Jan Matzoll: „Die SPD verschläft die Energiewende da, wo sie am Ruder ist“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum Wirtschaftsstandort NRW

Portrait Jan Matzoll

Jan Matzoll (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Nachrichten von Ford, Venator, INEOS Phenol, Miele – die Liste lässt sich leider sehr verlängern – machen uns alle betroffen. Viele von uns kennen betroffene Arbeiterinnen und Arbeiter, sind im Gespräch mit den Betriebsräten vor Ort.

Herr Vogt, mir fehlt das Verständnis, wenn Sie sagen, da, wo es schwierig wird, machen wir keine schönen Fotos. Ich war bei INEOS Phenol in Gladbeck, wir waren bei INEOS in Köln, und wir waren an vielen anderen Standorten. Aber da geht es doch nicht darum, schöne Fotos zu machen, sondern tatsächlich an Lösungen zu arbeiten. Wirtschaftspolitik ist mehr als Öffentlichkeitsarbeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir alle schauen mit ernsthafter Sorge auf die Entwicklung in der Chemie, in der Stahlbranche, in der Automobilbranche oder auch in der Zuliefererbranche, in NRW, aber auch darüber hinaus. Denn NRW ist ja kein abgeschlossener Kosmos. Was in NRW passiert, betrifft unsere Nachbarländer; die wirtschaftliche Entwicklung unserer Nachbarländer betrifft NRW.

Liebe SPD, Teile Ihres Antrags – das will ich gar nicht bestreiten – lesen sich gut. Sie beschreiben sehr klar die aktuellen Herausforderungen, die aktuellen Schwierigkeiten. Und – da breche ich mir keinen Zacken aus der Krone – an einigen Stellen beschreiben Sie auch konkret Notwendigkeiten.

Wenn Sie über die Notwendigkeit beispielsweise des Ausbaus der Erneuerbaren sprechen, wenn Sie über Batterierecycling, über Kreislaufwirtschaft, über den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sprechen, wenn Sie über den Forschungsbedarf für das klimaneutrale Fliegen sprechen, benennen Sie ganz konkrete Notwendigkeiten. Hier sind wir gar nicht auseinander.

Dann tun Sie aber wider besseres Wissen so, als sei die Landesregierung in diesen Bereichen untätig, gerade im Bereich des Ausbaus der Erneuerbaren. Das ist vollkommen absurd. Ich würde mir wünschen, ein SPD-geführtes Bundesland wäre da so ambitioniert unterwegs wie wir. Konkurrenz belebt das Geschäft, aber Fehlanzeige. Die SPD verschläft die Energiewende da, wo sie am Ruder ist.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Daneben gibt es Stellen, wo Sie wieder nur in Floskeln verfallen. Ich zitiere:

„[…] den Wirtschaftsstandort NRW durch aktive Wirtschaftspolitik zu sichern.“

Wenn Sie sich mal die Mühe machen würden, einmal konkret auszuformulieren, was sich hinter dieser blumigen Formulierung verbirgt, würden Sie erstens …

(Alexander Vogt [SPD]: Etwa 20 Anträge haben wir in diesem Jahr gestellt!)

-Ja, und in keinem haben Sie es ausformuliert, das ist ja das Problem. Gut, dass Sie es erkannt haben. Danke.

(Beifall von den GRÜNEN – Alexander Vogt [SPD]: Die sind alle abgelehnt worden!)

… merken, dass die Landesregierung bereits aktive Industrie-, Wirtschafts- und Standortpolitik betreibt.

Zweitens würden Sie uns dann vielleicht ersparen, gefühlt in jedem Monat über den weitgehend gleichen Antrag zu diskutieren. Wenn Sie wieder einen Transformationsfonds fordern, ohne diesen konkret auszuformulieren, was Sie sich darunter vorstellen, wächst langsam mein Zweifel daran, ob Sie das wirklich ernst meinen. Schon in meiner allerersten Rede in diesem Hohen Hause vor über drei Jahren versteckte sich der Transformationsfonds mit ähnlicher Rhetorik, aber ohne Konzept in Ihrem Antrag. Seitdem begegnet er uns immer wieder.

Während wir die konkreten Themen angehen, während wir die Erneuerbaren ausbauen, in der Start-up-Förderung den Impact, die Kreislaufwirtschaft und die Transformationsorientierung in den Mittelpunkt stellen, Künstliche Intelligenz, Quantenforschung oder die Bioökonomie voranbringen, die bürokratischen Hürden gezielt abbauen, mit NRW.BANK.Invest Zukunft die Transformationsunterstützung bedarfsgerecht ausbauen, wissen Sie noch immer nicht, was Sie sich unter dem Transformationsfonds genau vorstellen. Sie sind da wirtschaftspolitisch blank, und das sieht man auch an weiteren Forderungen.

Sie fordern sehr allgemein und unspezifisch viele fraglos richtige Aspekte, wo die Realität aber doch schon viel weiter ist und die Landesregierung handelt, beispielsweise bei der Fachkräftesicherung und -gewinnung, bei der Abscheidung und Speicherung von CO2, beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Aber, und das gehört auch zur Wahrheit, wieder adressieren Sie ganz bewusst Themen, die in Berlin entschieden werden. Das haben Sie, liebe SPD, schon gestern beim Antrag zur chemischen Industrie getan und deutlich gemacht, dass wir als schwarz-grüne Koalition, als schwarz-grüne Landesregierung Ihre Beziehungsprobleme mit der Bundes-SPD lösen sollen.

Es tut mir in der Seele weh, dass sich Lars Klingbeil und – so ehrlich will ich sein – auch Katherina Reiche nicht ausreichend für die Herausforderungen der Industrie in NRW interessieren. Aber Sie können doch nicht ernsthaft immer wieder mit dem Vorwurf kommen, dass alle immer nur nach Berlin zeigen, wenn Sie gedanklich die ganze Zeit bei der Bundespolitik sind und landespolitisch keine Antworten liefern.

(Beifall von den GRÜNEN und Thomas Okos [CDU])

Zum Abschluss möchte ich noch zwei Gedanken teilen. Die Krisen in den großen Industrien dieses Landes dürfen wir nicht kleinreden. Da sind wir uns völlig einig. Wenn Produktion aus NRW verschwindet, wenn sogar ganze Branchen aus NRW und Deutschland verschwinden, dann wissen wir, wir werden es alle nicht mehr erleben, dass diese zurückkehren.

Die aktuelle Entwicklung in der Solarbranche – da bin ich ehrlich – bereitet es mir große körperliche Schmerzen. Ich werde alles dafür tun, dass wir diese Entwicklung bei der Chemie, bei der Pharmabranche, um nur diese zwei großen Beispiele zu nennen, verhindern. Wir bleiben Chemieland, wir bleiben Pharmaland, wir bleiben Industrieland, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Aber nicht nur das. In der Digitalwirtschaft, in der Umweltwirtschaft, in der Gesundheitswirtschaft, in der Bioökonomie, in der IT-Sicherheit, um nur einige Beispiele zu nennen, ist NRW bärenstark und hat NRW richtig gute Zukunftsaussichten.

Lassen Sie uns bitte bei aller Notwendigkeit, über die Krisen dieser Zeit in großer Ernsthaftigkeit zu sprechen, nicht die Erfolgsgeschichten vergessen – nicht vergessen, wo wir stolz auf unser Land und auf die vielen innovativen, genialen Frauen und Männer in diesem Land sein können.

NRW hat Zukunft. Ich freue mich darauf, weiter mit allen demokratischen Fraktionen über diese Zukunft leidenschaftlich zu diskutieren und zu streiten. Wir stimmen der Überweisung gerne zu. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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