I. Ausgangslage
Nordrhein-Westfalen ist der wichtigste Wirtschaftsstandort der Bundesrepublik Deutschland. Die Struktur der hier angesiedelten Unternehmen ist vielfältig – von kleinen und mittelständischen Unternehmen bis hin zu Großkonzernen – unter diesen finden sich viele „Hidden Champions“ und Weltmarktführer. Das Bundesland befindet sich in einem Transformationsprozess hin zu einem klimaneutralen und modernisierten Industriestandort, der sich den Herausforderungen der Circular Economy stellt, der sich im nationalen und internationalen Wettbewerb behaupten kann und gleichzeitig Wohlstand und Beschäftigung in unserem Land sichert. Die Hauptaufgabe ist, einen angemessenen Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie sowie Ambition und Akzeptanz durch soziale Sicherheit zu schaffen. Damit es den zahlreichen energieintensiven Unternehmen gelingen kann, sich im Einklang mit den Anforderungen der Klimaneutralität zu entwickeln und erfolgreich zu bleiben, braucht es geeignete industrie-, umwelt-, energie- und finanzpolitische Rahmenbedingungen auf Bundes- und Landesebene.
Seit dem ersten Quartal des Jahres 2020 werden Wachstum und Innovationstätigkeit des Wirtschaftsstandortes zusätzlich von den direkten und indirekten Auswirkungen der Corona-Pan-demie mit gerissenen Lieferketten sowie des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine herausgefordert. Viele energieintensive Branchen sind in Nordrhein-Westfalen in bundesweit einzigartiger Wertschöpfungsbreite und -tiefe angesiedelt und von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Insbesondere der Anstieg von Energiepreisen, Rohstoffknappheit und Inflationsrate während der vergangenen Monate belasten die Produktion und wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen deutlich und erschweren damit den Transformationsprozess der Industrie.
Die nationale und insbesondere auch internationale Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Nordrhein-Westfalen wird zusätzlich durch den im August 2022 unterzeichneten Inflation Reduction Act (IRA) der Vereinigten Staaten von Amerika herausgefordert. Die im Rahmen dieses umfassenden Investitionspaktes enthaltenen Maßnahmen und Förderprogramme – insbesondere die an Subventionen und Steuergutschriften geknüpften Kriterien – beeinflussen laufende und zukünftige Investitions- und Standortentscheidungen der hier ansässigen Unternehmen zulasten von Nordrhein-Westfalen. Es braucht eine konsequente, abgestimmte nationale und europäische Antwort auf den IRA, die umfassend alle Standortfaktoren in den Blick nimmt. Darüber hinaus sind wir auch mit anderen europäischen Ländern in einem verschärften Standortwettbewerb.
Es ist Aufgabe einer verantwortungsvollen Politik, die Industrie mit den bestmöglichen Rahmenbedingungen während des Transformationsprozesses sowie in Zeiten konjunktureller Einbrüche zu unterstützen und damit die Attraktivität des Standortes Nordrhein-Westfalen langfristig sicherzustellen. Einer der zentralen Ansatzpunkte ist die konsequente Umsetzung des auf Bundes- und Landesebene geplanten Bürokratieabbaus im Rahmen der bereits im Mai 2022 aufgenommen Gespräche über einen Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung.
In Nordrhein-Westfalen kann die kürzlich aufgewertete Clearingstelle Mittelstand mithilfe ihrer starken Vernetzung zu den mittelständischen Unternehmen einen wichtigen Beitrag hinsichtlich der Identifizierung möglicher Ansätze für den Abbau hemmender Bürokratie leisten. Unser Anspruch ist, optimale Rahmenbedingungen sowie Planungssicherheit für Betriebe zu schaffen und Unternehmen aller Größenklassen – vom Soloselbstständigen über das Handwerk und den Mittelstand bis zu Großunternehmen – von übermäßigen Bürokratieanforderungen zu entlasten. Neben den Fragen der sicheren und wettbewerbsfähigen Energieversorgung ist in dieser Zeit der Fachkräftemangel eine weitere zentrale Herausforderung für den Standort Nordrhein-Westfalen.
Der Industriestandort Nordrhein-Westfalen befindet sich nicht nur im nationalen, sondern auch internationalen Wettbewerb: Für Unternehmen sind insbesondere einfach gestaltete Prozesse, günstige und klimaschonende Energieversorgung, ein verlässliches sowie nur auf das Notwendige reduziertes Maß an Regularien, gut ausgebildete Fachkräfte sowie die Dauer behördlicher Bearbeitungszeiten und Planungs- und Genehmigungsverfahren insgesamt ausschlaggebende Faktoren bei der Standortwahl. Steuerliche Anreize können zu einem Modernisierungs-, Innovations- und Wachstumsschub, welcher die Wettbewerbsfähigkeit Nordrhein-Westfalens langfristig stärken wird, führen. Die auf Bundesebene im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vorgesehene „Superabschreibung“ kann die Unternehmen in der aktuellen Situation maßgeblich entlasten und Investitionen anreizen. Zentral ist zudem eine zielgerichtete und spürbare Entlastung bei den Energiekosten. Es ist für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen von essentieller Bedeutung, dass ein Brückenstrompreis für energieintensive Unternehmen eingeführt wird. Ferner muss die Wirtschaft in der Breite durch eine Absenkung der Stromsteuer entlastet werden. Davon profitiert insbesondere der Mittelstand und das Handwerk.
Für das Erreichen der Klimaschutzziele sowie die Modernisierung des Industriestandortes brauchen wir einen ambitionierten beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien, der gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern vorangetrieben wird. Dabei setzen wir auf die ganze Breite der Erneuerbaren Energien. Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN hat, um den für den Transformationsprozess notwendigen Ausbau der Erneuerbaren Energien maßgeblich voranzubringen, bereits erste Maßnahmen und Initiativen zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren auf den Weg gebracht: Von der Änderung des Landesentwicklungsplans, um die Flächenkulisse für die Erneuerbaren zu erweitern, über die Landesbauordnung bis hin zu zusätzlichem Personal in den Bezirksregierungen für die Genehmigung von Energieinfrastrukturen. Weitere – wie die vollständige Digitalisierung des Antragsverfahren – werden folgen. Nordrhein-Westfalen liegt bereits im Ländervergleich an der Spitze beim Zubau der Erneuerbaren Energien: Im ersten Halbjahr 2023 wurden in Nordrhein-Westfalen bei Weitem die meisten Windenergieanlagen genehmigt. Auch beim Ausbau der Photovoltaik sind wir vorne in der Spitzengruppe.
Die Zukunftskoalition setzt beim Transformationsprozess auf Anreize, um die auf dem Weg zur Klimaneutralität unabdingbaren Innovationen und Investitionen zu fördern. Dabei haben wir mit Blick auf den Transformationsprozess der Industrie sowie die aktuellen konjunkturellen Einbrüche bereits umfassende lang- als auch kurzfristige Unterstützungs-Maßnahmen
entwickelt und umgesetzt. So nimmt der Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff im Rahmen der Transformation des Industriestandortes eine Schlüsselrolle ein. Mit einer Importstrategie für Wasserstoff wird die nordrhein-westfälische Landesregierung die notwendige Infrastruktur bedarfsgerecht aufbauen und weiterentwickeln. Mit der bis dato höchsten Einzelförderung in der Geschichte Nordrhein-Westfalens unterstützt die Zukunftskoalition Thyssenkrupp Steel mit bis zu 700 Millionen Euro dabei, bis spätestens 2045 auf der Basis von Wasserstoff in Duisburg Stahl klimaneutral zu produzieren und somit die Transformation entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu befördern. Allein mit dieser Investition in eine unserer Ankerbranchen werden wir die industriellen CO2-Emissionen in Nordrhein-Westfalen um rund acht Prozent reduzieren. Darüber hinaus entwickelt die Landesregierung gemeinsam mit der NRW.Bank ein Finanzierungsinstrument, dass dem Mittelstand bei der Transformation unterstützen wird und Investitionen in die Technologien und Prozesse von Morgen anreizt.
Anspruch jeglichen wirtschaftspolitischen Handelns muss es sein, gute Arbeitsplätze und soziale Standards zu sichern, unternehmerisches Wachstum und Innovationspotenziale zu entfalten – im Einklang mit der Aufgabe, das Klima zu schützen und die bereits spürbaren Klimaolgen abzumildern. Unser Bundesland hat das Potenzial, bundesweit als auch international eine Vorreiterrolle bei der Versöhnung von starker Industrie und Klimaneutralität einzunehmen. Ziel der schwarz-grünen Zukunftskoalition ist, Nordrhein-Westfalen europaweit zur ersten klimaneutralen Industrieregion zu machen.
II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest,
- eine starke Industrie ist die Basis für viele und gut bezahlte Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und Wohlstand in unserem Bundesland,
- Energiekosten dürfen kein Standortnachteil sein. Es muss eine umgehende Lösung des Energiekostenproblems der nordrhein-westfälischen Wirtschaft gefunden werden, wenn wir die Schließung und Kapazitätsverlagerung in energieintensiven Branchen verhindern wollen. Dafür brauchen wir zeitnah die Einführung eines Brückenstrompreises,
- dass möglichst zeitnah eine bedarfsgerechte Versorgung energieintensiver Unternehmen mit klimaneutralem Wasserstoff im gesamten Landesgebiet sichergestellt werden muss.
- um mit Blick auf den geplanten Kohleausstieg bis zum Jahre 2030 die Stromversorgung sicherzustellen, brauchen wir in Nordrhein-Westfalen neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien auch Gaskraftwerke, die mittelfristig mit grünem Wasserstoff betrieben werden sollen,
- Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich schneller, einfacher, digitaler und bürokratiearmer gestaltet werden, um damit die notwendigen Voraussetzungen für eine nationale und internationale Attraktivität des Industriestandortes zu schaffen,
- Transformation benötigt Fläche. Um den Unternehmen die Transformation zur Klimaneutralität zu ermöglichen, müssen ausreichend geeignete Wirtschaftsflächen bereitgestellt werden. Damit zugleich das Ziel der Flächensparsamkeit gewahrt bleibt, gilt es hierfür insbesondere Brachflächen für neue Industrie- und Gewerbeflächen zu revitalisieren und vorhandene Industrie- und Gewerbeflächen nutzbar zu halten und zu entwickeln,
- das von der EU-Kommission vorgestellte Investitionsprogramm „Net-Zero Industry Act“ ist ein erster richtiger Schritt, um ein Gegengewicht zum „Inflation Reduction Act“ darzustellen – es bedarf allerdings noch einiger Anpassungen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Europa dauerhaft und spürbar zu stärken.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- weiterhin konsequent eine Politik zu verfolgen, die eine Vereinbarkeit von wettbewerbsfähiger Industrie und nachhaltigem Klimaschutz als zentrale Aufgabe hat,
- sich auf Bundesebene für eine zeitnahe Einführung des Brückenstrompreises einzusetzen, damit die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Nordrhein-Westfalen erhalten und gestärkt wird und Investitionsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen getroffen werden können,
- sich angesichts des immer größer werdenden Anteils der Erneuerbaren Energien im Energiemix weiterhin konsequent für eine Absenkung der Stromsteuer von aktuell 2,05 ct/kWh auf den europarechtlich zulässigen Mindestsatz von 0,01 ct/kWh einzusetzen,
- den auf Landesebene bereits gestarteten Bürokratieabbau sowie die Vereinfachung, Beschleunigung, Standardisierung und Digitalisierung von Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsprozessen weiter konsequent umzusetzen, damit Unternehmen entlastet werden und sich wieder auf ihre Kerngeschäfte konzentrieren können,
- im Länderkreis gegenüber der Bundesregierung die Wiederaufnahme der Gespräche über einen Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zu fordern und die weitere Umsetzung im Sinne einer notwendigen Anpassung bundesrechtlicher Vorgaben zu Planungs- und Genehmigungsverfahren intensiv mitzugestalten,
- kleine und mittelständische Unternehmen bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse hin zur Klimaneutralität zu unterstützen und dafür zeitnah ein Finanzierungsinstrument aufzusetzen,
- sich auf Bundesebene unter Rücksichtnahme auf die Finanzsituation von Land und Kommunen für die zeitnahe Einführung erkennbarer Investitionsanreize für Unternehmen einzusetzen. Nur wenn Unternehmen ihre Investitionen in den Klimaschutz oder die Digitalisierung schnell steuerlich geltend machen können, wird die Transformation des Industriestandortes gelingen,
- die Clearingstelle Mittelstand bei allen für den Mittelstand relevanten Gesetzes- und Verordnungsvorhaben aus allen Ministerien konsequent zu beteiligen und so aufzustellen, dass diese Vereinfachungspotentiale hinsichtlich der Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsprozesse identifizieren und entsprechende Maßnahmen zur Vereinfachung erarbeiten kann.