Dennis Sonne: „Im Bildungssystem mit all seinen Facetten soll Chancengerechtigkeit grundgesetzt sein“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zu Lese-Rechtschreibstörung & Rechenschwäche

Portrait Dennis Sonne

Dennis Sonne (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal bin ich ein wenig irritiert über die Handreichungsgeschichte, die hier gerade zur Sprache kam. Natürlich wurden wir angesprochen. Die CDU und die grüne Fraktion hätten auch großes Interesse an einem interfraktionellen Antrag gehabt.

Wenn nach dieser Ansprache allerdings der Antrag eine Woche später auf einmal auf der Tagesordnung des Plenums steht, bin ich tatsächlich sehr irritiert, obwohl die Absprache war, dass wir einen größeren Aufschlag machen wollen, auch gerne gemeinsam mit allen demokratischen Fraktionen. Dass ich anschließend Ihren Antrag auf der Tagesordnung wiederfinde, hat mich tatsächlich sehr irritiert. Von Handreichung kann hier tatsächlich nicht die Rede sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Franziska Müller-Rech [FDP]: Aber das kriegen wir doch geheilt!)

Jeder hat ein Recht auf Bildung – Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wir wissen um den hohen Stellenwert von Bildung für die Lebensgestaltung und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen. Wir verstehen Bildung als ein Recht jedes Menschen und wollen daher ein inklusives Bildungssystem fördern.

Um dem Recht auf Bildung tatsächlich nachhaltig nachzukommen und es für jeden Menschen umzusetzen, ist es nicht möglich, Bildung ohne Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit zu denken, geschweige denn zu gestalten.

Dabei müssen viele Bereiche angegangen werden. Einer dieser Bereiche betrifft Lese-Rechtschreib-Störungen und Rechenschwächen von Lernenden.

Etwa zwei Kinder pro Grundschulklasse sind von einer Lese-Rechtschreib-Störung oder einer Rechenschwäche betroffen. Diese führen während der Schullaufbahn oftmals zu Nachteilen bei der Leistungsbemessung und dem Lernfortschritt. Dieser Umstand erhöht wiederum den psychischen Druck auf Lernende und lässt sie zu häufig an ihrem Leistungsvermögen und sogar an ihrem Selbstwert zweifeln.

Ende des vergangenen Jahres habe ich nach einer Podiumsdiskussion in Köln noch lange mit Lehrkräften, aber auch mit Eltern über LRS und Dyskalkulie gesprochen. Es wurde schnell deutlich, wie belastend die nicht passenden Maßnahmen für alle Beteiligten sind. Ein Elternpaar erzählte mir von seinem Kind, welches emotional sehr unter seiner Dyskalkulie und den damit einhergehenden Nachteilen leidet.

Um ein gerechtes, schüler*innenzentriertes Bildungssystem zu gewährleisten, müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werden. Ihnen entsprechend müssen Maßnahmen und Regularien festgelegt werden.

In NRW wird auf die Lese-Rechtschreib-Störung durch den LRS-Erlass für Nordrhein-Westfalen eingegangen. Durch beispielsweise den Nachteilsausgleich und den Notenschutz sollen betroffene Lernende auf ihrem Bildungsweg die nötige Unterstützung und Förderung erhalten.

Jedoch wurde der Teilleistungsstörung Dyskalkulie bisher nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt. Eltern, Betroffene sowie Lehrkräfte haben dementsprechend keine rechtliche Grundlage, um mit Dyskalkulie von Lernenden umzugehen, so ihren Auftrag zu erfüllen und die Kinder und Jugendlichen angemessen zu fördern.

Diesem Missstand waren sich Grüne und CDU bereits zu Beginn dieser Legislaturperiode bewusst.

So haben wir in unserem Zukunftsvertrag Folgendes festgehalten:

„Wir streben eine Aktualisierung und Weiterentwicklung der Empfehlungen der Kultusminister-Konferenz (KMK) zur inklusiven Bildung und eine Überarbeitung der Grundsätze der KMK zur Rechenschwäche an.“

Die angestrebte Aktualisierung und Weiterentwicklung soll und wird unterschiedliche Bereiche umfassen. Dabei werden aktuelle Forschungsergebnisse und verschiedene Perspektiven einbezogen. Ziel wird es sein, in unserem Bildungssystem das Recht auf Bildung für jeden zu stärken.

Im Bildungssystem mit all seinen Facetten soll Chancengerechtigkeit grundgesetzt sein. Dies ist nur möglich, wenn auf individuelle Bedürfnisse von Lernenden sowie auf Lese-Rechtschreib-Schwächen oder Rechenschwächen eingegangen wird.

(Beifall von den GRÜNEN und Matthias Eggers [CDU])

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Herr Kollege Sonne, es gibt eine Zwischenfrage von der Kollegin Frau Stich von der Fraktion der SPD. Möchten Sie sie zulassen?

Dennis Sonne (GRÜNE): Ich würde gerne erst zu Ende vortragen. – Danke.

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Okay.

Dennis Sonne (GRÜNE): Liebe SPD, liebe FDP, das Thema Ihres Antrags ist somit zweifelsohne ein wichtiges Thema, welches angegangen werden muss. Jedoch ist zu bedenken, dass die Frage des Nachteilsausgleichs in einem Monat, am 28. Juni 2023, vor dem Verfassungsgericht verhandelt wird. Auch auf der kommenden Kultusministerkonferenz werden LRS und Dyskalkulie thematisiert.

Entscheidungen für das Land NRW zu treffen, bevor das Urteil des Verfassungsgerichts bekannt ist und bevor die KMK ihre Empfehlung ausgesprochen hat, halten wir nicht für zielführend. Der Zeitpunkt Ihres Antrags ist somit trotz der Dringlichkeit der Sache ungünstig gewählt. Wir stimmen der Überweisung des Antrags an den Fachausschuss selbstverständlich dennoch zu, halten es jedoch für klug, dort zunächst die Zusammenkünfte von Verfassungsgericht und KMK abzuwarten und diese in unsere Arbeit einzubeziehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank. – Möchten Sie die Zwischenfrage jetzt noch zulassen?

Dennis Sonne (GRÜNE): Ja.

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Ja. – Dann haben Sie das Wort, Frau Stich.

Silvia Gosewinkel (SPD): Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Sonne, danke, dass Sie auch noch einmal die Podiumsdiskussion des Kölner Arbeitskreises ansprechen. Ich saß ja neben Ihnen. Als Logopädin kenne ich die Situation der Eltern und der Kinder sowie die Belastungen, die daraus entstehen. Genau das ist der Grund, warum wir als Opposition sagen: Wir können nicht noch einmal acht Jahre warten. – Das Thema liegt nämlich schon seit acht Jahren beim Bundesverfassungsgericht.

Meine Frage lautet: Was sagen Sie denn den Eltern? Sagen Sie ihnen, dass Sie jetzt bis zum 28. Juni warten sollen und dann vielleicht noch einmal bis zum nächsten Schuljahr, bis es umgesetzt werden soll?

Wir haben darüber gesprochen. Ehrlich gesagt, schätze ich Zuverlässigkeit. Sie haben uns eine Antwort zugesagt. Da uns das Thema wichtig ist, haben wir und die FDP es heute gemeinsam auf die Tagesordnung gebracht. – Danke.

Dennis Sonne (GRÜNE): Frau Gosewinkel, danke für die Frage. – Grundsätzlich sage ich den Eltern und den Betroffenen bzw. den Lernenden selbst, dass wir das Thema auf dem Schirm haben und uns diesem in Absprache mit allen demokratischen Fraktionen sowie mit dem Ministerium widmen.

Das Ministerium hat auch bereits erklärt, dass der Termin des Verfassungsgerichts abgewartet werden soll und wir dann umzusetzen werden, was auch immer umzusetzen ist. Aber wir können jetzt nicht über ungelegte Eier sprechen. Wir müssen tätig werden, sobald dieser Termin stattgefunden hat. Wir sprechen ja nicht von einem Termin, der erst in acht Jahren ist, sondern von einem Termin, der in einem Monat stattfindet. Dann können wir tätig werden.

Ich gehe davon aus, dass wir schnellstmöglich zu einer Lösung kommen und dann alle zu ihrer Zufriedenheit und nach ihren individuellen Bedürfnissen gefördert werden können. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Vielen Dank.

Die Zwischenfrage kam übrigens von der Kollegin Frau Gosewinkel und nicht, wie es hier angemeldet war, von Frau Stich.

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