Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vom vorliegenden Antrag der SPD war ich beim Lesen fasziniert.
(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Immerhin!)
Wie bemerkenswert, dass der Titel weitgehend am Inhalt des Textes vorbeiläuft.
(Beifall von Eileen Woestmann [GRÜNE])
In der Überschrift ist von gelingenden Bildungsaufstiegen die Rede. Dann tauchen diese im Text und den gestellten Forderungen gar nicht mehr auf. Ich belege Ihnen das auch gerne.
Dass Titel und Antrag nicht zusammenpassen, hat aus meiner Sicht einen Grund, und zwar hat die SPD das Thema nicht bis zum Kern durchdrungen. Im Grunde waren Sie doch einmal die Partei des Bildungsaufstiegs.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Einige der vorgeschlagenen Maßnahmen könnten anteilig vielleicht tatsächlich darauf einzahlen, dass mehr Kinder in bestehenden Systemen Bildungsgerechtigkeit erleben. Wir brauchen nämlich keine Entwicklungen, die einzelne zum Kraxeln fähige Personen ein wenig dabei unterstützen, nach oben zu kommen, sondern eine Gesellschaft, die niemanden aufgrund seiner sozialen oder ökonomischen Herkunft diskriminiert.
Wenn wir das erreichen, dann brauchen wir von Aufstiegen überhaupt nicht mehr zu sprechen, weil dann jede Person eine Chance hätte, ihren Wünschen und Neigungen entsprechend einen individuellen und guten Lebensweg zu finden.
(Nadja Lüders [SPD]: Jetzt ist die Gesellschaft schuld? Und sie haben keine Verantwortung?)
Zurück zu den Maßnahmen und wieso ich davon ausgehe, dass die SPD eine hochkomplexe Problematik vereinfachend und plakativ zu verkaufen versucht. Picken wir uns noch einmal die Forderung nach kostenlosem Mittagessen heraus. Ich frage Sie: Wieso sollte das Mittagessen für alle Kinder momentan kostenlos sein?
(Dilek Engin [SPD]: Weil Sie es versprochen haben!)
Ich persönlich beteilige mich in meiner privilegierten Situation sehr gerne am Zahlen von Essensgebühren in der Kita und auch bald in der OGS im Rahmen eines solidarischen Systems. Ich möchte kein kostenloses Mittagessen für meine Kinder. Ich möchte ein gutes Mittagessen für alle Kinder haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Fordern Sie gerne, dass wir Familien, die an Essensbeiträgen scheitern, noch transparenter über die Unterstützung durch das Bildungs- und Teilhabepaket informieren und wir die Personengruppen erweitern, die Anspruch auf entsprechende Unterstützung haben. Das betrifft übrigens genau die Kindergrundsicherung, die Sie in der letzten Bundesregierung nicht mehr wollten.
(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])
Es wird nicht reichen, per Gießkanne die Situation zu löschen. Ein brennendes Haus löscht man doch auch nicht mit der Gießkanne, sondern bekämpft das Feuer dort, wo die Ursache liegt.
Apropos Ursache, lieber Herr Ott. Sie haben in Ihrer Einbringungsrede gerade zu Recht die Sprachentwicklung angesprochen und in dem Zusammenhang die Diagnostik im Alter von vier Jahren gefordert. Dann frage ich Sie einfach: Wo finde ich diese Forderung denn in dem vorliegenden Antrag? Diese Forderung nach der Diagnostik mit vier Jahren ist nämlich nirgendwo zu finden.
In der aktuellen Situation steht das System vor massiven Herausforderungen. Wenn wir von Chancengleichheit sprechen, müssen wir uns klar machen, dass das vielleicht auch einmal wehtut oder nicht allen gleichermaßen gefällt, weil wir Entscheidungen treffen, die es nicht allen, sondern nur denjenigen erleichtern, die bislang im Nachteil waren, weil wir Entscheidungen treffen, die vor allem denen von uns helfen, die es am dringendsten brauchen, weil wir Entscheidungen treffen, die komplex statt schön sind.
Dieser Antrag ist zu dünn, liebe SPD. Ich fordere Sie, liebe SPD, in gefühlt jeder meiner Reden zu Ihren Anträgen auf, realistisch draufzuschauen – heute schon wieder. Sie nehmen hübsche Einzelmaßnahmen, packen sie bunt zusammen und vermuten, dass damit das große Gesamtproblem von herkunftsbedingter Bildungsungerechtigkeit auflösbar ist.
(Jochen Ott [SPD]: Die Grünen haben doch einfach aufgegeben!)
Und weil man gerade so gut in Fahrt ist, räumt man dann den grundsätzlichen Fachkräftemangel, der sich logischerweise in Ihrer Sicht durch mehr Finanzen lösen lässt, statt sich auch einmal die enorm herausfordernde Lage der Fachkräftesituation anzugucken, einmal eben easy mit ab.
Ich komme zum Schluss. Wir lehnen diesen Antrag ab. Die Welt ist auch in diesem Monat nicht so einfach.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
