Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir sprechen heute über ein Thema, das im Kern zwei Herausforderungen zugleich betrifft: das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung an Arbeit und den Fachkräftemangel in unserem Land.
Die SPD weist in ihrem Antrag zu Recht darauf hin: Auch 16 Jahre nach dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sind Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt strukturell benachteiligt.
Hier muss man aber ehrlicherweise darauf hinweisen, dass das ja nicht der einzige Lebensbereich ist, der Benachteiligung und Diskriminierung von behinderten Menschen aufweist. Eine Umfrage der Aktion Mensch aus diesem Jahr hat aufgezeigt: Sechs von zehn Menschen mit Behinderung wurden in den letzten fünf Jahren in unterschiedlichen Alltagssituationen diskriminiert, am häufigsten im öffentlichen Raum, im Gesundheitssystem und am Arbeitsplatz.
Für mehr als ein Viertel von ihnen ist Diskriminierung sogar ein ständiges Problem. Kollegin Butschkau hat es gerade schon angesprochen: Die Arbeitslosenquote von behinderten Menschen in NRW liegt bei rund 14 %, also rund doppelt so hoch wie bei arbeitslosen Menschen ohne Behinderung. Menschen mit Behinderung brauchen dazu deutlich länger, um eine Stelle zu finden, und viel zu oft endet der Weg nicht im ersten Arbeitsmarkt, was aber immer das Ziel sein muss. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.
Stichwort „Fachkräfte“: Der Fachkräftemonitor der Industrie- und Handelskammer aus 2025 zeigt, dass bis 2035, also in den kommenden zehn Jahren, rund 2,5 Millionen Erwerbstätige allein in NRW in den Ruhestand gehen. Schon jetzt sind über 60 Berufe als Engpassberufe ausgewiesen, vom Handwerk über die Pflege bis zu den MINT-Berufen.
Wenn wir das Potenzial von fast zwei Millionen Menschen mit Behinderung in NRW nicht besser nutzen, gefährden wir nicht nur die Teilhabe, sondern auch die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes. Genau deshalb haben wir Grüne gemeinsam mit der CDU wichtige Punkte im Koalitionsvertrag vereinbart, die die Situation verbessern sollen, und bereits einiges umgesetzt, damit die Inklusion am Arbeitsmarkt systematisch angegangen wird.
Die Inklusionsinitiative für den Arbeitsmarkt wurde vor einem Jahr gestartet und bündelt Unternehmen, Kammern, Wohlfahrtsverbände und Betroffene. Ziel ist es, echte Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.
Ich will an dieser Stelle betonen: Ja, es gab viele Veranstaltungen, Öffentlichkeitsarbeit, was die SPD in ihrem Antrag offensichtlich bemängelt. Aber diese Veranstaltungen waren kein Selbstzweck, sondern sind notwendige Maßnahmen, um das Produkt an die Menschen zu bringen. Werbung für Inklusion – super!
Inklusion scheitert häufig nicht nur am guten Willen, sondern an Vorurteilen und Unwissenheit in Betrieben. Darum braucht es Sichtbarkeit, gute Beispiele, aktive Ansprache von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern. Aber auch an systemischen Stellschrauben muss gedreht werden.
Viele Wirkungen der Initiative werden wir erst nach einiger Zeit erkennen können. Deshalb ist es richtig, dass wir evaluieren. Nur so können wir prüfen, wo die Maßnahmen wirken und wo wir nachjustieren müssen.
Für uns Grüne ist aber auch entscheidend: Der Übergang von der Schule in den Beruf muss oberste Priorität haben. Wir dürfen junge Menschen mit Behinderung nicht weiterhin in das Werkstattsystem durchleiten, wenn sie Potenzial für Ausbildung oder Arbeit im ersten Arbeitsmarkt haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Inklusion ist kein Nebenthema, sie ist eine zentrale Antwort auf den Arbeits- und Fachkräftemangel und ein Gebot der Gerechtigkeit. Es ist unsere gesetzliche Aufgabe, und deshalb ist es richtig, dass wir in NRW nicht stehen bleiben, sondern die Initiativen der letzten Jahre konsequent weiterentwickeln. Wir müssen Barrieren abbauen, Beratung ausbauen und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber von Chancen überzeugen, die Inklusion und Vielfalt in Betrieben mit sich bringen.
Die Angst vor dem Unbekannten haben wir uns alle selbst vorzuwerfen. Es wird immer noch zu sehr separiert, sortiert nach Fähigkeiten, die das System den Menschen vorgibt. Dabei ist laut fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen längst klar, dass die Teilhabe von behinderten Menschen auch an Arbeit der Schlüssel zum Erfolg in der Gesellschaft ist.
Menschen in Arbeit verdienen Geld. Was machen sie mit dem Geld? Sie geben es natürlich aus, Stichwort „Kaufkraft“. Sie zahlen in die Sozialversicherung ein. Sie zahlen Steuern. Sie sind dadurch gleichzeitig unabhängig und selbstständig, egal, ob der Mensch eine Behinderung hat oder nicht.
Daher müssen wir festhalten: Aus rechtlichen und ökonomischen Gründen ist der einzig richtige Weg die Stärkung des inklusiven Arbeitsmarkts in Nordrhein-Westfalen. Wie das besser funktionieren kann, besprechen wir dann im Ausschuss. Wir stimmen der Überweisung des Antrags natürlich zu. – Herzlichen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
