Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ergebnisse der Enquetekommission „Chancengleichheit in der Bildung“ sind ein gemeinsamer Meilenstein. Zwei Jahre lang haben wir über Fraktionsgrenzen hinweg sachlich, faktenbasiert und mit einem gemeinsamen Ziel gearbeitet: das Beste für alle Kinder in Nordrhein-Westfalen herauszuarbeiten.
In einem intensiven, von Respekt und Ernsthaftigkeit getragenen Prozess ist ein Abschlussbericht mit 248 Handlungsempfehlungen entstanden. Diese Empfehlungen sind nicht nur das Werk einer einzelnen Fraktion, sondern ein gemeinsamer demokratischer Erfolg. Darauf können wir alle stolz sein.
Gerade deshalb ist es ziemlich bedauerlich, dass die SPD heute mit diesem Antrag einen Alleingang wagt. Anstatt den Weg der Zusammenarbeit fortzusetzen, wird versucht, sich mit einem symbolischen Vorstoß an die Spitze zu stellen. Das steht in klarem Widerspruch zu dem, was uns in der Enquetekommission starkgemacht hat: gemeinsames Arbeiten für ein gemeinsames Ziel.
Lassen Sie mich aber auch deutlich sagen: Wir teilen die Besorgnis über die aktuellen IQB-Ergebnisse. Es ist alarmierend, dass NRW im bundesweiten Vergleich unter dem Durchschnitt liegt und dass die Herkunft eines Kindes in unserem Land immer noch so stark über den Bildungserfolg entscheidet.
Das darf uns nicht egal sein – das ist es auch nicht –, und das darf hier niemandem egal sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn Kinder in Nordrhein-Westfalen schlechte Chancen haben, weil ihre Eltern weniger verdienen oder keinen akademischen Hintergrund haben, dann ist das ein klarer Auftrag an uns an alle, zu handeln.
Genau dafür haben wir in der Enquetekommission die Grundlage gelegt. Die Handlungsempfehlungen, die wir gemeinsam beschlossen haben, geben uns einen umfassenden Fahrplan: von der frühkindlichen Bildung über den Übergang in die Schule bis hin zu Ganztagsangeboten, Lehrkräftegewinnung und sozialer Infrastruktur.
Wir alle wissen, dass frühkindliche Förderung, Sprachkompetenz und Ganztagsstrukturen entscheidend sind, um Bildungsungleichheiten abzubauen. Aber wenn wir jetzt anfangen, einzelne Empfehlungen aus diesem Enquetebericht herauszupicken, nur um eine Profilierung der eigenen Politik zu erzielen, droht der gemeinsame Konsens, um den wir so hart miteinander gerungen haben, zu zerfasern. Es geht nicht darum, ob gehandelt wird. Es geht darum, wie wir handeln und wie wir das über die Legislaturen hinweg gemeinsam angehen. Hier sagen wir klar: Wir wollen keine parteipolitischen Schnellschüsse, sondern abgestimmte und nachhaltige Umsetzungsschritte.
Im Bereich der Sprachkompetenz und Sprachstandsfeststellung ist das Schulministerium im vergangenen Jahr wichtige Schritte gegangen. Auch in der frühkindlichen Bildung haben wir etwas getan und die Sprach-Kitas gesichert.
Für einen gebundenen Ganztag braucht es erst einmal überhaupt ausreichend Plätze überall. Daran arbeiten wir intensiv, um den Bedarf decken zu können.
Nur gemeinsam werden wir es schaffen, die strukturellen Ursachen von Bildungsungleichheit zu bekämpfen: durch bessere frühe Förderung, durch verlässliche Ganztagsangebote, durch gezielte Unterstützung in Brennpunkten und durch eine starke Bildungsinfrastruktur.
Wenn deutschlandweit alle Schüler*innen in den Niveaus abrutschen, ist das nicht allein ein nordrhein-westfälisches Politikversagen, sondern ein bundesweiter Trend, der größere Ansätze braucht. Es geht hier um Pandemiefolgen; es geht um krisenbehaftetes Aufwachsen und um psychische Belastung. Das wird nicht besser, wenn wir den Schüler*innen in der Debatte heute sagen, was sie alles nicht können oder was sie alles wegen Corona verpasst haben. Das wird dann besser, wenn wir nachhaltige Lösungen bringen. Das wird dann besser, wenn wir jedes einzelne Kind sehen und ernst nehmen.
Wir alle wissen, dass Bildung der Schlüssel für demokratische Teilhabe, Integration und Wohlstand ist. Mit dem Schulkompass NRW 2030 legen wir in Nordrhein-Westfalen den Grundstein für Veränderungen. Dann schaue ich gerne nach Hamburg und sehe, dass Hamburg vor Jahren angefangen hat. NRW wird nicht durch ein Fingerschnipsen der SPD bildungspolitisch gerettet werden. Aber es lohnt sich doch, jetzt loszulegen und anzufangen.
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Dann machen Sie doch! – Beifall von der SPD)
Unsere Kinder und Jugendlichen brauchen jetzt starke Erwachsene. Sie brauchen starke Erwachsene für ein starkes Aufwachsen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir werden nicht müde darin, diese starken Erwachsenen zu sein. Wir werden auch nicht müde darin, unsere Tausenden Lehrkräfte vor Ort darin zu unterstützen, fortzubilden und fit zu machen, damit wir unsere Kinder stark und trotz der Krisenherausforderungen kompetent in die Zukunft starten lassen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Ott, das kann ich so nicht stehen lassen. Wir haben, glaube ich, alle miteinander hier in der Debatte verstanden und anerkannt, dass uns der IQB-Bildungstrend Sorgen bereitet. Das haben wir von beiden Ministerinnen gehört. Alle demokratischen Fraktionen auch anerkannt, dass wir im Bildungsbereich bessere und schnellere Antworten finden müssen. Jetzt aber zu sagen, dass das von heute auf morgen mit dem Chancenjahr weg wäre, ist ehrlicherweise ein bisschen hochgestapelt.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ich will hier noch ein bisschen Erwartungsmanagement betreiben. Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Egal, ob man sich Hamburg anschaut, Baden-Württemberg oder andere Bundesländer, das braucht Zeit. Nordrhein-Westfalen ist auf dem Weg.
Das Chancenjahr ist eine Möglichkeit, sowohl den Kita-Sozialindex zu entwickeln, auszubauen und auf den Weg zu bringen als auch den Schülerfeedbackbogen einfach mal in Schule atmen zu lassen. Das sollte auch von der Opposition als Maßnahme anerkannt werden. Wir erkennen an, dass Schule als Lebensraum wichtig ist und unsere Schülerinnen und Schüler das Beste in unserem Land verdient haben.
Ich hätte mir gewünscht, dass die guten, konstruktiven Gespräche aus der Enquetekommission auch im parteipolitischen weiteren Verfahren miteinander funktionieren. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
