Jan Matzoll (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die chemische Industrie ist ein essenzieller Baustein unserer nordrhein-westfälischen Wirtschaft. Das haben wir heute schon einige Male gehört. Über 100.000 Menschen arbeiten direkt in der Chemiebranche. Weit mehr Arbeitsplätze hängen unmittelbar bzw. mittelbar an der Chemie in NRW.
Mit mehr als 450 Unternehmen ist NRW der führende Standort der Chemieindustrie in Deutschland. Das ist in dieser Konzentration sogar einzigartig in ganz Europa. Nordrhein-Westfalen ist Heimat von 7 der 20 umsatzstärksten Chemieunternehmen in Deutschland sowie von vielen mittelständischen Unternehmen, darunter Weltmarktführer und Hidden Champions.
Es bedarf keiner frauenfeindlichen und ableistischen Sprüche des bayerischen Wurstfluencers, um die Wichtigkeit deutscher Industriezweige zu unterstreichen. Die Zahlen sprechen für sich.
Ebenso ist aber festzuhalten, dass die Chemiebranche unter enormem Druck steht. Hohe Energie- und Rohstoffpreise, eine unsichere Weltlage, instabile Lieferketten, aber auch strukturelle Probleme und der Investitionsstau fordern die Branche tagtäglich heraus.
Lieber André Stinka, liebe SPD-Fraktion, ich stimme mit Ihnen in Ihrer Analyse der aktuellen Situation der Chemiebranche in einigen Teilen überein.
Für die Zukunftsfähigkeit der Chemieindustrie brauchen wir kurzfristige Maßnahmen zur Entlastung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten und auf dieser Basis Investitionen in technologische Innovationen und klimaneutrale Geschäftsmodelle überhaupt erst wieder zu ermöglichen.
Der vorliegende Antrag ist dabei aber nur bedingt hilfreich.
(Dietmar Brockes [FDP]: Was macht ihr denn?)
Ein Großteil der von Ihnen geforderten Maßnahmen richtet sich an die Bundes- bzw. EU-Ebene. Andere Forderungen werden bereits von der schwarz-grünen Landesregierung umgesetzt.
(Dietmar Brockes [FDP]: Nein!)
Nehmen wir zum Beispiel die Aufforderung an die Landesregierung – ich zitiere –, „sich beim Bund und der EU-Kommission für die Einführung eines Industriestrompreises“ einzusetzen.
Liebe SPD, darf ich Sie daran erinnern, dass sich diese Landesregierung, insbesondere in Person der Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, seit Langem für einen Brückenstrompreis einsetzt?
Darf ich Sie daran erinnern, dass der ehemalige grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Brückenstrompreis von 6 Cent pro Kilowattstunde wollte?
Darf ich Sie, liebe SPD, daran erinnern, dass es der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz war, der einen solchen Brückenstrompreis in der letzten Legislatur als – ich zitiere – „Dauersubvention […] mit der Gießkanne“ bezeichnete und befürchtete, dieser sei – ich zitiere – „ökonomisch falsch, fiskalisch unsolide und würde sicherlich auch falsche Anreize setzen“?
Scholz hat, wenn er nicht gerade Sonntagsreden im Wahlkampf vor der IGBCE oder der IG Metall gehalten hat, den Brückenstrompreis, den Industriestrompreis stets abgelehnt.
Nun ist die SPD erneut in der Bundesregierung. Allerdings scheint der Einfluss der NRW-SPD auf den Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil begrenzt zu sein, sonst müsste es nicht die Landesregierung sein, die das Projekt ohnehin und bekanntermaßen unterstützt und zum Handeln auffordert.
Noch eine kurze Anmerkung: Die EU hat mit dem Clean Industrial Deal State Aid Framework bereits die notwendige Grundlage geschaffen. Was fehlt, ist die Entscheidung der Bundesregierung.
Liebe SPD, vor einigen Wochen hat das NRW-Wirtschaftsministerium das Strategiepapier zur Zukunft der chemischen Industrie mit 20 Maßnahmen für eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und zukunftsfähige Chemieindustrie veröffentlicht. Björn Franken hat es eben auch schon erwähnt.
Wir stärken Kunststoffrecycling und Kreislaufwirtschaft mit gezielten Förderprogrammen. Wir fördern den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur. Wir bereiten uns aktiv auf CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung vor, um nur einige Beispiele zu nennen.
Unser Ziel, das Ziel der Landesregierung ist es, der Chemieindustrie den Rahmen und die Unterstützung zu geben, sich zukunfts- und wettbewerbsfähig aufzustellen. Das ist ambitioniert, ökologisch notwendig und ökonomisch richtig.
Wir brauchen die chemische Industrie als Innovationsmotor und Arbeitgeber. Wir brauchen die Chemieindustrie tagtäglich in unserem Alltag. Bevor wir morgens aus dem Haus gehen, haben wir die Errungenschaften der chemischen Industrie bereits dutzendfach erlebt – wenn der Wecker klingelt, wenn wir uns von unserer Matratze aufsetzen, wenn wir uns die Zähne putzen, uns waschen, duschen, pflegen, in frisch gewaschene Kleidung schlüpfen.
Gerade in der heutigen Zeit ist es noch viel mehr als das. Die chemische Industrie ist die Grundlage für eine resiliente Wirtschaft in einem geopolitischen Chaos. Die chemische Industrie ist die Grundlage dafür, dass die Zeitenwende nicht nur Rhetorik bleibt, sondern auch Realität werden kann.
Die Zukunftsfähigkeit der chemischen Industrie hängt maßgeblich vom Gelingen der Transformation ab. Um diese zu ermöglichen, brauchen wir stabile politische Rahmenbedingungen.
Und da, liebe SPD, sehen wir noch einmal auf die Bundesebene, wo Sie gemeinsam mit der Merz-CDU alle Möglichkeiten hätten, für eben diese stabilen und verlässlichen Rahmenbedingungen zu sorgen: Industriestrompreis, niedrige Netzentgelte, Verlässlichkeit beim Ausbau der erneuerbaren Energien und Verlässlichkeit für die Wirtschaft und Industrie in der Transformation. Was passiert da aber aktuell? Das genaue Gegenteil.
Dagegen stehen wir auf Landesebene verlässlich an der Seite der chemischen Industrie. Wir sorgen für stabile politische Rahmenbedingungen. Wir sorgen mit gezielten Förderprogrammen für Investitionssicherheit. Wir sorgen für eine klimaneutrale und zugleich wettbewerbsfähige Zukunft in NRW.
Dieser Antrag der SPD hilft der chemischen Industrie nur bedingt weiter. Ich freue mich aber dennoch, mit Ihnen darüber im Ausschuss weiter zu diskutieren. Der Überweisung stimmen wir natürlich gerne zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
