Gönül Eğlence: „Ein Wust aus Rassismus, Verschwörungstheorien und Apokalypsefantasien“

Zum Antrag der "AfD"-Fraktion zu Meldestellen

Portrait Gönül Eglence

Gönül Eğlence (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Ich gehöre zu den aus meiner Sicht bedauernswerten Menschen, die häufiger Anträge der Antragsteller*innen lesen müssen. Was mir in allen Anträgen, egal, zu welchem Thema, begegnet, ist ein Wust aus Rassismus, Verschwörungstheorien und Apokalypsefantasien.

Als demokratische Parlamentarierin ist man üblicherweise geneigt, Objektivität und Sachlichkeit in den eigenen Redebeitrag zu bringen. Bei diesen Anträgen fällt mir das immer besonders schwer. Bei der Lektüre des Antrags und auch der dazugehörigen 20-seitigen Großen Anfrage beschleicht mich nun aber der Eindruck: Will ich etwa etwas versachlichen, was gar nicht zu versachlichen ist? Bin ich in einer „Mission impossible“? – Ich komme zu dem Schluss: Ja.

Ein paar Beispiele: Mehrfach fällt im Antrag der Begriff „tiefer Staat“. Das hat, vermute ich, den Zweck, das Apokalypseszenario sprachlich zu manifestieren. Ungeschickt ist allerdings, dass der Begriff des tiefen Staates, also „Deep State“, im Antrag falsch interpretiert wird. Da ich aber ein Lehramtsstudium abgeschlossen habe, erkläre ich Ihnen das gerne. Beim Deep State gerät nicht der Staat in die Tiefe, wie im Antrag beschrieben, sondern es entsteht eine Parallelstruktur, die am Staat vorbei, sozusagen aus der Tiefe heraus, die Geschicke in bestimmten Bereichen lenkt.

Das zweite Beispiel: Ich wüsste gerne, wie die antragstellende Fraktion ihren Wählerinnen und Wählern den Widerspruch erklärt, im Allgemeinen den Staat als nicht vertrauenswürdig darzustellen, im Antrag aber zu bemängeln, dass die Neutralität nicht gewahrt werden könne, weil die Meldestellen in NGOs angesiedelt seien. Wörtlich heißt es im Antrag – ich zitiere mit Erlaubnis –:

… „wenn Lobby-Organisationen mit dem Betrieb und der organisatorischen Aufbauarbeit der Meldestellen betraut werden und eben keine staatlichen“ – also neutralen – „Stellen“.

Danke, dass Sie die Neutralität des Staates bekräftigen.

Das dritte Beispiel: Im Antrag – und heute auch schon an anderer Stelle offenbart – werden die Begriffe „Islam“ und „Islamismus“ substitutiv verwandt. Auch hier noch mal zum Mitschreiben: Der Islam bezeichnet neben dem Christentum und dem Judentum die dritte Buchreligion, der Islamismus beschreibt eine extremistische Ideologie. Letztere bekämpfen wir.

Meine Damen und Herren der demokratischen Fraktionen, die antragstellende Fraktion wird ideologiebedingt nicht hören wollen, was ich gerade sagen will, bzw. es ideologiebedingt anzweifeln. Aber für uns Demokrat*innen sind das alarmierende Ergebnisse: Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung, DeZIM, veröffentlichte am 6. September Ergebnisse seiner Kurzstudie. Das wichtigste Ergebnis: Immer mehr Menschen denken über Aus- und Abwanderung nach. Die AfD-dominierten Bundesländer würden regelrecht ausbluten, heißt es in der Leipziger Zeitung dazu. Fast jede vierte befragte Person mit einem sogenannten Migrationshintergrund erwägt zumindest hypothetisch, Deutschland zu verlassen. Bei den Befragten ohne Migrationshintergrund trifft das immerhin noch auf mehr als jede zehnte Person zu. Konkrete Pläne hat jede zehnte Person mit Migrationshintergrund.

Auch aus diesem Grund sind die Meldestellen so wichtig. Ich würde jetzt auch noch gerne erklären, warum es wichtig ist, datenbasierte Erkenntnisse zu Fällen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zu sammeln, und warum Dunkelziffern zum Beispiel im Bereich „Antiziganismus“ zu einer eigenen Meldestelle führen. Dafür bräuchten wir allerdings eine zusätzliche Förderstunde, für die uns gerade die Zeit fehlt.

Den Antrag lehnen wir selbstverständlich ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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