Eileen Woestmann: „Vereinbarkeit bedeutet deutlich mehr, als einen Betreuungsplatz zu haben“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum "Bildungsaufstieg" von Kindern

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Beim Lesen des Antrags muss man feststellen, dass da alles munter durcheinanderläuft. Das wurde im Beitrag von Herrn Ott gerade auch sehr deutlich. Es geht um Bildungsgerechtigkeit, um Vereinbarkeit, um Inklusion und um Kosten von Bildung in Kita und OGS. Habe ich etwas vergessen?

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Mit Sicherheit!)

Ich möchte gerne auf drei Aspekte aus dem Antrag eingehen, und zwar als Erstes auf die Vereinbarkeit.

(Kirsten Stich [SPD]: Es geht um Kinder!)

Wer die öffentliche Debatte verfolgt, könnte den Eindruck gewinnen, dass man nur einen Kita-Platz braucht, damit das Problem der Vereinbarkeit gelöst ist. Das unterschlägt ehrlicherweise, dass Vereinbarkeit deutlich mehr bedeutet, als einen Betreuungsplatz zu haben.

(Nadja Lüders [SPD]: Aber der wäre schon mal gut!)

Ein Betreuungsplatz spielt eine zentrale, aber eben nicht die einzige Rolle.

Die entscheidende Frage, die im Mittelpunkt steht, lautet: Wie gestalten Paare eigentlich ihre Elternschaft? Dabei kommt auch die Frage auf: Wie sind eigentlich die Arbeitszeiten, und wie hoch ist die Flexibilität bei meinem Arbeitgeber oder meiner Arbeitgeberin? Noch viel zentraler ist, glaube ich, die Frage: Welche Rollenbilder werden in der Familie gelebt, und zwar nicht nur bewusst, sondern vielleicht auch unbewusst?

Ich habe immer wieder mit Hebammen gesprochen, die zu mir gesagt haben, dass die Familien mit einem aktuellen Familienbild in den Kreißsaal hineingingen und mit einem 70er-Jahre-Familienbild wieder herauskämen. Ich glaube, dass das der zentrale Ansatz ist, zu dem wir als Gesellschaft ein Umdenken brauchen.

Dabei spielt auch das Umfeld eine große Rolle. Wenn ich als Frau einen Elternzeitantrag bei meinem Arbeitgeber oder meiner Arbeitgeberin einreiche und mir dann gesagt wird: „Ah ja, vielen Dank dafür. Wann kommen Sie denn zurück und mit wie viel Prozent? Mit 100 % geht es ja nicht, weil Sie jetzt ein Kind betreuen müssen“, haben wir ein Problem. Daran müssen wir im Bereich der Vereinbarkeit arbeiten.

Es hängt aber eben nicht nur an der Betreuung, sondern auch an anderen Faktoren. Ich komme auf die Überschrift des Antrags und damit die Bildungsgerechtigkeit zu sprechen. Für mich entsteht Bildungsgerechtigkeit nicht dadurch, dass wir mal eben Kosten abschaffen, sondern dadurch, dass wir schauen, welchen Bedarf Kinder haben, und sie dementsprechend fördern.

(Nadja Lüders [SPD]: Ist das wirklich Ihr Ernst?)

Dabei stehen für mich im Rahmen dessen, was hier in der Koalition und der Landesregierung passiert, zwei zentrale Punkte im Mittelpunkt: die inhaltliche Weiterentwicklung der Familienzentren

(Andrea Busche [SPD]: Unfassbar!)

und die Entwicklung des Kita-Sozialindexes.

Bei Letzterem geht es darum, finanzielle Mittel so zu verteilen, dass die Kitas in herausfordernden Lagen

(Zuruf von Nadja Lüders [SPD])

die höchsten finanziellen Mittel und vor allem die beste personelle Ausstattung haben, um dort die beste Arbeit leisten zu können. Es geht darum, dass die Kinder mit den schlechtesten Startchancen die beste Unterstützung bekommen.

Jetzt merken wir alle auf und denken: Das Startchancen-Programm gibt es doch für die Schule, und der Bund möchte es auf die Kitas ausweiten. – Das ist eine hervorragende Idee; das kann man der Koalition in Berlin auch mal attestieren. Die Frage ist nur: Wann wird dies kommen?

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wahrscheinlich vor eurer KiBiz-Revision!)

Wir werden warten. Ich hoffe, dass es bald kommt; denn wir brauchen das Geld hier vor Ort.

Bei der Weiterentwicklung von Familienzentren muss man konstatieren, dass das eine gute Idee war, die aktuell aber sehr breit ausgerollt ist. Es ist gerade eigentlich nicht die Zeit, um mit der Gießkanne alles in gleichem Maße zu fördern. Das Ziel muss stattdessen sein, dass die Kitas, deren Bedarfe hoch sind, besonders unterstützt werden und Ungleiches ungleich behandelt wird.

Damit kommen wir zu meinem nächsten Punkt, nämlich den Kosten von Bildung. Ich frage mich ehrlicherweise, wo die SPD in den letzten Jahren gewesen ist. Die Haushaltslage ist herausfordernd, nicht nur bei uns im Land, sondern auch im Bund. Natürlich kann man hier mal eben 1 Milliarde Euro mehr fordern. Allerdings muss festgehalten werden, dass Sie nicht für die Qualität in den Kitas 1 Milliarde Euro mehr fordern.

Lassen wir uns jetzt mal auf dieses Gedankenspiel ein. Wenn der Finanzminister zu mir kommen und sagen würde: „Frau Woestmann, hier ist 1 Milliarde Euro mehr für die Kitas“, dann wäre meine Antwort auf die Frage, was ich damit machen würde, sehr klar. Ich würde in eine Ausbildungsoffensive investieren. Ich würde in Chancengerechtigkeit investieren, also dafür sorgen, dass Kinder, die aus Haushalten kommen, in denen sie nicht so gefördert werden können, wie es nötig ist, bessere Unterstützung erhalten. Ich würde auch dafür sorgen, dass der Fachkraft-Kind-Schlüssel verbessert wird.

Ich würde diese Milliarde aber nicht dafür nutzen, um pauschal alles für alle kostenlos zu machen, weil ich der festen Überzeugung bin, dass starke Schultern mehr tragen müssen.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das galt für die Grünen bei den Studiengebühren nie!)

„Gerecht“ bedeutet doch nicht, dass wir alle gleichbehandeln, sondern, dass wir alle so behandeln, dass sie die gleichen Möglichkeiten haben. Das bedeutet für mich auch, dass ich als Abgeordnete mit einer guten Diät, einem guten Einkommen selbstverständlich das Mittagessen meines Kindes in der Kita zahlen kann, während der alleinerziehende Vater, der am Ende des Monats nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll, eben eine andere Unterstützung braucht.

Wir werden den Antrag daher ablehnen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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