I. Ausgangslage
Der Fokus einer energieeffizienten und CO2-reduzierten Bauwirtschaft liegt heute vielfach in der Beantwortung von Fragen, die sich an den Betrieb von Gebäuden richtet. Zunehmend wird auch der Erstellungsprozess von Gebäuden – und der damit verbundene CO2-Fußabdruck – in den Blick genommen. Auch in Nordrhein-Westfalen entstehen jedes Jahr zig Tausend neue bauliche Anlagen: Ohne Beton wären Neubauziele im frei finanzierten und öffentlich-geförderten Wohnungsbau, die Erstellung von Infrastrukturgebäuden, Betriebs- und Unternehmensgebäuden, Straßen und Radwege kaum denkbar. Der weitaus überwiegende Anteil der neugeschaffenen Gebäude wird mit dem Baustoff Beton realisiert. Der wichtigste Bestandteil von Beton ist der Zementklinker: Weltweit werden jährlich über 4,6 Milliarden Tonnen Zement verbaut. Die Zementindustrie ist weltweit für rund acht Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. In Deutschland wurden 2019 rund 34 Millionen Tonnen verbaut und damit rund 20 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Da der Einsatz von Zement für das Jahr 2026 mit einem Weltmarktvolumen von 463 Milliarden Dollar – das sind rund sechs Gigatonnen Zement pro Jahr – veranschlagt wird, ist eine Reduktion der dabei freiwerdenden Emissionen ein entscheidender Hebel zur Erreichung von Klimaschutz-Zielen. Etwa 60 Prozent der Emissionen aus der Zementindustrie sind prozessbedingt, weil sie bei der Kalzinierung von Kalkstein entstehen. Hierbei wird Kalkstein durch hohe Temperaturen das Kohlendioxid entzogen, wodurch überwiegend Kalziumoxid zurückbleibt. Hierbei sind Emissionen besonders schwierig zu reduzieren, da entweder der gesamte Prozess durch emissionsarme Alternativen ersetzt werden oder das CO2 aus dem Prozess aufgefangen und dauerhaft gespeichert werden müsste.
Um den CO2-Fußabdruck im Gebäudebereich nachhaltig verringern zu können, bedarf es ökonomisch umsetzbarer Lösungen und Unterstützungen für die heimische Zementindustrie, um diese auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktionsweise, die mit weniger CO2 auskommt, aktiv zu begleiten.
Daher unterstützt die Landesregierung Nordrhein-Westfalen die heimische Industrie unter anderem dabei, Technologien zu entwickeln, um Beton hochwertig zu recyceln, den Zementklinkeranteil in neuen Betonen durch nachhaltigere Zuschlagstoffe – wie etwa calcinierten Ton – zu reduzieren und unvermeidbare CO2-Mengen zwecks Nutzung oder Speicherung abzuscheiden. Zudem setzt sich die Landesregierung für die Verwendung anderer Baustoffe ein: Über verschiedene Landesinitiativen wird die Verwendung von Holz als regionaler und nachhaltig verfügbarer Baustoff finanziell angereizt. Auch setzen Bauherrschaften in Teilen wieder verstärkt auf Holz-Lehm-Kombinationen zur Neuerrichtung von Gebäuden.
Dass die heimische Industrie erfolgreich Zement, der mit weniger CO2 im Erstellungsprozess auskommt, produzieren kann und an weiteren Verbesserungen der eigenen Klimabilanz erfolgreich arbeitet, hat der deutschlandweit erste Druck eines durchgenehmigten 3D-Hauses in Beckum gezeigt: Bei dem von Seiten der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über das Förderprogramm „Innovatives Bauen“ begleiteten Vorhaben wurde ein Zement verwendet, der mit 2/3 weniger CO2 als der herkömmliche Portlandzement auskam. Hieran gilt es anzusetzen und das Nutzen von CO2-ärmerem Zement durch Bauherrschaften – öffentlich wie privat – über Förderprogramme sowie Leitmärkte für klimaneutralen Zement anzureizen, um somit angebots- und nachfrageseitig für eine Erhöhung der entsprechenden Produktion zu sorgen.
Zugleich ist es erforderlich, zusammen mit der heimischen Zementindustrie – zur Absicherung des Wirtschaftszweiges, der Beschäftigung und der Unternehmen – in einen Dialog darüber einzutreten, welche Rechtsänderungen erforderlich sind, um die Industrie auf ihren Weg in eine klimaneutrale Industrie zu unterstützen: Neben nachfrageseitigen Maßnahmen gilt es im Besonderen, die Erfordernisse auf der Angebotsseite zu identifizieren. Dies umfasst auch die Beantwortung von Fragestellungen, die sich an die Wiederverwendung des Baustoffes richten. Im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union bleibt die Kreislaufwirtschaft in der Zementindustrie hinter ihren Möglichkeiten zurück. Trotz einer nominalen Verwertungsquote von über 90 Prozent für Bau- und Abbruchabfälle wird bei genauerer Betrachtung der Verwertungswege ersichtlich, dass eine hochwertige Kreislaufführung unter Weiternutzung der stofflichen-technischen Eigenschaften für die mineralischen Fraktionen nicht umfassend praktiziert wird. Von den derzeit deutschlandweit jährlich anfallenden etwa 52 Millionen Tonnen an Bauschutt, überwiegend aus dem Hochbau, werden zwar knapp 80 Prozent recycelt, von diesen wird aber nur ein Bruchteil wieder als hochwertiger Betonzuschlagstoff eingesetzt. Rund 34 Millionen Tonnen an Recycling-Baustoffen (RC-Baustoffen) gelangen jährlich in den Straßenbau, aber auch dort nicht vorrangig in Frost- und Tragschichten und damit Anwendungen mit eng definierten Eigenschaften. Der überwiegende Teil wird weniger hochwertig bodennah eingesetzt, wie beispielsweise im Landschafts- und Wegebau oder als Ausgleichsmaterial. Der Einsatz von Recycling-Gesteinskörnungen mit definierten technischen Eigenschaften in Anwendungen, die keine besonderen Anforderungen an das Material stellen, entspricht einem Downcycling, das in informatorischen, logistischen und rechtlichen Hindernissen begründet ist.
Die bautechnischen Grundlagen für einen Rezyklat-Einsatz im Beton sind in den beiden Normungswerken DIN 10945/EN 206-1 und DIN 4226-100/EN 12610 geregelt. Damit müssen Recycling-Baustoffe dieselben bautechnischen Anforderungen erfüllen wie die für denselben Verwendungszweck eingesetzten Primärbaustoffe. Eine entsprechende Baustoffprüfung erfolgt nach genau denselben Regelwerken, wenngleich die Eignungsprüfung für Recycling-Baustoffe mit höheren Aufwendungen verbunden ist.
Besonders der öffentlichen Hand als größte Bauherrschaft im Land Nordrhein-Westfalen kommt in dieser Hinsicht eine Vorreiterfunktion zu. Durch die produktneutrale Ausschreibung von Baumaßnahmen oder sogar Schaffung von Anreizen für den Einsatz von Recycling-Baustoffen könnten entsprechende Anstöße geliefert werden. Auch hier geht die Landesregierung Nordrhein-Westfalen voran: Mit der Veröffentlichung des Programmaufrufes zur Städtebauförderung für das Jahr 2022 wurden erstmals Regelungen im Hinblick auf den Einsatz von Rezyklaten mitveröffentlicht. Im nächsten Schritt gilt es daher, die Beschaffungskriterien für Landes-bauten – im ersten Schritt – um ein Diskriminierungsverbot für den Einsatz mineralischer Rezyklate zu erweitern und dieses zu praktizieren. Ziel der regierungstragenden Fraktionen, ist es klimaneutrales und innovatives Bauen und die Entwicklung zukunftsfähiger und nachhaltiger Bauprodukte und Baustoffe zu fördern.
Um sich vermehrt und intensiver mit dem CO2-Fußabdruck eines neu erstellten Gebäudes – auch über seine Lebenszeit hinweg – zu befassen, haben die regierungstragenden Fraktionen sich wie folgt vereinbart: „Um zukünftig den CO2-Fußabdruck eines Gebäudes abbilden zu können, werden wir in ein Pilotprojekt zur Erstellung eines digitalen CO2-Gebäudepasses einsteigen, aus dem insbesondere ersichtlich ist, wie viel CO2 bei der Erstellung des Gebäudes entstanden ist.“ Von der Bauweise, über die verwendeten Materialien, bis zur Instandhaltung bzw. den Sanierungszyklen und -maßnahmen gibt es zahlreiche Parameter, die die Haltbarkeit eines Gebäudes verlängern oder verkürzen können. Umgekehrt bleiben die Emissionen bei der Erstellung von Gebäuden wie auch bei ihrem Abbruch außer Betracht. Diese gehören jedoch dazu, um einen vollständigen CO2-Fußabdruck eines Gebäudes zu erhalten. Da Zement einen wesentlichen Fußabdruck im Gesamtgebäudeerstellungs-Prozess hinterlässt, ist das Pilotprojekt zur Erstellung eines digitalen Gebäudepasses voranzutreiben. Handlungsleitend könnten hierfür Vorarbeiten der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen sein.
II. Beschlussfassung
Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
- eine Analyse in Auftrag zu geben, in der die bautechnischen Regelungen anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf Vorgaben zur Herstellung und zum Einsatz von Recycling-Beton im Vergleich zu den Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland aufbereitet werden. Hierbei ist insbesondere der Fokus auf den Einsatz von Recycling-Beton im Hochbau zu legen.
- die Verwendung von nachhaltigen Baustoffen, wie zum Beispiel CO2-ärmerem Zement gegenüber dem weitverbreiteten Portlandzement im Hochbau über die Ausgestaltung von Förderprogrammen (zum Beispiel auch in der Wohnraumförderung) für öffentliche und private Bauherrschaften anzureizen.
- Beschaffungskriterien für den Neubau von landeseigenen Gebäuden zu prüfen und diese insbesondere um ein Diskriminierungsverbot für den Einsatz mineralischer Rezyklate zu erweitern.
- mit der Erarbeitung und Umsetzung eines Pilotprojektes zur Erstellung eines digitalen Gebäudepasses, in dem neben der Erfassung von CO2-Verbrauchsdaten aus dem Betrieb eines Gebäudes auch der CO2-Verbrauch aus der Erstellung des Gebäudes unter Berücksichtigung seines gesamten Lebenszyklus eingehen. Hierbei ist insbesondere die Bau- und Wohnungswirtschaft einzubinden.
- einen Bericht an den Landtag zu erstellen, in dem dargestellt wird, wie Hemmnisse im Hinblick auf die Wiederverwendbarkeit recycelter Baustoffe im Hochbau zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft überwunden und Potentiale zur Akzeptanzsteigerung identifiziert und ausgeschöpft werden können.