Astrid Vogelheim: „Die Klimakrise ist längst hier, und sie zeigt sich nicht nur in Hitzesommern, sondern auch in solchen Starkregenereignissen“

Zum Schlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses II („Hochwasserkatastrophe“)

Portrait Astrid Vogelheim

Astrid Vogelheim (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Tage, die man nicht vergisst. Ich habe ihn noch ganz klar vor Augen, den 14. Juli 2021. Ich war mit dem Fahrrad unterwegs, und obwohl es ohne Pause schüttete, wirkte es zunächst gar nicht bedrohlich, eher unwirklich. Die Pfützen standen auf den Wiesen wie kleine Seen. Meine eigentlich wasserdichte Fahrradtasche musste ich zu Hause ausschütten. Aus meiner Kleidung troff das Wasser. Trotzdem: Ich habe es nicht als Gefahr wahrgenommen. Nur wenige haben es damals als das erkannt, was es war: der Anfang einer Katastrophe.

Erste Warnungen machten die Runde: Die Inde und die Vicht könnten über die Ufer treten. In den betroffenen Orten wurden bis spät in die Nacht Sandsäcke geschleppt, Barrikaden errichtet. Irgendwann hieß es: Es ist überstanden; die Welle geht zurück. – Helferinnen und Helfer wurden nach Hause geschickt. Aber das war ein fataler Irrtum. In Wahrheit begann genau in dieser Nacht das, was später als die schlimmste Flutkatastrophe, die Nordrhein-Westfalen je erlebt hat, in die Geschichte eingehen sollte. 49 Menschen verloren ihr Leben. Viele verloren alles – ihr Zuhause, ihre Erinnerungen, ihre Zukunft.

Heute wissen wir: Katastrophal war nicht nur die Flut an sich. Mangelnde Warnungen, Kommunikation, Koordination trugen dazu bei. Daher mussten wir uns als Parlament die schwierige Frage stellen: Hätte man früher warnen müssen? Hätte man besser vorbereitet sein müssen? Die Antwort ist unbequem: Ja!

Viele Warnsignale waren schon Tage vorher da. Aber sie wurden nicht überall ernst genommen oder weitergegeben. Es fehlte ein klares Lagebild und oft auch das Verständnis, was diese Warnungen konkret bedeuteten. Vielen Menschen ging es wie mir auf dem Fahrrad: Wir wussten nicht, was da auf uns zukommt.

Im Untersuchungsausschuss haben wir Zeugen gehört, Gutachten erstellen lassen, analysiert. Das Ziel war, aufzuklären, was falsch gelaufen ist, um zu lernen, um es besser zu machen. Heute bringen wir einen Abschlussbericht ein, der von allen demokratischen Fraktionen getragen wird. Wir haben es uns damit nicht leicht gemacht. Aber wir waren uns einig: Angesichts der dramatischen Folgen der Flut und der Bedrohung, die von künftigen Starkregenereignissen ausgehen kann, braucht es ein starkes gemeinsames Zeichen.

Der Bericht benennt klar die Unzulänglichkeiten auf allen Ebenen von Politik und Verwaltung, die durch die Hochwasserkatastrophe zutage getreten sind, und legt Optimierungsbedarf offen. Er würdigt aber auch bereits umgesetzte und ergriffene Schutzmaßnahmen der Landesregierung. Vieles wurde bereits auf den Weg gebracht: neue Sirenen, ein verbessertes Warnsystem, besserer Hochwasserschutz, mehr Personal, digitale Informationsportale. – Das sind wichtige Schritte.

Aber der Bericht zeigt auch klar: Das reicht noch nicht. Wenn wir wirklich verhindern wollen, dass sich so eine Tragödie wiederholt, dann brauchen wir mehr. Wir brauchen ein Frühwarnsystem, das nicht nur technisch funktioniert, sondern auch bei den Menschen ankommt. Wir brauchen klare Zuständigkeiten und Abläufe im Katastrophenfall – auf Landesebene, aber auch in den Kommunen. Und vor allem brauchen wir ein konsequentes Umdenken beim Thema „Krisenvorsorge“. Für uns Grüne heißt das: Wir müssen Klimaanpassungen endlich als zentrale Aufgabe quer durch alle Bereiche verstehen. Denn die Klimakrise ist längst hier, und sie zeigt sich nicht nur in Hitzesommern, sondern auch in solchen Starkregenereignissen von 2021.

(Beifall von den GRÜNEN)

Dazu gehört, dass wir Flächen nicht weiter versiegeln, sondern Rückzugsräume für Wasser schaffen, dass wir den neuen Herausforderungen von Starkregen in Mittelgebirgen und den Gefahren, die von den kleineren Flüssen wie der Inde, der Erft oder der Vicht ausgehen, mindestens so viel Aufmerksamkeit schenken wie den großen Flüssen. Genehmigungsverfahren für Schutzmaßnahmen müssen einfacher und schneller werden, ohne dass der Naturschutz dabei auf der Strecke bleibt. Wir wollen, dass die Kommunen echte Unterstützung bekommen.

Dass es nicht noch schlimmer gekommen ist, ist dem Einsatz der vielen Helferinnen und Helfern zu verdanken – Feuerwehren, THW, Rettungsdienste –, aber auch der spontanen Hilfe aus der Bevölkerung.

Was mich in all den Gesprächen im Ausschuss, aber auch bei meinen Besuchen vor Ort immer wieder beschäftigt hat, ist diese Mischung aus Fassungslosigkeit und Stärke, wie Menschen mitten in der Zerstörung einfach zugepackt, Schutt geschaufelt, Nachbarn geholfen, Kinder beruhigt haben, wie viel Mut in einer Ausnahmesituation da war. All diesen Menschen gilt mein tiefster Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wir dürfen nicht die vergessen, die ihr Leben verloren haben, nicht die, die bis heute mit den Folgen kämpfen, nicht die, die geholfen haben – viele über ihre eigenen Grenzen hinweg. Dieser Bericht ist kein Schlussstrich, er ist ein Versprechen, ein Versprechen, dass wir lernen, dass wir handeln und dass dabei der Schutz der Menschen an erster Stelle steht. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)