Lena Zingsheim-Zobel: „Mehr Professionalität und Multiprofessionalität“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNEN im Landtag "Fachkräfteoffensive für den Bereich Schule"

Portrait Lena Zingsheim-Zobel

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kinder und Jugendlichen, die heute in die erste Klasse gehen, werden in frühestens zehn und spätestens in 13 Jahren vor der Entscheidung stehen, welche berufliche Laufbahn sie einschlagen wollen, ob Ausbildung oder Studium.

Entscheidend wird dabei auch sein, wie sich der Arbeitsmarkt weiterentwickelt hat, wie tief sich junge Menschen in Schule auch mit eigenen Perspektiven und Stärken auseinandersetzen konnten, wie wir gesamtgesellschaftlich zusammenleben, welche Kompetenzen vermittelt wurden, aber auch, ob Schule alle Kinder mitnehmen konnte und kein Mensch im Schulsystem vor der Situation stand, nicht mehr folgen zu können.

Seit Jahren stagniert die Anzahl der Schülerinnen und Schüler ohne Hauptschulabschluss in Nordrhein-Westfalen. Diese Schülerinnen und Schüler stehen nicht vor der Frage der beruflichen Perspektive, sondern sie stehen vor Existenzfragen. In absoluten Zahlen bedeutet das, dass 10.125 jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen massive Armut droht.

In Nordrhein-Westfalens Schulen ist dieses Engagement dagegen enorm. Es geht häufig über die individuelle Belastungsgrenze hinaus, und die Fülle der Aufgaben macht es kaum mehr möglich, allen Bedürfnissen der Schüler*innen, der Eltern und des Unterrichts gerecht zu werden.

Didaktisch gut aufbereiteter Unterricht und bloße Wissensvermittlung bilden nicht allein die Alltagsrealität von Lehrkräften an unseren Schulen ab. Die Komplexität des Lebensumfelds von Schüler*innen nimmt zu und die Aufgabe im Lehrerberuf ebenso.

Es ist deshalb richtig und wichtig, dass wir weiter mit aller Kraft dem Lehrkräftemangel entgegenwirken. Das Handlungskonzept von Ministerin Feller geht hier erste gute Schritte. Mit der eingerichteten AG Unterrichtsversorgung im Ministerium arbeiten wir weiter an Verbesserungsmöglichkeiten. Diese Arbeit wollen wir mit diesem Antrag unterstützen und denkbare Wege in Prüfung geben.

Studierende von „students@school“ beispielsweise sind in enger Begleitung in Schulen und unterstützen dort Kleingruppen in mathematischen und sprachlichen Kompetenzen. Ein Ausbau und die Erweiterung ist doch genau das, was wir auch angesichts der IQB-Studie brauchen.

Für die Förderung der Grundkompetenzen brauchen wir jede Lehrerin und jeden Lehrer. Besonders die sonderpädagogischen Lehrkräfte haben in diesem Bereich im Studium weitere Methoden kennenlernen dürfen, die sie im gemeinsamen Lernen bestens einbringen können. Dafür ist zu prüfen, inwiefern sonderpädagogische Lehrkräfte auch selbstständigen Unterricht durchführen können. Denn es ist nicht die Entscheidung zwischen Unterricht oder Fördern, sondern es ist beides.

Die Abordnungsregelung muss dahin gehend beleuchtet werden, dass eine gute Lehrer-Schüler-Förderrelation auch im gemeinsamen Lernen möglich ist. Wir wollen gute inklusive Bildung.

Es sind aber ausdrücklich und schon lange nicht mehr nur Lehrerinnen und Lehrer, die an Schulen arbeiten. Zum Glück, denn Schule muss ganzheitlich betrachtet werden, muss ein Ort der Begegnung des Quartiers, ein Ort der Selbstverwirklichung und Kooperation sein.

Inklusiv und interkulturell – unsere Reaktion darauf muss multiprofessionell sein: von Alltagshelfenden bis Lerntherapeut*innen, von Schulsozialarbeit bis zur Einsatzmöglichkeit zugewanderter Menschen durch Anerkennung von ausländischen Abschlüssen.

Balu und Du, ROCK YOUR LIFE! oder das Chancenwerk sind aus der Schule nicht wegzudenken. Genau solche Mentoringprogramme ermöglichen Schüler*innen den Fokus auf eine ganzheitliche und gelingende Persönlichkeitsentwicklung.

Wir wollen unserem Versprechen im Koalitionsvertrag gerecht werden und multiprofessionelle Teams stärken. Dafür braucht es transparente Qualitätskriterien und Aufgabenbeschreibungen, damit die Unterstützung der Schüler*innen auch passgenau ist und koordiniert ankommt.

Wenn wir mehr Professionalität und Multiprofessionalität wollen, braucht es Austauschräume und Möglichkeiten der Kooperation aller am Schulleben beteiligten Personen. Es passiert auch heute schon häufig, nur passiert dieser Austausch meist on top. Auch hier muss geschaut werden, wie wir den Anforderungen an multiprofessionelles Arbeiten gerecht werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, uns allen zusammen muss daran gelegen sein, dass wir den Fachkräftemangel im Bereich „Schule“ abwenden. Unser Antrag zeigt viele Möglichkeiten auf, wie wir mehr Menschen in das System bringen.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass es eine Frage danach sein wird, wie wir als „Arbeitsort Schule“ attraktiv sein können und wie wir das Ganze finanzieren. Deshalb werden wir in konstruktive Gespräche eintreten müssen, um miteinander zu diskutieren, was uns Bildung wert ist und welche Hebel uns dafür zur Verfügung stellen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Vizepräsident Christof Rasche: Frau Kollegin Zingsheim-Zobel, es liegt noch eine Kurzintervention der Kollegin Müller-Rech vor, der ich jetzt für 90 Sekunden das Wort erteile.

Franziska Müller-Rech (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Zingsheim-Zobel, ich möchte Ihnen dieselbe Frage stellen, die ich eben Ihrem Kollegen Dr. Jan Heinisch gestellt habe.

(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Wie originell!)

Ich möchte noch einmal bemerken, dass der Antrag sehr schwammig bleibt, dass er ein wenig unkonkret ist und dass sich die Lehrkräfte, aber auch die Schülerinnen und Schüler und Eltern wenig darunter vorstellen können, wie das konkret in ihrer Situation helfen soll.

Exemplarisch die letzten beiden Punkte auch für Sie, weil mir die Antworten von Herrn Dr. Heinisch nicht ausgereicht haben; er ist sehr schwammig und unkonkret geblieben. Aber vielleicht können Sie zur Erhellung beitragen.

Zum einen geht es um den Punkt, durch Veränderungen in der Lehrkräfteausbildung zusätzliche Ressourcen zu gewinnen. Wie wird das eine Fachkräfteoffensive in unseren Schulen bringen? Darauf ist Herr Dr. Heinisch leider gar nicht eingegangen. Der zweite Punkt ist, die Reform der Fortbildungsstruktur für Lehrkräfte anzupassen. Es wurde von einer Ausweitung gesprochen, aber auch da ist nicht klar geworden, inwiefern das hilft, mehr Leute in unsere Schulen zu bekommen.

Was stellen Sie sich unter diesen beiden Punkten konkret vor? Was sind die konkreten Pläne von CDU und Grünen?

Vizepräsident Christof Rasche: Bitte.

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Präsident. – Erst einmal ist das ein Prüfauftrag mit der Bitte, diese Punkte, auf die wir uns verständigt haben, mitzudenken und mitzunehmen, damit wir mehr Fachkräfte in die Schule bekommen.

Die Frage nach der Fortbildung – das hat die Ministerin auch bereits im Schulausschuss angekündigt – muss noch einmal in der Struktur angegangen werden, weil es sehr viele Anbieter*innen in Nordrhein-Westfalen gibt, die dazu beitragen, gute Lehrkräfte auszubilden und fortzubilden. Da müssen wir hingucken, und da kann auch ein Mehrwert sein, sich die Struktur anzugucken und zu fragen, wie die verbesserbar ist.

Bei der Frage nach der Ausbildung ist zum Beispiel ein Punkt aus dem Koalitionsvertrag ganz konkret zu nennen, nämlich dass der Vorbereitungsdienst dahin gehend geprüft und überarbeitet werden muss, dass er mehr die Lebensrealität von tatsächlich Lehrenden später im Unterricht und bei Schulen abbildet. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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