Lena Zingsheim-Zobel: „Das Studium ist ein Kernelement, um den Mangel anzugehen“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf eine Aktuelle Stunde zu Lehrkräftemangel

Portrait Lena Zingsheim-Zobel

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Aktuelle Stunde der SPD ergibt sich aus dem Anlass der Pressemitteilung des Ministeriums für Schule und Bildung vom 1. Dezember 2022, in der Frau Ministerin Feller transparent und offen die Zahlen der fehlenden Stellen in den Schulen in unserem Land klar benannt hat. Diese Zahlen werden regelmäßig halbjährlich veröffentlicht und haben uns vor Augen geführt, mit welchem eklatanten Mangel an Stellen wir in diesen Schulen kämpfen.

In derselben Pressemitteilung steht aber bereits – ich zitiere aus der Überschrift –: „Maßnahmenpaket gegen Lehrkräftemangel vor der Fertigstellung“.

Wir wissen alle, dass der Lehrkräftemangel eklatant ist und sich die Zahlen in den vergangenen Jahren nicht verbesserten. Jetzt geht es um die Frage – so kommt es hier zumindest herüber – der Schuldzuweisung.

Eines möchte ich dann doch einmal loswerden: In kaum einer anderen landespolitischen Debatte wird so sehr Vergangenheitsbewältigung betrieben wie im Bereich „Schule und Bildung“. Am Mittwoch in der Beratung zum Haushaltsplan 05 klang es ja auch wieder an: Rot-Grün habe es nicht geschafft, die Unterrichtsversorgung zu verbessern. Schwarz-Gelb habe gegengesteuert, aber in anderen Bereichen versagt.

Ich beteilige mich an diesen Debatten über die Vergangenheit nicht.

(Zuruf)

Wichtig ist aber, dann auch zu sagen, vor welchen Herausforderungen wir standen und stehen. Das Ministerium kann so viele Schüler*innenprognosen erstellen und daraus den Lehrkräftebedarf ableiten, wie es will: Wenn wir wie 2017 und wie jetzt wegen des brutalen Angriffskriegs Putins zusätzliche Zehntausende Schüler*innen vor den Schulhöfen stehen haben, hat sich jede Prognose erledigt.

Das ist kein Versagen, sondern das ist die Realität des Bildungssystems. Unsere Planungen werden auch zukünftig nur dann funktionieren, wenn sie ausreichend flexibel sind.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Kirsten Stich [SPD]: Auch ohne hätte es nicht funktioniert!)

Wir dürfen nicht weiter mit Scheuklappen herumlaufen und uns wünschen, dass das Schulsystem nach bestimmten starren Regeln und Berechnungen funktioniert, sondern müssen akzeptieren, dass die Schüler*innen, die Lehrer*innen und alle am Schulwesen beteiligten Personen dynamisch und individuell sind. So funktioniert Schule.

Jetzt reden wir heute über den noch größer als befürchteten Lehrkräftemangel; vier Tage, bevor – seit Wochen angekündigt und offen kommuniziert – wir im Schulausschuss am Mittwoch ein Handlungskonzept zur Unterrichtsversorgung vorlegen. Konnten Sie diese vier Tage wirklich nicht mehr abwarten?

Ich finde das ruhige, aber zielgerichtete und strukturierte Vorgehen der Ministerin gut. Es ist ja nicht so, als würden dem Schulwesen Vorstellungen aus dem MSB ohne Weiteres aufgedrückt. So, wie ich den Prozess verstehe, wurde viel und intensiv mit den Verbänden diskutiert und abgewogen. Das mag an der einen oder anderen Stelle nicht allen Akteur*innen passen. Aber bei „Individualität“ waren wir ja schon.

Keiner von uns leugnet die schwierige Lage, in der wir uns befinden, oder ist sich dieser nicht bewusst. Wir sind bereit, Wege zu gehen und unkonventionelle Maßnahmen zu prüfen. Ja, dazu gehört die Ausweitung von Studienstandorten. Ja, dazu gehört die Vereinfachung des Seiten- und Quereinstiegs. Ja, dazu gehört die viel intensivere Anbindung von Studierenden ans System.

Nein, was die Ministerin kommende Woche vorstellen wird, wird bestimmt nicht das Ende der Fahnenstange sein und ausreichen, um die fehlenden 8.000 Lehrer*innen herbeizuzaubern. Wir machen uns aber zusammen auf den Weg.

Liebe SPD, lassen Sie mich an dieser Stelle eine Bitte in eigener Sache äußern. In Ihrer begleitenden Pressemitteilung zu dem Antrag zur Aktuellen Stunde schreiben Sie – ich zitiere –, Sie wollten „die Studienplätze für Lehramt, Sonderpädagogik und Sozialpädagogik massiv ausbauen“. Ich bin von Haus aus Sonderpädagogin, und ich habe auf Lehramt studiert. Was mich und meine Kolleg*innen immer wieder ins Abseits kickt und gerade in inklusiven Settings keinen Spaß macht, ist, dass man mir abspricht, Lehrerin zu sein. Denn das bin ich, und zwar sogar mit zwei Fächern und zwei Fachrichtungen. Ich kann genauso unterrichten und fördern. Ein Verständnis dafür aufzubringen, beginnt schon in der Sprache.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Jetzt aber zu einer erfreulichen Nachricht, die mehr Menschen ins System bringt und Lehramtsstudierenden Praxis ermöglicht: students@school konnte mit dem Fortführen von „Aufholen nach Corona“ auf das Land übertragen werden. Es hat großen Nutzen für die Schüler*innen, aber auch für die Lehramtsstudent*innen und kommt gut an.

Das Studium ist ein Kernelement, um den Mangel anzugehen. Die Aufstockung der Studienplatzkapazitäten, die in den letzten Jahren sukzessive aufgebaut wurden und weiterhin aufgebaut werden, bedarf nach hinten heraus eines langen Atems.

Gleichzeitig braucht es für die Studierenden aber auch Entlastung. Denn nach gut sechs Jahren Studium, dem Referendariat, den geforderten Praktika in den vorlesungsfreien Zeiten und dem unbezahlten Praxissemester sind dann, wenn es eigentlich so richtig losgehen könnte, viele vom System erschöpft.

Meine Damen und Herren, der Weg sollte nur so steinig wie nötig sein. Lassen Sie uns doch den Gefallen tun und mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen alles Mögliche machen, damit mehr Lehrer*innen ins System kommen, egal, wer was hätte vor Jahren schon tun können oder künftig noch machen wird. Das bricht hoffentlich hier niemanden einen Zacken aus der Krone. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)09

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