Plenum am Mittwoch, einen dritten PÄDAGOGISCHEN TAG geben.
Herzliche Grüße
Ihre/Eure
Sigrid Beer

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