Bericht vom Runden Tisch Schulzeitverkürzung

Kommunalinfo

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
mit diesem Kommunalrundbrief möchte ich ausführlicher über den Runden Tisch Schulzeitverkürzung zum G8/G9 an Gymnasien in NRW informieren. Unsere Schulministerin Sylvia Löhrmann hatte dazu für den 5. Mai in die Staatskanzlei eingeladen. Welche Argumente wurden ausgetauscht? Wie ist die Diskussion verlaufen? Und nicht zuletzt: Wie geht es weiter?

So wurde diskutiert:

Einvernehmliches Ergebnis des Runden Tisches war: Wir brauchen Zeit, wenn wir uns sorgfältig mit der Frage der Zeit für unsere Kinder beschäftigen wollen. Gleichzeitig war klar: Entscheidungen sollen nicht auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden. In der Debatte gab es keine Tabus. Alle konnten sich umfänglich einbringen, es gab keine Begrenzung von Redezeiten. Die Ministerin betonte, dass ergebnisoffen diskutiert wird.
Drei Stunden wurde diskutiert, und am Ende wurde einvernehmlich von allen Beteiligten ein Arbeitsprozess vereinbart, der bis zu den Herbstferien abgeschlossen sein soll. Danach sollen die Empfehlungen des Runden Tisches dem Parlament vorgelegt werden – so, wie schon die Bildungskonferenz ihre Empfehlungen an das Parlament als Grundlage für die politischen Entscheidungen übergeben hatte. Somit ist auch allen klar: Die Entscheidungen trifft das Parlament.
Es wird drei Arbeitsgruppen mit den folgenden Themen geben:

  • Schulzeit/Freie Zeit: Wie sollte Ganztag aussehen, wieviel Ganztag muss sein, was ist mit Kunst, Musik, Sport, Gemeinde? Wie sieht es aus mit dem ehrenamtlichen Engagement der Jugendlichen?
  • Entlastung ohne Qualitätsverlust: Welche weiteren Entlastungen wären möglich bei der Durchsicht der Lehrpläne, der Unterrichtkonzepte, der Gestaltung der Stundentafeln, Klassenarbeiten, Haus-bzw. Schulaufgabenkonzepten? Wie gelingt eine verlässliche und verbindliche Umsetzung der Maßnahmen aus den bereits definierten Handlungsfeldern in der Fläche?
    Die Handlungsfelder auf dem Bildungsportal NRW: http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/g8/angebot-home/handlungsfelder-in-g8.html
  • Evaluation auf den Weg bringen: Veränderungen brauchen die Fundierung durch eine gründliche Evaluation. Es gibt erste empirische Erkenntnisse, aber die Datenlage über den Stand G8 reicht nicht aus. Es bleibt weitere Forschung notwendig. Wie kann bzw. soll eine verlässliche Evaluierung aussehen? Welche Kriterien sind zu berücksichtigen? Was würde das für das weitere Procedere bedeuten?
Wer hat diskutiert?

Gut 40 Personen nahmen am Runden Tisch in der ersten Zusammenkunft teil. Schulministerin Sylvia Löhrmann hatte nicht nur Expert*innen aus den Gymnasialverbänden, Eltern, Lehrerverbänden und Direktorenvereinigungen eingeladen. Mit in der Runde saßen die LandesschülerInnenvertretung,  kommunale Schulträger, Ersatzschulträger, Vertreter der Grundschuleltern, der Stadtschulpflegschaften, Wissenschaftler*innen und Wirtschaftsverbände. Selbstverständlich saßen auch die Vertreter*innen der Initiativen „Gib-Acht“ und „G9-jetzt“ mit am Tisch, die ihrerseits auch zusätzliche Expert*innen mitbringen konnten und davon auch Gebrauch machten. Die Teilnehmer*innen hoffen, dass die Arbeitsgruppen dazu beitragen, die häufig noch emotional geführte Diskussion zu versachlichen.

Was wurde in der Diskussion vorgetragen?

Dieser Bericht ist kein Wortprotokoll, er gibt einen Überblick über die vorgetragenen Positionen und stellt sie vor.
In einer Sache waren sich Befürworter und Gegner des G8 einig. Die Idee von Wahloptionen G8 oder G9 an einer Schule aber auch zwischen den Gymnasien sollten nicht weiter verfolgt werden. Die Mahnungen zu Wahloptionen lauteten, erstens keinen gymnasialen Flickenteppich zuzulassen  und zweitens keinen Streit innerhalb der und zwischen den Gymnasien auszulösen – deshalb der klare Wunsch: eine Struktur für alle Gymnasien.
Dem stimmten auch die Initiativen zu, die eine grundsätzliche Rückkehr zum G9 für alle Gymnasien fordern.
Sie kritisierten noch einmal die zunehmende Belastung der Schüler*innen, mangelnde Freizeit und damit auch Möglichkeiten, sich in Vereinen, Sport oder Musik zu engagieren. Sämtliche Verbesserungsmaßnahmen seien gescheitert. Die Qualität und das Niveau der Anforderungen an Gymnasien sei gesunken. Deshalb seien auch „Entschlackungen“ von Lehrplänen eher fragwürdig. Grundsätzlich sei durch die Umfragen, wie aktuell noch einmal beauftragt und veröffentlicht, klar dargelegt, was die Bevölkerung will und die Politik nun umzusetzen habe, nämlich die Rückkehr zum G9. Außerdem müsse auch die überwiegende Ablehnung des Ganztags durch die Eltern berücksichtigt werden.
Eine Schulleiterin aus Hessen berichtete von ihren Erfahrungen mit der Umstellung auf G9, was zunächst wegen der Wahloption zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Gymnasien geführt habe, bis sich die Landschaft neu geordnet habe. Die Auseinandersetzung sei z.B. darüber geführt worden, „Welches Gymnasium kriegt die besten Schüler*innen?“ Dieses Beharken sei aber beendet. Sie räumte ein, dass viele Probleme in der Schule unabhängig von G8 seien, zeigte sich aber überzeugt, mit der Rückkehr zu G9 für die Schule und Schüler*innen für mehr Qualität zu sorgen.
G8-Ideolog*innen waren in der Runde eh nicht zu finden. Im Gegenteil: Viele Teilnehmer*innen verwiesen darauf, dass sie den G8-Plänen grundsätzlich bzw. in der CDU-FDP-Version, die Schulzeitverkürzung schließlich in der Sekundarstufe I anzulegen, kritisch gegenüber gestanden haben. Dies hat im Übrigen auch Ministerin Löhrmann für sich selbst noch einmal bestätigt.
„Ich war eigentlich gegen G8, jetzt bin ich aber gegen die Rückkehr zu G9“, fasste ein Teilnehmer stellvertretend für die Mehrheit in den Gymnasialverbänden und Gewerkschaften die Position zusammen. Die Befürchtungen, die zu einer solchen Haltung führen, wurden wie folgt dargelegt: Die Schulentwicklungsprozesse sind intensiv und fordern viel Engagement., In den vergangenen Jahren wurden viele pädagogisch notwendige Entwicklungen angestoßen und es braucht Verlässlichkeit für das Weiterarbeiten. Es darf kein ständiges Hin und Her geben.
„Das alte G9 wird es nie wieder so geben, wie es vor 10 Jahren gewesen ist.“ Diese Äußerung wurde von allen außer den G9-Initiativen geteilt.
Die Bedarfe für den Ganztag auch an Gymnasien hätten sich grundsätzlich weiterentwickelt. Auch die Vorgaben der Kultusministerkonferenz (KMK) seien heute andere als vor 10 Jahren und ließen ein altes G9 gar nicht mehr zu. Das betrifft übrigens auch das frühere rot-grüne G8-Modell (6+2). Ca. 10 Jahre Diskussion über die Einführung von G8 und der anstrengende Prozess seien genug, jetzt solle nicht schon wieder eine Strukturdebatte die nächsten Jahre begleiten.
Verwiesen wurde auf folgende Entwicklungen seit 2006:
Die Stundentafeln wurden für alle Schulformen in der Sekundarstufe I in NRW ausgebaut. Mittlerweile haben sich u.a. auch die KMK-Vorgaben für die gymnasiale Oberstufe noch einmal verändert. Die Zahl der Übergänge an das Gymnasium ist trotz G8 weiter gewachsen. Die Zahl der Schulen, die eine G-9-Alternative anbieten, ist weiter gewachsen. Der Schulkonsens hat die Weichen anders gestellt mit der Einführung der Sekundarstufe und der Kooperation mit Gymnasien.
Allerdings wurde Handlungsbedarf reklamiert z. B. bei

  • der Begrenzung und Gestaltung des Nachmittagsunterrichts,
  • Flexibleren Ganztagsvarianten für das Gymnasium
  • der Gestaltung des Unterrichts besonders in den Jahrgängen 5 und 6,
  • der Verwendung der Ergänzungsstunden,
  • einer klaren Trennung von Kernstunden und Zusatzstunden,
  • der Umsetzung des Hausaufgabenerlasses,
  • der 2. Fremdsprache in der SEK I.
  • Evaluierung der Lehrpläne

Die LandesschülerInnenvertretung beklagte, dass es schwieriger geworden sei, Schüler*innen für die SV-Arbeit zu gewinnen, bzw. Zeit und Raum dafür in den Schulen zu finden. Auch das wird ein Punkt sein, der in der AG Schulzeit/Freie Zeit ausführlicher zur Sprache kommen wird, ebenso wie das Problem der stressauslösenden Erwartungen der Eltern an die Schüler*innen und die Schule. Auch dies ein Befund, der nicht monokausal G8 zugeschrieben werden könne, sondern häufig schon in der Grundschule zu beobachten sei, aber im G8 besonders wirkt. Darauf wies Dr. Seeger von der Sana-Klinik Remscheid hin.
Vertreter*innen der Wissenschaft verwiesen darauf, dass es zwar keine umfängliche Forschung gäbe, doch Hinweise durch Studien zu Auswirkungen von G8. So zum Beispiel die Untersuchung mit 3500 Studienanfänger*innen der Uni Duisburg-Essen aus G8- und G9-Abiturjahrgang z. B. bezüglich der Studierfähigkeit, Lernstrategien, Selbstorganisation oder Fachinteresse. Die Annahme, dass bestimmte personale und methodische Kompetenzen bei Absolvent*innen des kürzeren Bildungsgangs weniger stark ausgeprägt sind, hätte nicht bestätigt werden können. Außer dem Altersdurchschnitt der befragten Studienanfänger*innen(18,3 statt 19,5) in NRW seien keine bedeutsamen Unterschiede festzustellen gewesen. https://blogs.uni-due.de/students-first/2014/02/27/doppelter-abiturjahrgang-studie-zeigt-keine-unterschiede-zwischen-g8-und-g9-zu-studienbeginn/ Ein Hinweis zum gesteigerten Nachhilfeaufkommen. Das nehme schon in der Grundschule immer mehr zu. Es sei kein kausaler Zusammenhang mit G8 festzustellen. Fazit der Wissenschaftler*innen: Die bisherige Datenlage lässt es zu, sich die notwendige Zeit für weitere, vertiefende Evaluierung zu nehmen.
Vertreter*innen der Kommunalen Spitzen formulierten z. B. Fragestellungen in Bezug auf ggf. erweiterten Raumbedarf an Gymnasien, falls wieder ein Jahrgang zusätzlich untergebracht werden müsse. Im Blick über die Landesgrenzen wurde ein zweites Mal auf Hessen verwiesen. In Kassel gebe es nach der Rückkehr zu G9 neue Fragen: Was ist mit der individuellen Förderung durch die Schule, wenn die Schüler*innen jetzt um 14.00 Uhr zuhause seien. Viele Eltern hätten sich die Rückkehr anders vorgestellt und beschwerten sich nun über den fehlenden Ganztag. Die Schuldezernentin dort beklage, dass die zuvor eingerichteten Mensen ungenutzt blieben.
Es gab noch weitere Erörterungen, die an dieser Stelle nicht im Detail dargestellt werden können, die aber in den AGs aufgerufen werden.

Wie geht es weiter?

Im Zeitkorridor bis zu den Herbstferien sollen die drei Arbeitsgruppen jeweils mindestens zweimal tagen, bevor in einem weiteren Plenum Ergebnisse beschrieben und Empfehlungen gefasst werden. Es gibt Gelegenheit für alle Beteiligten in jeder Gruppe mitzuarbeiten. Es gibt für jede Arbeitsgruppe jeweils zwei Pat*innen, je ein*e G9- und ein*e G8-Befürworter*in. Zudem natürlich einen fachlichen Ansprechpartner bzw. –partnerin aus dem Schulministerium. Wie bei der Bildungskonferenz werden Mehrheits- und Minderheitsmeinung dokumentiert.
Die Diskussion in der Runde hat die Vielzahl der Stimmen gezeigt. Alle Beteiligten haben auch noch einmal deutlich gemacht, wodurch sie sich in ihrer Position legitimiert fühlen. 

Angebote der Fraktion

Die Diskussion am Runden Tisch wird also weitergehen und ich werde gerne über den Prozess weiter informieren. Daneben wollen wir aber auch als Fraktion den bestehenden Dialog mit Eltern, Lehrkräften, Schüler*innen und Schulträgern vor Ort ausweiten. Neben einer Veranstaltung im Landtag soll es deshalb auch den regionalen Austausch geben. Es gehen Euch dazu demnächst konkrete Vorschläge zu.
Ich grüße herzlich und werde über die weiteren Diskussionen alle Interessierten gerne auf dem Laufenden halten.
Ihre/Eure
Sigrid Beer

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