Norwich Rüße: „Es sind Krokodilstränen, die Sie da heulen“

Zum Haushaltsplan 2024 - zweite Lesung, Einzelplan Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen mittlerweile am Ende des Jahres. Haushaltsberatungen im November sind auch immer eine Gelegenheit, noch mal einen Blick zurückzuwerfen.

Zwei Dinge, Herr Brockes, haben die Landwirtschaft in diesem Jahr mächtig beschäftigt: einmal mehr das Wetter. Ich erinnere an den Dauerregen im Herbst, die schwierige Ernte und die noch schwierigere Aussaat. Herr Kollege Höner weiß, wovon ich rede.

Lieber Kollege Brockes, was die Landwirtschaft das ganze Jahr über beschäftigt hat, ist die Frage: Wie soll es eigentlich weitergehen? Sie werfen hier als FDP-Abgeordneter der Landesregierung vor, wir würden nicht genug für die bäuerliche Landwirtschaft tun. Gleichzeitig ist es Ihr Finanzminister in Berlin, der die Umsetzung der Borchert-Pläne durch seine Finanzpolitik abwürgt. Es ist eine Unverschämtheit, dass Sie so etwas machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es sind Krokodilstränen, die Sie da heulen. Das finde ich wirklich unwürdig.

Ich sage Ihnen noch eines: Wenn Sie hier 30 Millionen Euro für den Umbau, die Umrüstung von Biogasanlagen beantragen, frage ich mich, wofür wir eigentlich zusammen im Umweltausschuss Anhörungen machen. Die Anhörung hat als Ergebnis ganz deutlich hervorgebracht, dass diese Umrüstung, die Sie jetzt mit 30 Millionen Euro fördern wollen – das war damals Ihr Antrag –, gar keinen Sinn macht, dass sie überhaupt nicht gebraucht wird. Warum stellen Sie einen solchen Antrag? Dann können wir Anhörungen auch sein lassen. Wir wollen doch schlauer werden. Man stellt doch nicht aus FDP-ideologischen Gründen so einen Antrag zum Haushalt und meint, man könne da 30 Millionen Euro ausgeben.

Präsident André Kuper: Herr Kollege Rüße, ich müsste Sie einmal kurz stören. Der angesprochene Kollege möchte gern eine Zwischenfrage stellen.

Norwich Rüße (GRÜNE): Das habe ich vermutet.

(Heiterkeit)

Präsident André Kuper: Denn man tau!

Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Herr Kollege Rüße, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Wir diskutieren gerade den Einzelplan des Landwirtschaftsministeriums. Wenn ich es richtig weiß, dann wird gleich Frau Ministerin Gorißen dazu reden, weil sie die Verantwortung für diesen Bereich hat.

Meine Frage ist: Wie kommen Sie darauf, dass in Berlin die Verantwortung für den Landwirtschaftshaushalt beim Finanzminister und eben nicht beim zuständigen Landwirtschaftsminister liegt, der für ideologiegetriebene Vorzeigeprojekte noch reichlich Geld hat, aber eben leider nicht für die GAK-Mittel?

(Beifall von der FDP)

Norwich Rüße (GRÜNE): Ich bin fast ein bisschen fassungslos, Herr Brockes.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie solche Zwischenfragen stellen. Wir wissen doch alle miteinander, dass die Borchert-Kommission ermittelt hat, dass der jährliche Finanzbedarf für den von der gesamten Gesellschaft gewünschten Umbau der Tierhaltung ungefähr 4 Milliarden Euro beträgt. Jetzt kann man sich überlegen, wie man das finanziert. Aber die Mittel müssen bereitgestellt werden. Es war Ihr Finanzminister, Christian Lindner, der gesagt hat: Okay, lieber Landwirtschaftsminister, du kriegst 1 Milliarde Euro für vier Jahre. Damit musst du erst mal starten und auskommen. – Das ist die Faktenlage. Es ist Ihr Finanzminister.

(Kopfschütteln von Dietmar Brockes [FDP])

– Da hilft auch Kopfschütteln nichts. Genauso ist es.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wenn die aus meiner Sicht dringend notwendige Anschubfinanzierung des Umbaus der Tierhaltung so nicht kommt – ich nehme zur Kenntnis, dass das im Moment so ist –, glaube ich, wir brauchen bei der Borchert-Kommission dringend einen Neustart. Ich finde es außerordentlich schade, dass sie nicht mehr da ist. Wir müssen da noch mal neu durchstarten und sehen, wie wir das wieder angeschoben bekommen.

Aber wenn das nicht so ist, lautet die Frage – und die haben wir uns im Koalitionsvertrag auch gestellt –: Was können wir tun? Die Bäuerinnen und Bauern sagen alle: Wir sind ja bereit, die Tiere anders zu halten. Wir machen das, aber der Absatz muss stimmen. Dabei haben wir uns gemeinsam überlegt: Was können wir tun? – Da machen wir uns auf den Weg. Mitnichten sind das grüne Spielwiesen, Herr Brockes. Das können Sie nun absolut nicht sagen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Wenn sich diese Ministerin bemüht, dass wir jetzt ein Kantinenprogramm umsetzen, dass wir eine Ernährungsstrategie in NRW erhalten, dass wir eine bessere regionale Vermarktung für die Bäuerinnen und Bauern in den Regionen hinbekommen, damit wir nicht mehr wie in der Vergangenheit so stark vom Weltmarkt abhängig sind, damit wir für die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen die Produkte erzeugen, dann sind das doch keine grünen Spielwiesen. Das ist das, was die Menschen, was die Bevölkerung, was Verbraucherinnen und Verbraucher von der Politik erwarten. Sie erwarten, dass wir das tun und die Landwirtschaft an der Stelle unterstützen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich freue mich tatsächlich, dass wir das, nachdem wir im letzten Jahr die Erhöhung gemacht haben, Stichwort „Ökomodellregion“, jetzt verstetigt bekommen.

Natürlich kann man immer fordern, es muss noch ein bisschen mehr sein, klar. Aber die Haushaltslage ist so, und das haben andere Redner vor mir auch schon im Laufe des Tages gesagt, wie sie ist. Es ist schon eine große Leistung, dass diese Finanzierung so verankert ist. Das gilt auch für die Aktionstage Ökolandbau. Ich glaube, es ist ein starkes Signal, dass wir die Mittel so wieder bereitstellen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

In schwierigen Zeiten – und für die Landwirtschaft sind es schwierige Zeiten – ist es wichtig, dass man sich auf eine Landesregierung verlassen kann, dass man weiß, sie steht hinter einem, sie hilft einem, diesen Umstrukturierungsprozess hinzubekommen.

Der Haushalt des Einzelplans 15 ist nicht der größte Haushalt. Ich würde ihn mir größer wünschen, damit wir mehr für die Landwirtschaft, für die Wälder bewegt bekämen. Das ist so. Aber er ist eben erst mal so, wie er ist.

In diesem Haushalt fallen zwei große Blöcke auf. Frau Blask, jetzt werden Sie überrascht sein. Ich thematisiere das trotzdem weiterhin.

Es gibt zwei große Blöcke, die stark von Verwaltungsausgaben geprägt sind. Das sind die Überweisungen in Richtung Landwirtschaftskammer und in Richtung Landesbetrieb Wald und Holz. Da gab es in den vergangenen Jahren erhebliche Aufwüchse. Die sind zwar zu erklären, aber trotzdem möchte ich den Hinweis geben, dass wir, weil wir alle miteinander wissen, dass die Mittel nicht immer weiter zunehmen, bei diesen Positionen sorgfältig beobachten müssen, wie die weitere Entwicklung ist, und prüfen müssen, was auf Dauer geht.

Bei der Umsetzung der GAP-Förderung und der dahinterstehenden Kontrolle müssen wir uns überlegen, ob wir die Digitalisierung dazu nutzen wollen, 100 % perfekt zu kontrollieren, oder ob wir die Digitalisierung auch dazu nutzen wollen, den vorhandenen Anteil an Kontrollen weiter fortzuführen, aber die Verwaltung durch Digitalisierung zu entlasten. Bei der Entscheidung wird zwar zum Großteil von Brüssel vorgegeben, was gemacht werden muss, aber ich glaube, wir müssen stark darauf drängen, das in eine andere Richtung zu schieben, weil wir nicht immer mehr leisten können.

Wir müssen auch andere Dinge auf den Prüfstand stellen. Als Beispiel nenne ich die Untersuchung auf BHV. Die jährlichen Blutproben – Mutterkühe sind da betroffen – kosten jeden landwirtschaftlichen Betrieb je nach Größe der Herde 200, 300 oder 400 Euro. Da stellt sich die Frage, ob man die Blutproben, anstatt sie mühselig von Tierärzten, von denen wir immer weniger haben, jedes Jahr unter Belastung der Tiere aus dem Schwanz entnehmen zu lassen – das ist keine einfache und für alle Beteiligten anstrengende Prozedur –, nicht auf eine Entnahme des Blutes am Schlachthof umstellen könnte. Darüber könnte man die Herde kontrollieren, anstatt jährlich Stress für Tiere, Tierärzte, Bäuerinnen und Bauern auszulösen.

Da müssen wir hinschauen. Wir diskutieren hier sehr oft über Fachkräftemangel, aber beschäftigen Tierärzte mit solchen Dingen. Ich denke, da müssen wir zu einer Entlastung kommen.

(Beifall von den GRÜNEN und vereinzelt von der CDU)

Wir müssen uns auch Ihre Anträge noch einmal ganz genau anschauen, Frau Blask. Ich finde schon, dass man immer bedenken muss – das haben wir als Koalitionsfraktion und auch als Grüne vorher in Oppositionszeiten immer gemacht –, woher man die Deckung nimmt. Man kann nicht einfach etwas fordern.

Bei 30 Millionen Euro mehr für das Kleingartenwesen stellt sich ohnehin die Frage, ob das so, wie Sie es konzipieren, nicht in den Städtebauhaushalt gehört. 30 Millionen Euro mal eben so als Versprechen für das Kleingartenwesen kann ich nicht nachvollziehen.

Als die FDP eben 30 Millionen Euro hörte, hat sie sich gedacht: „30 Millionen Euro können wir auch ausgeben“ und zauberte ihren Biogasantrag aus der Tasche. Dann sollten auch da 30 Millionen Euro ausgegeben werden.

(Dietmar Brockes [FDP]: 35!)

– 35 Millionen! Ah, wir können 5 Millionen Euro mehr als die SPD. Herzlichen Glückwunsch!

Ich finde es schwierig, ernsthaft über Änderungsanträge zu diskutieren, die auf dem Niveau ablaufen. Ich würde mir wünschen, dass Sie im nächsten Jahr mit besseren Anträgen kommen und wir die Anträge dann vielleicht auch aufnehmen können. So geht das jedenfalls nicht.

Alles in allem ist das aus unserer Sicht ein Haushalt, der der Landwirtschaft hilft, der in die richtige Richtung geht und deshalb unsere Unterstützung findet. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)