Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist richtig, heute über thyssenkrupp zu sprechen, denn seit Monaten werden die Beschäftigten der Stahlsparte und die Öffentlichkeit mit einem unsicheren Fahrwasser konfrontiert, das seinesgleichen sucht. Es ist ein beispielloser Vorgang, der sich vor genau zwei Wochen in Duisburg ereignet hat, an dem Tag, als drei Vorstandsmitglieder der Stahlsparte gegangen wurden und als vier Aufsichtsratsmitglieder gegangen sind.
Ich könnte an dieser Stelle lange Einlassungen dazu machen, in welchem Stil dieser Vorgang abgelaufen ist. Ich verzichte in großen Teilen darauf, denn die Lage ist zu ernst für alle Beteiligten: für die Beschäftigten, die ihre Mitbestimmung massiv angegriffen sehen, für die neuen Vorstandsmitglieder, die jetzt vor massiven Aufgaben stehen, und für uns alle in diesem Bundesland, denn der Stahlstandort Duisburg ist ein Schlüssel für die gelungene Transformation.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
In Duisburg stehen 13.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel, und das allein am Standort selbst. Wir reden hier über ein Unternehmen, das die Stadt Duisburg nicht nur prägt, sondern ein elementarer Teil von ihr ist. Jeder bei uns kennt jemanden, der bei thyssenkrupp gearbeitet hat oder noch arbeitet. Für uns Duisburger ist klar, dass es hier um ein Stück Geschichte und ein Stück Identität geht, aber eben auch um unsere Zukunft.
Nicht nur deshalb stehen die Grünen und die Kommunalpolitik in Duisburg geschlossen hinter den Beschäftigten und unterstützen ihren Kampf, denn das sind unsere Freund*innen, Verwandten und Kolleg*innen, über die wir hier reden, mit Familien im Rücken, deren Auskommen gerade auf dem Spiel steht.
Gestatten Sie mir wenige Sätze an dieser Stelle, liebe SPD, die ich völlig ernst meine: Lassen Sie uns schon um ihretwillen nicht das Ringen um die Transformation zu einem Moment für kurzfristige politische Geländegewinne machen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Es macht etwas mit den Menschen, wenn man wie in Ihrem Antrag von der Transformation im Konjunktiv oder in der Vergangenheitsform liest. Dieser Verantwortung müssen Sie sich in dieser Debatte bewusst sein.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir sprechen von 13.000 Beschäftigten in Duisburg, 27.000 im Stahlunternehmen über alle Standorte hinweg und 400.000 in der stahl- und metallverarbeitenden Produktion. In unserem Industrieland können und wollen wir mit dem Bau der Direktreduktionsanlage in Duisburg den Ankerpunkt für die Wasserstoffkaskade schaffen. Unsere Industrie auf den Klimapfad zu bringen, ist nicht nur unsere Verantwortung für unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten, sondern wird uns bei Unterlassung auch einen schwerwiegenden Nachteil auf dem internationalen Markt bringen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Denn ein Narrativ, das gerade von Rechtsaußen gespielt wird, stimmt nicht: dass nämlich erst einmal alle anderen Länder mit der Transformation beginnen sollen. Wir sind längst im Wettbewerb mit vielen Staaten auf der Welt, wer zuerst seine Wirtschaft klimaneutral und wettbewerbsfähig aufstellt. So ist es doch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir Grüne bringen in diesen unruhigen Zeiten mit, was es braucht: den Mut, es zu machen. Und wir leisten damit nicht zuletzt auch einen Anteil daran, dass wir in Europa in unserer kritischen Infrastruktur resilient bleiben. Klimaschutz schafft Sicherheit vor Angriffen und macht uns unabhängig.
Aus diesem Mut, es zu machen, leiten wir aber auch klare Ansprüche ab: thyssenkrupp muss liefern. Ich will mich nicht in schnell gesprochene Spekulationen über die Kostensteigerungen des Projektes „DRI-Anlage“ einreihen; denn das kann weder ich noch irgendwer hier in diesem Parlament zu diesem Zeitpunkt seriös tun. Aber nach dem, was in den letzten zwei Wochen vorgefallen ist, möchte ich hier Leitplanken für den kritischen Punkt setzen, an dem wir stehen.
Erstens. Es ist töricht, Fördergelder in dieser Höhe anzunehmen und dann nicht auf die eindringlichen Mahnungen des Ministerpräsidenten und des Bundeswirtschaftsministers nach Moderation einzugehen.
Zweitens. Die Transformation, die nicht weniger als eine industrielle Revolution ist, gibt es nicht umsonst. Sie kann nicht für kurzfristige Dividendenausschüttungen aufs Spiel gesetzt werden. Es muss, wie es auch immer war, selbstverständliche unternehmerische Verantwortung sein, diese Herausforderung anzunehmen. Und ja, das richte ich auch direkt an die Krupp-Stiftung, die sich ihrer eigenen Geschichte bewusst werden muss.
(Beifall von den GRÜNEN)
Drittens. Es muss in aller Ernsthaftigkeit an den gemeinsamen Tisch zurückgekehrt werden. Der von Bundeswirtschaftsminister Habeck und unserer stellvertretenden Ministerpräsidentin Mona Neubaur am Montag auszurichtende Stahlgipfel muss von allen Beteiligten als Wendepunkt angenommen werden.
Viertens. Es muss Schluss sein mit diesen rabiaten Angriffen auf die Mitbestimmung. Hier steht das Erfolgsmodell der Sozialpartnerschaft auf dem Spiel.
Die Beschäftigten der Stahlsparte leisten einen tollen Job und haben sich nicht zuletzt auch dafür verdient gemacht, diese größte Einzelförderung des Landes zu erkämpfen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Lassen Sie mich an dieser Stelle auf den kalkulierten Angriff von Rechtsaußen eingehen. Es ist klar, dass die AfD hier Gewerkschaften angreift.
(Zuruf von Christian Loose [AfD])
Ihnen gefällt es nicht, dass die Arbeiterschaft in Duisburg weiß, dass der Klimawandel Veränderungen mit sich bringt, die auch sie mittragen müssen, damit Stahl in Duisburg eine Zukunft hat. Gewerkschaften haben sich immer gegen rechtsextreme Ideologien zur Wehr gesetzt, sie waren immer Feindbild von Parteien wie der AfD, und da müssen wir als Demokratinnen und Demokraten jeden Tag gegenhalten.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Liebe Kolleg*innen, 2 Milliarden Euro – das ist die Fördersumme, die Land und Bund aufbringen, und sie verlangen den angespannten Haushalten viel ab. Wir werden nicht nur beim Stahlgipfel, sondern auch in den nächsten Monaten weiter selbstbewusste Ansprüche aus ihnen ableiten, damit die Transformation in Duisburg, in NRW, in Deutschland und in Europa gelingt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)