Mehrdad Mostofizadeh: „Gerade bei den Antibiotika ist die Lage wirklich dramatisch“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag zur Medikamentenversorgung

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann die Anekdoten, die die Kolleginnen und Kollegen vorhin zur Medikamentenbeschaffung angeführt haben, noch um ein paar Aspekte erweitern. Nicht nur die gängigen Fiebermedikamente sind betroffen. Bei Psychopharmaka oder anderen Medikamenten, die spiegelhaft, also kontinuierlich über einen längeren Zeitraum, gegeben werden müssen, haben wir ähnliche Probleme.

Das führt zum Teil dazu, dass Ärztinnen und Ärzte mit Eltern zu Apotheken fahren, um überhaupt Wirkstoffe zu bekommen. Das ist ein Zustand, den wir alle nicht nur nicht akzeptieren können, sondern aufs Schärfste bekämpfen müssen.

Trotzdem bin ich angesichts der heutigen Debatte etwas erstaunt. Thorsten Klute sagte, dass endlich auf Bundesebene begonnen werde. Nach meiner Erinnerung ist die SPD seit 1998 mit vierjähriger Unterbrechung auf Bundesebene mit der Gesundheitspolitik betraut und Teil der Bundesregierung. Deswegen finde ich es etwas erstaunlich, heute eine solche Bemerkung von Ihnen zu hören. Ich hoffe, dass es nicht noch weitere 25 Jahre dauert, bis Sie zu weitreichenden Erkenntnissen in diesem Sachgebiet kommen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Frau Kollegin Kapteinat – das möchte ich auch sagen –, ich finde es total richtig, dass Sie die Anfragen gestellt haben. Aber rein sachlogisch ist es so, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gerade erst, am 29. oder 30. April, die Mangellage festgestellt hat. Erst seitdem ist der Landesgesundheitsminister befugt, entsprechende Schritte zu gehen.

Wir finden es richtig, dass er das macht. Wir finden auch, dass man die eine oder andere Antwort möglicherweise pointierter hätte setzen können. Handlungsfähig ist der Minister aber erst seit einigen Tagen. Ich finde es gut, dass er dort handelt.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Aber er ist nicht erst seit einigen Tagen kommunikationsfähig! – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Was? – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Sie hätten doch vorher kommunizieren können!)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass gerade bei den Antibiotika die Lage wirklich dramatisch ist. Die Verfügbarkeit von Antibiotika ist nicht erst in den letzten Tagen, sondern in den letzten Jahren von etlichen Produkten auf maximal eine Handvoll zurückgegangen. Wenn Sie wie ich zum Beispiel unter einer Penicillinallergie leiden, dann wird der Spielraum, überhaupt etwas tun zu können, ziemlich klein. Deswegen ist es richtig, dass wir hier weitermachen.

Ich stimme auch Herrn Preis vom Apothekerverband Nordrhein zu. Reimporte bzw. die Einführung von Produkten, die bei uns nicht zugelassen sind, aber hohe Qualität haben, werden uns nicht sehr weiterhelfen. Aber wir müssen es tun.

Das ist ein Baustein, eins der Dinge, die wir tun können.

Ein zweiter Baustein, den ich vorschlagen würde, etwas, worum wir uns kümmern sollten, ist – ich weiß, dass da eine Menge passiert ist –, dass in der Massentierhaltung immer noch reichlich präventiv Antibiotika eingesetzt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, auch da hätten Sie in den letzten 25 Jahren tätig werden können. Auch das muss reduziert werden, weil es zu Multiresistenzen und dazu führt, dass Antibiotika nicht mehr zur Verfügung stehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen im Landtag, wir hatten hier Anhörungen, in denen uns all das vorgetragen wurde. Getan wurde von Ihnen relativ wenig.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Auf einen Aspekt hat Frau Kollegin Gebauer eben hingewiesen, Stichwort: Bevorratung in Europa. Machen wir es vom Staat aus oder im Regelsystem? Am Ende lautet die Frage: Wer bezahlt das? Technisch machbar ist beides. Das ist gar keine Frage. Es ist technisch auch machbar, mehr Geld für die Produkte auszugeben. Das würde aber zu höheren Gesundheitskosten, die auch zu tragen wären, führen.

Das darf man nicht nur in den Raum stellen, sondern muss auch sagen: Ich, Staat, bin bereit, das zu machen bzw. die Apotheken, den Großhandel dazu zu verpflichten, entsprechende Vorratsmengen anzulegen. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt bundesgesetzlich nicht ohne Weiteres möglich. Ich bitte, in dieser Debatte zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Handlungsoption vom Bundesgesundheitsminister Stand heute eben nicht bereitgestellt wird.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Frau Kollegin Schneider, einen Punkt – ansonsten lohnt es sich nicht so sehr, auf Ihre Rede einzugehen – fand ich ein Stück weit infam, nämlich den Coronavergleich.

Sie haben uns unterstellt, wir hätten die Freigabe der Coronapatente gefordert. Das ist nicht richtig. Vielmehr haben wir uns für eine Aussetzung der Patente für Coronaimpfstoffe für einen Zeitraum ausgesprochen, und zwar genau bis zu dem Zeitpunkt, bis es auch Ländern, die nicht die Kohle haben, möglich ist, Impfungen bereitzustellen.

Es ist so weit gekommen – das haben Sie selbst kritisiert –, dass wir als Land Nordrhein-Westfalen ebenso wie viele andere Bundesländer vorhandene Impfstoffe vernichten mussten, weil wir sie nicht spenden durften. Das ist doch infam. Das ist doch etwas, was wir in der Gesundheitspolitik nicht wollen können.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Zurück zum jetzigen Sachverhalt; die vier Punkte:

Die Freigabe der Medikamentenstoffe, die der Gesundheitsminister jetzt gemacht hat, muss geschehen.

Zweitens. Der Einsatz von Antibiotika an falscher Stelle muss dramatisch reduziert werden.

Drittens. Wir müssen Forschung und Prävention in Europa erhöhen. Das kostet Geld. Das wird uns Geld kosten. Dazu müssen wir aber bereit sein. Da bin ich ganz bei Frau Gebauer. Es kann nicht sein, dass wir unseren Kindern und Kindeskindern da Lasten für die Zukunft aufbürden.

Viertens. Die Bevorratung im Regelsystem und auch beim Staat muss möglich gemacht werden.

Diesbezüglich sollten wir Folgendes tun: nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern gemeinsam zusammenarbeiten. – Es nutzt da überhaupt nichts, zu versuchen, politische Geländegewinne zu machen. Vielmehr muss der Bundesgesundheitsminister mit den Ländergesundheitsministern und den europäischen Kolleginnen und Kollegen an einem Strang ziehen. Wir werden da keine Blumentöpfe gewinnen, sondern müssen die Sachlage lösen, und der Standpunkt ist heute. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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