Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die verübten und vereitelten Anschläge von Solingen, Mannheim und München sowie eine Vielzahl weiterer Anschläge machen eines sehr deutlich: Wir stehen offenbar am Beginn einer neuen islamistischen Terrorwelle in Europa. – Die gute Nachricht ist: Wir können diese Welle brechen, wenn wir jetzt besonnen und zugleich entschlossen handeln.
Ich muss wirklich sagen: Ich bin schon sehr irritiert, dass die SPD offenbar jeglichen Gestaltungsanspruch hinsichtlich der inneren Sicherheit, immerhin eine Landeszuständigkeit, aufgegeben hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Widerspruch von der SPD)
Wir als schwarz-grüne Koalition sind selbstverständlich untereinander abgestimmt, und wir handeln. Wir handeln mit sehr konkreten Maßnahmen auf Landesebene. Wir handeln für die Sicherheit aller Menschen in Nordrhein-Westfalen und zur Verteidigung unserer Freiheit.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Nicht zuletzt das heutige Datum zeigt: Die Bedrohung durch den Islamismus ist nicht neu. – Sie wächst aktuell wieder deutlich. Der IS ruft wieder verstärkt, insbesondere nach dem 7. Oktober, zu Anschlägen in Europa auf. Der IS will uns gesellschaftspolitisch in die Steinzeit zurückkatapultieren.
Dafür bedient er sich der neuesten Technik von TikTok bis Telegram. Deshalb müssen wir die Sicherheitsbehörden auf die Höhe der Zeit bringen. Die Möglichkeiten verschlüsselter Kommunikation, die rasante Verbreitung von menschenverachtenden Inhalten in sozialen Medien stellen unsere Sicherheitsbehörden und unsere gesamte Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Wir werden den digitalen Raum deshalb zukünftig stärker mit virtuellen Ermittlern bestreifen und KI nutzen, um bei islamistischem Terrorismus schneller eingreifen zu können. Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum. Islamisten werden das zukünftig noch stärker zu spüren bekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Verschlüsselte Kommunikation ist wichtig. Sie ist wichtig, damit unser aller Kommunikation nicht wie eine Postkarte offen durch das Internet flattert. Unsere Freiheit und das Recht darauf, selbstbestimmt über die Verwendung der persönlichen Daten entscheiden zu können, haben Verfassungsrang.
Aber kein Terrorist würde heute eine Anschlagsplanung über den Festnetzanschluss durchgeben. Auch Terroristen nutzen verschlüsselte Kommunikation. Deshalb werden wir zum Schutz unserer freiheitlichen Gesellschaft den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen analog zum Bund in die Lage versetzen, anlassbezogen, im Einzelfall und unter engen Voraussetzungen laufende Kommunikation mitlesen zu können. Ich halte das in der heutigen Zeit für angemessen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ich finde das auch angemessen angesichts der aktuellen Bedrohungslage, in der wir uns gerade befinden, und nach einer neuen Rechtsprechung. Man muss ja zur Kenntnis nehmen, dass Gerichte neu urteilen. Wir haben eine neue Rechtsprechung. Ich finde es richtig, auch neue Schlüsse daraus zu ziehen. Die neue Rechtsprechung bezieht sich auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung zum anlassbezogenen Zugriff auf die IP-Adressen, die von Ermittlungsbehörden im konkreten Einzelfall zur Aufdeckung von Netzwerken benötigt werden.
Klar ist auch: Es gibt nicht die eine Wunderwaffe gegen den islamistischen Terrorismus. Aber – das ist mir sehr wichtig – wir setzen eben nicht auf Symbolpolitik in der Innenpolitik, sondern auf Lösungen, die echte Sicherheit für die Menschen in Nordrhein-Westfalen bringen. Wir machen unseren Rechtsstaat noch wehrhafter.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Sicherheitsbehörden brauchen für ihre Arbeit Wissen über Radikalisierungsprozesse, über Kommunikationswege und Strategien des Islamismus. Deshalb ist es wichtig, dass die Sicherheitsbehörden wissenschaftliche Erkenntnisse noch stärker in ihre Analysen einbeziehen sollen. Die Wissenschaft kann nicht alle Probleme für uns lösen, aber sie ist ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den demokratiefeindlichen Islamismus.
Ich will deutlich sagen: Wir werden unsere freiheitliche Art, zu leben, verteidigen. Wir stehen für die Errungenschaften einer freiheitlichen Europäischen Union, die auf Kooperation und Zusammenarbeit statt auf nationale Abschottung setzt. Wir werden unsere humanitären Werte auch und gerade in der Asylpolitik gegen den Islamismus verteidigen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Das individuelle Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention gelten zu Recht. Die Genfer Flüchtlingskonvention als internationales Abkommen über den Schutz und die Rechte und Pflichten von Flüchtlingen war die Antwort auf die großen Fluchtbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie ist eine der großen humanitären Errungenschaften in Europa.
Niemals dürfen wir den Islamisten die Macht geben, unsere Werte „Humanität“ und „Verantwortung gegenüber Menschen, die auf unseren Schutz angewiesen sind“, aufzugeben. Das gilt insbesondere gegenüber denjenigen, die Opfer des mörderischen Islamismus geworden sind. Wir bleiben humanitär und solidarisch mit denjenigen, die unseren Schutz dringend brauchen.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Gleichzeitig wissen wir, dass nicht alle, die nach Deutschland kommen, hier werden bleiben können. Wir haben Regeln im Asylverfahren. Zu einem Rechtsstaat gehört für uns Grüne auch, dass Verfahren funktionieren und Gesetze gelten.
Die Landesregierung hat bereits vor dem furchtbaren Anschlag von Solingen Schritte unternommen, um die Verfahren bei Rückführungen zu verbessern. Es ist nur konsequent, diesen Weg weiterzugehen. Dazu gehört die weitere Stärkung der Zentralen Ausländerbehörden, aber auch die Verbesserung des Datenaustausches zwischen den unterschiedlichen Behörden. Wir gehen diesen Weg konsequent weiter.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Von schnellen Verfahren und schneller Klarheit profitieren schließlich alle Beteiligten. Das sind auch die Kommunen. Wir wissen, dass die Herausforderungen für unsere Kommunen enorm sind. Es ist oftmals vor Ort ein Kraftakt, die große Zahl an Geflüchteten menschenwürdig unterzubringen, Kita und Schulplätze vorzuhalten und von Anfang an für die Integration derjenigen zu sorgen, die langfristig hierbleiben werden.
Wir brauchen deren Integration, wir brauchen deren Potenziale für unsere Gesellschaft.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Deshalb will ich an dieser Stelle auch einmal denjenigen Danke sagen, die dies jeden Tag leisten – in der Flüchtlingsarbeit, in den Kommunen, in der Integrationsarbeit.
Von schnellen Verfahren profitieren auch die betroffenen Menschen. Denn es ist einfach nur fair und ehrlich und richtig, ihnen Klarheit über ihre Perspektive zu geben.
Schnelle Verfahren haben auch etwas mit Sicherheit zu tun. Die Zeit, in der Menschen nicht wissen, ob sie in Deutschland bleiben können und, in der sie nicht wissen, wie es für sie weitergeht, dieses In-der-Luft-Hängen, diese Zeit ohne Perspektive: Das ist ein Einfallstor für Radikalisierung. – All jene, die unsere freiheitliche Gesellschaft attackieren wollen, kennen dieses Tor und marschieren hindurch.
Natürlich gibt es keine Rechtfertigung für Terrorismus, denn Terrortaten lassen sich niemals rechtfertigen. Wir dürfen aber doch nicht zulassen, dass diejenigen, die radikalisieren wollen, es zu einfach haben.
(Beifall von Gönül Eğlence [GRÜNE])
Auch deshalb sind schnelle Verfahren wichtig, und wir brauchen sie.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Ich muss schon sagen: Mit Blick nach Berlin und auf so manche Debatte dort erstaunt es mich, wie unterkomplex über die Tat von Solingen gesprochen wird. Selbstverständlich müssen wir Humanität und Ordnung in der Asylpolitik zusammenbringen. Doch wir alle wissen, dass der IS auch hier in Deutschland unabhängig von Staatsangehörigkeit und Herkunft anwirbt und radikalisiert. Deshalb wäre es sicherheitspolitisch absolut fahrlässig, die Terrorgefahr allein auf Geflüchtete zu beschränken. Genau das machen wir als schwarz-grüne Koalition nicht. Wir gehen mit einem breiten Ansatz gegen Islamismus vor.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wir brauchen starke Sicherheitsbehörden und starke Strukturen in der Prävention und in der Intervention. Das Ziel muss doch sein, dass wir die Befugnisse und die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden nicht brauchen, weil sich Menschen gar nicht erst radikalisieren oder wir es schaffen, frühzeitig zu intervenieren.
Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen eine breite Präventionslandschaft und viele Angebote. Ich glaube, es muss jetzt darum gehen, diese auf neue Phänomene auszurichten, dorthin zu gehen, wo junge Menschen sich aufhalten, nicht zuzulassen, dass TikTok ein Ort der unverhohlenen Radikalisierung ist, nicht zuzulassen, dass junge Menschen auf den Pfad des radikalen Islamismus und damit ins Verderben geführt werden.
Genauso wenig dürfen wir zulassen, dass bestimmten Gruppen in unserer Gesellschaft mit einem Generalverdacht begegnet wird. Wenn eine junge Frau mit Kopftuch dreimal überlegt, ob sie wirklich zum öffentlichen Gedenken für die Opfer von Solingen gehen soll, weil sie Angst hat, angefeindet zu werden, dann stimmt doch etwas nicht in unserer Gesellschaft. Rechtsextreme versuchen längst, die Tat von Solingen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren; auch das haben wir erlebt.
Wir dürfen diesen Hass nicht zulassen.
(Beifall von Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im Geschäftsbereich der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung, aus den Reihen der Abgeordneten, und Klaus Kaiser [CDU])
Wir wollen, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft, von Religion, von sexueller Identität frei und sicher hier leben können. Dafür setzen wir uns jeden Tag ein. – Danke schön.
(Anhaltender Beifall von den GRÜNEN und der CDU)