Bewertung der Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels

Kommunalinfo

Liebe Freundinnen und Freunde,
bereits beim vergangenen Flüchtlingsgipfel der Länder mit der Bundesregierung am 18. Juni dieses Jahres wurden grundsätzliche Beschlüsse zur Beschleunigung der Asylverfahren, zur Öffnung der Integrationskurse für Asylsuchende, zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, zur Gesundheitskarte und zu einer möglichen strukturellen finanziellen Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge getroffen. Gestern haben sich nunmehr die MinisterpräsidentInnen der Länder und die Bundeskanzlerin auf ein konkretes Maßnahmenpaket verständigt.
Der Verhandlungsprozess gestaltete sich in den vergangenen Wochen äußerst schwierig, da die unterschiedlichen Interessen zum Teil hart aufeinanderprallten. Der gefundene Kompromiss stellt einen Interessensausgleich zwischen den unterschiedlich regierten Bundesländern und der Großen Koalition dar, dem die rot-grüne Landesregierung im Bundesrat zustimmen wird. Dies tun wir Grüne als Teil dieser Regierung in Verantwortung für die Geflüchteten und für die Kommunen, die angesichts der aktuellen Entwicklung dringende Unterstützung brauchen. In einer intensiven Abwägung von „Licht und Schatten“, die wir uns nicht leicht gemacht haben, überwiegen die Verbesserungen, die wir für die Menschen und unsere Kommunen erreichen konnten. In einem engen Schulterschluss mit der SPD in der NRW-Koalition haben wir eine gemeinsame Linie in den Verhandlungen vertreten, die durch Hannelore Kraft unterstützt von Sylvia sehr gut und hart verhandelt wurde. Mit dieser ersten Bewertung der Beschlüsse möchten wir die einzelnen Maßnahmen erläutern und den Entscheidungsprozess transparent machen.

Das haben wir verhindert:

Nachdem der Bundesinnenminister den Ländern umfangreiche Verschärfungen im Asylrecht als Einstieg in den Verhandlungsprozess vorgelegt hatte, gab es zu Recht eine Welle der Empörung. Man konnte meinen, dass alle Schubladen im Innenministerium ausgeräumt wurden, um die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, die alte Abschreckungs- und Schikanepolitik umzusetzen. Diese Vorschläge aus der Giftkiste konnten weitestgehend rausverhandelt werden. Dazu zählen vor allem:

  • die Umsetzung der EU-Asylverfahrensrichtlinie und der EU-Aufnahmerichtlinie in einem Hauruck-Verfahren, die jetzt stattdessen in einem gesonderten, ordentlichen Prozess auf den Weg gebracht werden sollen
  • die Schaffung eines Status unterhalb der Duldung mit Arbeitsverbot und Residenzpflicht
  • die Einführung eines neuen Grenzverfahrens mit Schnellverfahren durch die Bundespolizei an der Grenze und Inhaftierungsmöglichkeiten
  • die Einstufung weiterer Staaten als „sichere Drittstaaten“, mit faktischem Ausschluss vom Asylverfahren
  • die Ausweitung der Leistungskürzungen auf eine größere Gruppe von Geflüchteten auf das „physische Existenzminium“
  • die Inhaftierungsmöglichkeiten von besonders Schutzbedürftigen

Darüber hinaus konnten noch in den letzten Verhandlungsrunden weitere Restriktionen abgemildert werden.

Die Schattenseiten des Kompromisses

Die Zugeständnisse, welche die von Grünen mitregierten Länder nach langem Ringen an die Bundesregierung machen mussten, können wir vertreten. Wir wollen Euch diese Schattenseiten des Kompromisses aber nicht vorenthalten, sondern offen benennen:
Zukünftig wird es den Bundesländern ermöglicht, Asylsuchende für bis zu sechs Monate – bzw. im Falle von Asylsuchenden aus den „Sicheren Herkunftsstaaten“ auch bis zum Abschluss des Verfahrens – in den Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen. In NRW lehnen wir diese Regelung weiterhin ab und haben eine verbindliche Einigung in der Koalition, sie nicht anzuwenden, sondern Geflüchtete wie jetzt auch nach maximal drei Monaten auf die Kommunen zu verteilen. Leider konnten wir aber nicht verhindern, dass anderen Bundesländern diese Möglichkeit nunmehr eröffnet wird und sie unter Umständen davon Gebrauch machen werden.
Ähnlich verhält es sich mit der Ausgabe des Taschengeldes in Form von Sachleistungen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Auch in diesem Fall haben wir eine verbindliche Einführung für alle Bundesländer erfolgreich verhindert und die Klausel des „vertretbaren Verwaltungsaufwandes“ in das Paket hineinverhandelt. Auch in diesem Fall werden wir in NRW von der Regelung keinen Gebrauch machen. Es bleibt aber den anderen Bundesländer überlassen, diese Regelung umzusetzen.
Der ursprünglich umfangreiche Ausbau der Möglichkeiten zur Leistungskürzung konnte bis auf einen kleinen Rest verhindert werden. Leistungen können künftig allerdings für „vollziehbar Ausreisepflichtige, die schuldhaft die Ausreisemöglichkeit nicht wahrnehmen“ auf das unabdingbar Notwendige gekürzt werden. Konkret heißt dies: Wenn Abschiebetermin und Reisemöglichkeit feststehen und sich der oder die Ausreisepflichtige den Abschiebemaßnahmen absichtlich entzieht, können die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz reduziert werden. Auch wenn wir davon ausgehen, dass es sich bei dieser Regelung um eine sehr kleine Zielgruppe und kurze Zeiträume der Kürzung handelt, können durch die Neuregelung erhebliche Verschlechterungen für einzelne Personen entstehen und wir müssen die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen.
Eine weitere Schattenseite des Kompromisses ist das absolute Beschäftigungsverbot für Asylsuchende aus den „Sicheren Herkunftsländern“ während des Asylverfahrens oder wenn der Antrag abgelehnt wurde. Dass es nur für Personen, die nach dem 1. September 2015 einen Asylantrag gestellt haben, gilt, zeigt, dass es hier darum geht, einige Gruppen vom Stellen eines Asylantrags abzuhalten. Diese Abschreckungspolitik sehen wir weiterhin kritisch.
Bevor die Bundesregierung die Verhandlungen mit ihrer Giftliste verschärfte, drehte sich die Aufmerksamkeit sowohl der Öffentlichkeit als auch vieler aus dem Grünen Spektrum in erster Linie um die Einstufung weiterer Staaten als „Sichere Herkunftsstaaten“. Weil uns klar war, dass neben Symbolpolitik und Stigmatisierung auch tatsächliche materielle Verschlechterungen zur Debatte standen, haben wir uns die Entscheidung auch hier nicht leicht gemacht. Wir haben die Einstufung in einem schwierigen Abwägungsprozess schließlich in Kauf genommen, weil wir auf der anderen Seite auch reale Verbesserungen für die Menschen aus der Region des Westbalkans erreichen konnten.

Fortschritte und Verbesserungen für Geflüchtete und Kommunen

Zu den Verbesserungen für die Menschen in und aus den „Sicheren Herkunftsstaaten“ gehört zunächst die verbindliche Zusage der Bundesregierung zu einem größeren Engagement bei der Beseitigung der Fluchtursachen. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation insbesondere für Minderheiten halten auch wir GRÜNE für eine zentrale Komponente bei der Bewältigung der europäischen Flüchtlingskrise. Die Bundesregierung steht hier jetzt in der Pflicht.
Hinzu kommt der Einstieg in eine neue Einwanderungspolitik. Für Angehörige der Staaten des Westbalkans gibt es zukünftig die Möglichkeit der legalen Migration, sofern ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz vorgewiesen werden kann. Es ist uns also gelungen, für Deutschland einen Einwanderungskorridor zu öffnen und endlich Möglichkeiten zur Arbeitsmigration ohne Obergrenze (!) zu schaffen. Eine Sperre für 24 Monate gilt für Personen, die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes einen Asylantrag stellen. Wir werden ein Auge darauf haben, dass die zugesagten „praktikablen und vereinfachten“ Verwaltungsverfahren mit Beratungstätigkeit der diplomatischen Vertretungen auch umgesetzt werden.
Auch bei der Verantwortungs- und Lastenverteilung innerhalb der Bundesrepublik ist ein echter Fortschritt erzielt worden. Der Bund kommt seiner Verantwortung endlich nach, und finanziert einen Teil der Kosten, die für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge entstehen – vor allem über eine Pro-Kopf-Pauschale in Höhe von 670 Euro pro Monat. Ebenso beteiligt er sich in 2016 mit 350 Millionen Euro an den Kosten für die Unterbringung und Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die unsere Kommunen derzeit vor enorme Herausforderungen stellen. Verbesserungen für die bisher besonders „belasteten“ Kommunen ergeben sich hier auch durch das neue Gesetz zur Verteilung der unbegleiteten Jugendlichen, das zum 1. November in Kraft treten soll. Dass der Bund die durch den Wegfall des Betreuungsgelds frei werdende Mittel nutzen wird, um Länder und Kommunen bei der Verbesserung der Kinderbetreuung unter anderem von Flüchtlingskindern zu unterstützen, ist ebenso positiv zu bewerten.
Aus der Perspektive der Eine-Welt-Politik begrüßen wir auch die verbindliche Aufstockung der Mittel zur Krisenbewältigung und Fluchtursachenbekämpfung. Hier muss einiges geschehen, damit Menschen in ihrer Heimat bleiben können und eine sichere Zukunft finden.
Echte Verbesserungen für die Geflüchteten ergeben sich auch durch die bedarfsgerechte Öffnung der Integrationskurse für Asylsuchende schon während des Asylverfahrens. So kann eine Integration von Anfang an stattfinden. Auch wenn diese Regelung auf einzelne Flüchtlingsgruppen beschränkt ist – sie ist ein Einstieg und ein Schritt in die richtige Richtung, der vor allem mit einer Anpassung an den bestehenden Bedarf nach mehr Integrationsleistungen verbunden ist.
Verbesserungen, die Geflüchteten und auch Kommunen zugutekommen, sind die verbindlichen Vereinbarungen zur Asylverfahrensbeschleunigung. Das im Asylverfahrensgesetz festgelegte Drei-Monats-Ziel für die Antragsentscheidung wurde nicht nur bekräftig, sondern es wurden auch konkrete Maßnahmen zur Entbürokratisierung – wie die faktische Aussetzung der Widerrufsverfahrens – vereinbart. Dass die Zahlung der schon erwähnten Flüchtlingspauschale durch den Bund an die Zeit der Antragsbearbeitung gebunden wird, mag hier auch dazu beitragen, dass es nicht bei rhetorischen Bekenntnissen bleibt.
Im Hinblick auf die Probleme in den Kommunen und auch vor dem Hintergrund eines möglicherweise gefährdeten gesellschaftlichen Willkommensklimas war uns auch die Schaffung eines Wohnungsbauprogramms wichtig. Erleichterungen bei der Regulierung und eine erhebliche Aufstockung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau werden die Unterbringungssituation hoffentlich ebenso entspannen, wie die Zusage der Bundesregierung, den Kommunen weitere Bundesimmobilien und -liegenschaften zur Verfügung zu stellen.
Last but not least konnten wir erreichen, dass die Bundesländer nunmehr die Gesetzlichen Krankenversicherungen zur Einführung einer Gesundheitskarte für Geflüchtete verpflichten können. Was in NRW schon auf freiwilliger Basis gelungen ist, wird nun in den anderen Bundesländern erleichtert. Für NRW konnten wir einen Bestandsschutz für unsere Regelung erreichen.
Den gemeinsamen Beschluss der MinisterpräsidentInnen und der Bundeskanzlerin gibt es hier zum Nachlesen.
Mit freundlichen Grüßen
Mehrdad Mostofizadeh & Monika Düker

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