Jule Wenzel: „In dieser Enquete sind wir Demokrat*innen gefordert“

Zum Antrag der "AfD"-Fraktion auf Einsetzung einer Enquetekommission „Krisen und Notfallmanagement“

Portrait Jule Wenzel (c) M Laghanke

Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wir debattieren heute über einen Antrag, eine Enquetekommission zur Coronapandemie auf den Weg zu bringen, der von rechts außen in dieses Parlament eingebracht wird. Eins ist uns allen klar: Wenn diese Fraktion hier, aber auch in anderen Parlamenten, sei es national oder kommunal, Anträge stellt, Wortbeiträge macht, sich gegenüber der Presse äußert oder versucht, mit Ihnen einen Kaffee zu trinken, dann ist zu keiner Zeit eine Teilnahme am demokratischen Diskurs, sondern immer der Versuch, das eigene Weltbild zu normalisieren.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Das ist ein Weltbild, das versucht zu spalten, das immer und immer wieder Menschen, sei es aufgrund ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder ihrer sexuellen Identität, ihrer Herkunft oder ihrer sozioökonomischen Verhältnisse stigmatisiert, ausgrenzt und zum Feindbild macht.

Dabei bedienen Sie sich auch in Bezug auf die Coronapandemie einer zweiarmigen Strategie, die jedoch untrennbar zusammengehört: Sie geben auf der einen Seite den Biedermeier, der ernsthaft an einer Aufarbeitung und Verbesserung von Handeln in Pandemiezeiten interessiert sei. Auf der anderen Seite marschierten Sie mit anderen Rechtsextremisten, die völkische Flaggen vor sich hertrugen, gegen die Coronamaßnahmen, verweigerten den 3G-Nachweis im Bundestag, die Maske stets unter der Nase.

Daher ist auch klar: In dieser Enquete sind wir Demokrat*innen gefordert.

Erinnern wir uns an die Zeit zurück, die die antragstellende Fraktion in ihrem Antrag bewusst ausklammert. Im Jahr 2020 wurden in Italien Massengräber ausgehoben. In New York standen Kühllaster auf den Straßen. Auf der ganzen Welt sind Intensivstationen über die Grenzen ihrer Kapazitäten hinausgekommen. Es war ein Bild des Horrors – zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in Bildern in Echtzeit und Gleichzeitigkeit auf unseren Endgeräten zu verfolgen. Jedes Opfer war ein Schicksal, und die Familien trauern bis heute um ihre Angehörigen.

Wir erinnern uns mit Schmerz aber auch an das kollektive Mitgefühl und die Welle der Solidarität von Jung bis Alt. Menschen organisierten Nachbarschaftshilfen für die Vulnerabelsten unter uns. Sie zeigten auf kreativste Art und Weise Respekt und Anerkennung für diejenigen unter uns, die nicht ins Homeoffice konnten, sondern Menschenleben retten und unsere Infrastruktur aufrechterhalten mussten. Sie verzichteten auf Geburtstage, Abifeiern und Ruhestandsfeten.

Diese Menschen taten das freiwillig, um sich selbst und andere zu schützen und die Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. Ihnen und all den mutigen Held*innen, die jeden Tag gegen die Coronapandemie gekämpft haben, möchte ich noch einmal Danke sagen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Die Pandemie ist auch heute noch Teil unseres Lebens, selbst wenn im Westen die Impfung und später Mutationen das Virus weniger tödlich gemacht haben. Im März dieses Jahres gab es noch rund 80 Coronatote pro Woche. Noch immer sterben Menschen an und mit diesem Virus. Patient*innen, die unter Long COVID leiden, tun das seit teilweise drei Jahren.

Wir müssen diese Enquete nutzen, um aus dieser Krise Lehren für die Zukunft zu ziehen. In der Rückschau können und müssen wir Punkte und Maßnahmen identifizieren, die uns besser auf künftige Pandemien und Katastrophen vorbereiten. Dem werden wir uns als Fraktion wie gewohnt mit Ernsthaftigkeit widmen.

Wir werden uns daher bei diesem Antrag enthalten. Wir geben aber auch ein Versprechen ab. Der antragstellenden Fraktion wird diese Enquete keine Freude bereiten. Denn sie hat sich in der Pandemie an Desinformationskampagnen beteiligt – sei es durch Verdrehung von Statistiken, Kampagnen gegen das Robert Koch-Institut oder die konsequente Verharmlosung der Lage. Wenn der Antrag also fragt, wie die Menschen in unserem Land vor Falschinformationen geschützt werden können, dann sollte die antragstellende Fraktion diese Frage an sich selbst richten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir werden uns derweil damit beschäftigen, wie wir die Menschen in unserem Land im Hinblick auf den Anschluss an Verschwörungsmythen sensibilisieren und davor schützen können.

Für einen Teil der politischen Landschaft in Deutschland war diese Pandemie nur ein Anlass, unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat zu attackieren und zu untergraben. Das wird weder der Lage in der Coronapandemie noch den Krisen, denen wir heute jeden Tag gegenüberstehen, gerecht.

Mein Kollege Bakum hat die Klimakrise und das Artensterben angesprochen. Ich war darüber sehr erfreut und entzückt. Denn das ist richtig. Wir müssen uns auf diese Lagen und auf die Gleichzeitigkeiten von Krisen besser vorbereiten. Deswegen werden wir als grüne Fraktion unseren konstruktiven Beitrag dazu leisten, gemeinsam mit allen anderen demokratischen Fraktionen Verantwortung für unser Land zu übernehmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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