Julia Eisentraut: „Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel an den Hochschulen“

Zu Anträgen von "AfD"- und FDP- und SPD-Fraktion zur Harmonisierung von Schul- und Semesterferien

Portrait Julia Eisentraut Februar 2023

Julia Eisentraut (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Lassen Sie mich eines gleich zu Beginn klarstellen: Niemand spricht die Wichtigkeit von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ab.

(Zuruf von der SPD: Dann stimmen Sie zu!)

Wir alle wissen, das ist eine Zukunftsaufgabe für uns und für unsere Hochschulen, denn Wissenschaft ist ein essenzieller Bestandteil unserer Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von der SPD: Dann stimmen Sie doch zu! Ganz einfach!)

Ja, es muss noch viel für die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft getan werden. Den einen Grund haben Sie schon genannt: Das ist der Fachkräftemangel. Auch in der Wissenschaft ist der Fachkräftemangel eklatant: studentische Hilfskräfte, wissenschaftliche Mitarbeitende und ja, in einigen Fachbereichen sogar Professor*innen.

Der zweite Grund ist, Wissenschaft muss vielfältig sein, um dem Anspruch gerecht zu werden, Gesellschaft gut zu beraten.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Ja, wir sehen bei Frauen, bei Menschen mit Care-Aufgaben eine Leaky Pipeline. Das ist hinreichend belegt.

(Zuruf von der AfD)

Doch es gibt viele Aspekte, die dazu beitragen, und das führen weder FDP noch SPD in ihrem Antrag auf. Wir fangen mal ganz vorne an. Ein Beispiel – vieles davon kann ich aus eigener und zweiter und dritter Hand berichten –:

Hustle Culture, die Idee, dass Wissenschaft durch Anwesenheit und pures Dasitzen besser wird, und dass es darauf ankommt, viele Publikationen schnell herauszubringen. Dabei geht es manchmal nicht mehr um die Frage nach Leistung. Das benachteiligt die Menschen, die nicht 12 bis 14 Stunden täglich in den Hochschulen verbringen können. Wissenschaftliche Konferenzen, aber auch Journal-Publikationen sind immer das, woran wissenschaftliche Exzellenz gemessen wird. Wenn wir schauen, wann diese Konferenzen liegen, so hatte ich teilweise schon an Weihnachten und Neujahr Konferenzpapiere zu bearbeiten. Anders ging es nicht mehr. Auch das ist familienunfreundlich.

(Zuruf von der SPD: Sag doch was zum Antrag!)

Arbeiten an Klausuren und Veröffentlichungen zu später Zeit, am Wochenende, teilweise in der Nacht ist nicht familienfreundlich. Die Anforderung, ständig erreichbar zu sein, ist mit der vergleichbar, die wir hier tagtäglich im Parlament erleben.

(Zuruf von Dr. Christian Blex [fraktionslos])

Der Wiedereinstieg nach Krankheitsphasen – das habe ich selbst erlebt –, aber auch nach längeren Pausen in der Elternzeit ist für viele ein Problem.

(Zuruf von der SPD: Sagen Sie was zum Antrag!)

Beides ist bei der Auswahl Machtmissbrauch. Das sind alles Themen, die wir angehen, die aber in diesem Antrag nicht thematisiert werden.

(Nina Andrieshen [SPD]: Das ist aber sehr kreativ! – André Stinka [SPD]: Haben Sie nichts anderes, oder was? – Weiterer Zuruf von der SPD: Genau, darum geht es gar nicht!)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Lassen Sie die zu?

Julia Eisentraut (GRÜNE): Nein.

Präsident André Kuper: Okay.

(Zurufe)

Julia Eisentraut (GRÜNE): Was wir brauchen, und das zeigen diese Beispiele ganz deutlich, ist ein Kulturwandel an den Hochschulen, den wir begleiten. Es nutzt uns nichts, an kleinen Stellschrauben zu drehen, wenn sich nichts an dem Anspruch ändert, dass Wissenschaftler*innen rund um die Uhr, zu jeder Zeit und für jede Anfrage verfügbar sein müssen. Das müssen auch Sie einsehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP und SPD.

Gemeinsam mit den Hochschulen schrauben wir schon an diesen Stellschrauben. Machtmissbrauch ist ein Beispiel, was das MKW im Gleichklang mit den Hochschulen im Rahmen ihrer Freiheit proaktiv angeht. Auch das ist etwas, was viele Menschen in der Wissenschaft umtreibt, was Frauen mit Care-Arbeit umtreibt, weil es einfach ein Hinderungsgrund ist, richtig gute wissenschaftliche Arbeit zu machen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie haben wir klar im Koalitionsvertrag stehen, weil wir wissen, das ist ein Thema, das die Menschen da draußen umtreibt. Was wir tun werden, ist, an vielen Stellschrauben zu drehen, und zwar an viel mehr Stellschrauben als die, die Sie hier benennen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)