Lena Zingsheim-Zobel: „Gute Bildung hängt nicht von der Postleitzahl ab“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zu Bildung im Ruhrgebiet

Portrait Lena Zingsheim-Zobel

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Manchmal reicht ein Blick in ein Klassenzimmer, um zu verstehen, wie gerecht oder ungerecht unsere Gesellschaft wirklich ist. Wer Kinder sieht, die morgens ohne Frühstück in die Schule kommen, wer erlebt, wie engagierte Lehrerinnen und Lehrer mit veralteten Tablets und bröckelnden Wänden kämpfen, der weiß: NRW ist ein Land der Vielfalt, und das ist unsere Stärke. Aber Unterschiede, die sich in Benachteiligung ausdrücken, können wir nicht akzeptieren.

(Beifall von den GRÜNEN und Claudia Schlottmann [CDU])

Genau das thematisiert die neue Studie des DGB. Die Studie zeigt, dass es in NRW zu große Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Stadtteilen und, ja, auch innerhalb des Ruhrgebiets gibt. Das Ruhrgebiet, das so oft als eine Einheit beschrieben wird, ist längst ein Bildungsmosaik geworden. Dort gibt es Städte, die trotz knapper Kassen kreative Bildungsnetzwerke aufgebaut haben, und andere, die von den Jahren, in denen sie jeden Cent dreimal umdrehen mussten, weil sie vor einem Schuldenberg stehen, wie gelähmt sind.

Liebe SPD, wir können auch gerne einen Blick nach Duisburg werfen, wo Sie den Oberbürgermeister stellen und von guter Schulentwicklungsplanung leider nichts zu sehen ist.

(Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Das sind doch die Hebel, die wir brauchen, um langfristig und verantwortungsvoll dort zu unterstützen, wo es gebraucht wird.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Diese Unterschiede haben nämlich Folgen.

(Gordan Dudas [SPD]: Sorgen Sie mal für die finanzielle Ausstattung! – Zuruf von Dr. Jan Heinisch [CDU])

Nicht alle Kinder starten mit den gleichen Voraussetzungen. Das gilt für die persönliche Situation in der Familie und auch für die geografische Lage in NRW. Wenn ein Kind in Bottrop weniger Chancen hat als ein Kind in Bonn, dann ist das kein Naturgesetz, sondern ein Auftrag. Ungerechtigkeit darf uns nicht egal werden, nur weil wir sie Tag für Tag beobachten können.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Wolfgang Jörg [SPD])

Der Bildungsbericht Ruhr zeigt, dass der Anteil der Schüler*innen unter 15, deren Familien Transferleistungen beziehen, im Ruhrgebiet mehr als doppelt so hoch ist wie im Rest von Westfalen.

(Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Warum?)

Der DGB hält uns mit der vorliegenden Studie den Spiegel vor. Gerade im Ruhrgebiet verdichtet sich, was wir landesweit sehen: hohe soziale Belastungen, eine schwierige Finanzlage vieler Kommunen und gleichzeitig ein unglaubliches Potenzial an Energie, Vielfalt und Tatkraft. Genau deshalb müssen wir gezielt, nicht mit dem Gießkannenprinzip, ansetzen.

Das tut das Startchancen-Programm. Es erkennt an, dass nicht jede Schule dieselben Herausforderungen hat und dass gerechte Förderung bedeutet, ungleiche Bedingungen gezielt auszugleichen. Schulen mit besonders schwierigen Rahmenbedingungen bekommen zusätzliches Personal und mehr Geld für Entwicklung.

Genau in diesem Geiste wurde auch der neue Schuletat für 2026 aufgestellt. Trotz enger Haushaltslage wachsen die Ausgaben für schulische Bildung auf 25,7 Milliarden Euro.

(Beifall von der CDU)

Das sind fast 5 % mehr als im Vorjahr.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Fast ein Viertel des gesamten Landeshaushalts fließt in schulische Bildung. Das ist Ausdruck von politischer Priorität und kein Zufall, liebe SPD.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Jochen Ott [SPD] – Christian Dahm [SPD]: Aber warum denn wohl? Warum? – Jochen Ott [SPD]: Weil Lehrer Geld kosten!)

Was heißt das konkret? Mehr Personal, mehr Plätze im Ganztag, mehr Unterstützung für die Kommunen!

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP] – Christian Dahm [SPD]: Das ist systembedingt! – Zurufe von Dr. Ralf Nolten [CDU] und Wilhelm Korth [CDU])

Und wo Schulen Unterstützung bekommen, wo sie Gestaltungsspielraum haben, da entsteht Neues, da entsteht Zukunft.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Im Ruhrgebiet gibt es Städte, die den Strukturwandel nicht zum ersten Mal durchleben. Dort weiß man, was es heißt, sich neu zu erfinden.

Ein Beispiel ist die Evangelische Gesamtschule Gelsenkirchen-Bismarck – mitten im Ruhrgebiet, mitten im Strukturwandel und trotzdem oder gerade deshalb ein Leuchtturm. Diese Schule hat gezeigt, wie man aus Vielfalt Stärke entwickelt. Für dieses Engagement wurde sie mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet,

(Zurufe von Dilek Engin [SPD] und Frederick Cordes [SPD])

ebenso wie die Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr, die multikulturelle Vielfalt als Chance nutzt und fortschrittliche pädagogische Ansätze auch im Sinne von Mitbestimmung vorhält.

Das sind nur zwei Beispiele von vielen, die beweisen, dass gute Bildung nicht von der Postleitzahl abhängt, sondern davon, ob man Schulen zutraut, ihren eigenen Weg zu gehen.

(Zuruf von Frederick Cordes [SPD])

Es sind nicht nur die Schulpreisträgerschulen, die durch ihr großes Engagement gute pädagogische Arbeit leisten. Es sind die Tausenden Schulen in NRW, die jeden Tag alles geben, um für alle Schülerinnen und Schüler die bestmögliche Förderung zu gewährleisten.

Bildung ist kein Luxus. Denn dort, wo Kinder und Familien Perspektiven sehen, wächst auch das Vertrauen in unsere Demokratie. Deswegen ist es wichtig, dass wir gemeinsam Schritte gehen, um Bildung in Nordrhein-Westfalen weiterzuentwickeln.

Wir müssen mehr in unsere Schulen investieren, um sie zu modernisieren. Das wollen wir.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Machen Sie aber nicht!)

Gleichzeitig erleben wir finanziell schwierige Lagen.

Durch kluges Priorisieren konnten wir in den vergangenen Jahren dennoch einiges erreichen und sollten das nicht kleinreden. Die zusätzlichen Stellen bei den Bezirksregierungen zur Extremismusprävention sind nur ein aktuelles Beispiel dafür, wo NRW bedarfsorientiert Unterstützung gewährt.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Außerdem halten wir am OGS-Anspruch fest und werden dem Bedarf an Plätzen im nächsten Jahr gerecht werden.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Das ist eine Pflichtaufgabe! Da gibt es keine Alternative!)

Das ist ein riesiger Erfolg in Zeiten knapper Mittel.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Aber ja, es bleibt viel zu tun: bei der Lehrkräftegewinnung, bei der Digitalisierung, bei der Entlastung der Schulen in besonders schwierigen Lagen. RuhrFutur wird vom Land unterstützt, um genau hier eine besonders effiziente Nutzung des Startchancen-Programms zu erreichen.

Wir haben den richtigen Kurs eingeschlagen, und es ist wichtig, diesen weiterzuverfolgen. Wir sehen die Unterschiede und die Notwendigkeit zu handeln. Deswegen ist es gut und passend, dass wir gleich noch über den Abschlussbericht der Enquetekommission „Chancengleichheit in der Bildung“ sprechen. Den haben wir gemeinsam und überfraktionell erarbeitet und erkennen darin genau das an: dass Ungleiches ungleich behandelt werden muss. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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