Julia Eisentraut (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen der demokratischen Fraktionen! Die von der FDP thematisierte Kernfusion ist mittlerweile wirklich zum Running Gag hier im Haus geworden – aber das haben Sie ja eingangs Ihrer Rede auch schon selbst festgestellt –; denn zum dritten Mal in dieser Legislatur beschäftigen wir uns mit der FDP-Meinung: Übermorgen steht Kernfusion als Energiequelle zur Verfügung, und es ist nur die böse Landesregierung, die das verhindert.
Also stehe ich heute auch zum dritten Mal hier und erkläre Ihnen, was Sie auch bei führenden Fusionsforscher*innen nachlesen könnten. Fangen wir einmal an. Die Nationale Akademie der Wissenschaften und die Akademienunion schreiben gemeinsam, dass ein kommerziell nutzbares Fusionskraftwerk – kommerziell nutzbar – frühestens in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zur Verfügung stehen wird. Übersetzt: Für die Klimaziele 2030 und 2045 und für den jetzigen KI-Boom ist Fusionskraft absolut irrelevant.
Und weiter: Die Technologie ist noch mit großen Unsicherheiten behaftet und erfordert noch erheblichen Forschungsaufwand – nicht Industrieförderung, sondern Forschungsaufwand.
Das ist eben keine Grundlage für industriepolitische Träume, Herr Brockes und Herr Hafke. Ich frage mich: Wann verstehen Sie das endlich?
Wenn Sie, liebe FDP, über das Thema „Kernfusion“ sprechen, klingt das wie ein Trailer für ein Zukunftsdrama: Deutschland auf dem Fußweg zum Fusionskraftwerk – mit viel Pathos, aber ohne Substanz. Was uns hier vorgelegt wird, ist kein energiepolitischer Fortschritt, sondern ein reines PR-Manöver mit wissenschaftlichem Anstrich.
Kernfusion klingt beeindruckend: saubere Energie, keine radioaktiven Abfälle, unendliche Ressourcen – ein energiepolitischer Traum. Genau das ist es aber: ein Traum. Die berühmte Faustregel lautet: „Kernfusion ist immer 30 Jahre entfernt“ – und das seit 70 Jahren. Sie instrumentalisieren hier also mal wieder Erfolge in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung für billige Schlagzeilen.
Fakt ist: Es gibt nicht mal einen Entwurf für ein Demonstrationskraftwerk. Die Sachverständigen in der Anhörung zu Ihrem letzten Antrag zu dem Thema haben Ihnen das glasklar gesagt. Frühestens in den 2040er-Jahren könnte ein Fusionskraftwerk Realität werden, aber auch nur vielleicht; das ist die optimistische Variante.
Lassen Sie uns doch auf die Expert*innen hören, wenn Sie mir schon nicht glauben. Kernfusion ist kein Ersatz für die Energiewende. Wir können doch nicht erst morgen anfangen, das Feuer zu löschen, wenn es heute schon brennt. Wir befinden uns inmitten der Klimakrise. Die Welt brennt buchstäblich. Und die FDP möchte Milliarden in Technologien stecken, die vielleicht, eventuell, unter guten Bedingungen irgendwann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts zur Verfügung stehen werden. Das ist – mit Verlaub – klimapolitischer Eskapismus. Wir haben keine Zeit für hypothetische Lösungen. Wir brauchen jetzt reale Antworten.
Die alternativen Technologien sind doch da. Sie sind bezahlbar, skalierbar und sicher, dank jahrzehntelanger Forschung und Entwicklung. Photovoltaik und Windkraft liefern heute schon Energie – nicht erst in 30 Jahren, sondern ganz real heute Nachmittag.
Natürlich soll Kernfusion erforscht werden. Ich bin ein großer Fan des Projekts ITER. ITER ist 2016 an den Start gegangen und sollte schon längst einsatzbereit sein; aber die Zeitleiste hat sich jetzt bis in die 2030er-Jahre verschoben.
Wissenschaft lebt von Neugier, gerade auch ohne Zweck und Ziel. Doch Forschung ist nicht Industrieförderung. Wer heute Milliarden in die industrielle Entwicklung von Kernfusion steckt, betreibt keine Forschung, sondern Subventionierung einer Technologie, die noch nicht einmal unter Beweis gestellt hat, dass sie wirtschaftlich funktionieren wird. Das ist, als würde man ein Flughafenterminal bauen, bevor man weiß, ob Flugzeuge überhaupt fliegen können.
Der FDP-Antrag ist ein Ablenkungsmanöver. Er verkauft Hoffnung als Strategie und Forschung als Lösung. Aber die Lösung liegt doch vor der Nase: erneuerbare Energien ausbauen, Netze stärken, Speicher fördern. Alles andere ist nur ein teures Märchen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
