Dr. Gregor Kaiser: „Wälder sind multifunktionell“

Zu den Anträgen der FDP-Fraktion zum Waldzustandsbericht 2022 und zur Bodenschutzkalkung

Portrait Gregor Kaiser - klein

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Ich begrüße es sehr, dass die FDP eine Aktuelle Stunde zum Thema „Waldzustand“ beantragt hat, allerdings nicht, weil das Thema besonders aktuell wäre; denn schon seit vier Jahren, mit dem Beginn der Borkenkäferkalamität, ist für jede und jeden sichtbar, dass der Zustand unserer Wälder katastrophal ist. Der Waldzustandsbericht zeigt auch schon seit Jahren eine abnehmende Vitalitätsleistung der Wälder.

Nein, ich begrüße es, weil die Debatten zum Thema „Wald“ in den letzten Monaten zu kurz gekommen sind. Die Debatten über den Krieg, die Energiekrise, die Aufnahme von Geflüchteten etc. haben eine Katastrophe riesigen Ausmaßes aus den Schlagzeilen gedrängt. Die Bäume und der Wald leiden. Der Forst verschwindet, und es scheint normal zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns auch darüber unterhalten, wie die Wälder der Zukunft aussehen sollen, darüber, welche Methoden die richtigen sind, über den Beitrag von Anpflanzungen und Naturverjüngung, aber auch über denjenigen, der jagt, sowie über Bildungs- und Wissensvermittlung. Denn dass dies nötig ist, haben wir gerade bei der Eröffnung von Herrn Brockes gesehen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir müssen uns auch darüber unterhalten, was die Forste und Wälder schädigt. Es sind die Schadstoffeinträge, und zwar nicht nur diejenigen der Vergangenheit. Deutlich geworden ist auch, dass die künstlich angelegten Reihenbestände wesentlich schlechter mit den sich verändernden Stressoren umgehen können. Hinzu kommen der Klimawandel und die Dürre.

Ja, auch der Klimawandel hat Ursachen: die gesellschaftliche Übernutzung von Ressourcen, den Ausstoß von Schadstoffen, die steigende Konzentration von CO2. Leidtragende sind die Forste und Wälder und somit auch der Mensch.

Hier ist die Gesellschaft gefordert, die Ursachen anzugehen und nicht nur die Auswirkungen zu beklagen und die Symptome zu bekämpfen. Ihr Parteikollege Herr Wissing, liebe FDP, ist in einem zentralen Politikbereich dafür verantwortlich, dass wir in Zukunft weniger Schadstoffe in den Wäldern haben könnten. Sprechen Sie ihn ruhig mit Ihren Sorgen an, Herr Höne und Herr Brockes.

(Beifall von den GRÜNEN)

In der Auflistung der Gründe, die zum Waldzustand von heute geführt haben und die von der FDP angeführt wurden, fehlt allerdings einer, nämlich die Rolle der Menschen in der Forstwirtschaft und die Fehler, die dort in der Vergangenheit gemacht worden sind. Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, auf Altersklassenwirtschaft und Reihenbestände zu setzen, auch wenn es aufgrund der Not und Bedürfnisse der 1940er- und 1950er-Jahre verständlich gewesen sein mag. Es wurden Forste mit dem primären Ziel der wirtschaftlichen Nutzung aufgebaut, aber keine Wälder im ökologischen Sinne.

Sie schreiben in Ihrem Antrag zur Aktuellen Stunde, dass der Wald nicht sich selbst überlassen werden dürfe und dass er aus eigener Kraft die Revitalisierung nicht schaffe. Jeder Waldökologe und jede Waldökologin wird dies zu Recht zurückweisen. Schauen Sie sich doch bitte mal die Flächen an, die durch Geröll umgeworfen wurden und wo anschließend nichts gemacht wurde. Dort steht mittlerweile wieder Wald, 4 bis 10 m hoch, bestehend aus Aspe, Lärche, Buche, Vogelbeere, Birke etc.

Was Sie dort aber nicht finden, ist das, was Sie unter Wald verstehen: einen in Reihe gepflanzten Forst mit ein oder zwei Baumarten.

Interessant ist auch, dass Sie, Herr Höne, Herr Brockes, uns vorwerfen, auf Naturverjüngung und auch auf Wildnis zu setzen. Ich habe es gestern schon einmal erwähnt und auf die Weltnaturschutzkonferenz hingewiesen, die aktuell stattfindet. Die Bundesrepublik hat internationale Verpflichtungen wie zum Beispiel, 5 % der Wälder in Deutschland aus der Nutzung zu nehmen, und dazu muss auch NRW seinen Beitrag leisten.

(Beifall von den GRÜNEN)

Selbst im Waldzustandsbericht ist zu lesen, dass Naturverjüngung Teil einer Wiederbewaldungsstrategie ist. Dies ist auch im Wiederbewaldungskonzept der letzten Legislaturperiode zu lesen. Da waren Sie mit in der Landesregierung.

Was die einzelnen Waldbesitzer und Waldbesitzerinnen dann machen, ist doch vor allem deren Entscheidung. Oder wollen Sie, die ansonsten die freie Entscheidung über die Verwendung des Eigentums mit so viel Verve vor sich hertragen, nun den Eigentümerinnen Wiederaufforstungs- und Waldnutzungsvorschriften machen? Abgesehen davon fehlen die Pflanzen zur Aufforstung, es fehlt Personal – darauf hat der Kollege Ritter schon hingewiesen –, und auch die Verpflichtung zur Wiederaufforstung ist derzeit ausgesetzt.

Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass es auch möglich ist, mit Anreizprogrammen zu versuchen, mehr Nachhaltigkeit und mehr Biodiversität auf der Fläche zu erreichen. Das passiert gerade in NRW durch die aktuelle Förderrichtlinie zu Extremwetterfolgen in Verbindung mit dem Wiederbewaldungskonzept und auf Bundesebene mit dem Programm „Klimaangepasstes Waldmanagement“; Herr Ritter hat es angesprochen. Dort finden sich auch die Kriterien „Naturverjüngung“, „Totholz“ und „Raum für natürliche Waldentwicklung“. Sie sind daran beteiligt, haben es unterstützt und zugestimmt.

Zurück zu Ihrem Antrag und der dort erwähnten Multifunktionalität. Ja, Wälder sind multifunktionell, und sie sollen und müssen auch Holz liefern. Daher ist es mit dem Zuwarten auf Naturverjüngung und damit, in 50 Jahren mal zu schauen, was sich so ernten lässt, nicht getan.

(Dietmar Brockes [FDP]: Aha!)

Waldarbeit ist Hand- und Kopfarbeit. Auf Flächen wie der oben geschilderten Kyrillfläche wird man nach acht bis zehn Jahren aktiv sein und von Beginn an jagen müssen. Nach acht bis zehn Jahren wird man damit beginnen, die gewünschten Bäume freizustellen und gegebenenfalls Nach- oder Ergänzungspflanzungen vorzunehmen.

Aber das Gute ist: Es steht schon etwas auf der Fläche – völlig kostenlos. Es spendet Schatten und sorgt für ein kühleres und feuchteres Mikroklima als auf den völlig überhitzten und ausgedorrten Freiflächen, die wir derzeit überall sehen. Dann kann man waldbaulich ansetzen und die Kräfte des Ökosystems Wald für den Menschen nutzbar machen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir werden uns in den kommenden Monaten und Jahren noch häufiger mit dem Thema „Wald“ auseinandersetzen. Wir werden als schwarz-grüne Koalition das Wiederbewaldungskonzept zu einer Waldstrategie NRW mit ökologischen Mindeststandards und das Landesforst- zu einem Landeswaldgesetz weiterentwickeln.

Wir werden auch Waldflächen aus der Holznutzung herausnehmen und einen zweiten Nationalpark einrichten. Wir wollen und müssen unsere internationalen Verpflichtungen zum Schutz der biologischen Vielfalt und mit Blick auf die Zukunft der Menschen in Deutschland einhalten. Wir wollen des Weiteren die Nutzung von Holz insbesondere in langlebigen Kreisläufen stärken. Dazu gehört an erster Stelle die Holzbauweise.

Wir müssen aber auch ehrlich sein: Der Zusammenbruch der Forste in den vergangenen Jahren wird in den kommenden Jahren zu einer Holzverknappung führen. Wir müssen den Holzverbrauch deshalb an manchen Stellen massiv reduzieren, zum Beispiel im Papier- und Verpackungsbereich. Darüber hinaus ist die Verbrennung von Primärholz in Großkraftwerken ein No-Go in einer nachhaltigen, ökologischen Gesellschaft.

Ich komme zum Schluss. Schwarz-Grün kümmert sich um den Wald und die vielen Waldbesitzerrinnen und Waldbesitzer. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

 

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt vob

Dr. Gregor Kaiser (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Herr Brockes, Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen. In Ihrem ersten Beitrag sagen Sie: Altbestände gibt es nicht mehr. – In Ihrem zweiten Beitrag sagen Sie zur Kalkung: Wir brauchen die Kalkung, damit die Altbestände erhalten bleiben. – Worüber reden wir denn jetzt? Machen Sie das doch mal deutlich. Das haben Sie bisher in zwei Redebeiträgen nicht geschafft.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])

Zur Bodenschutzkalkung wollte ich heute gar nicht so viel sagen – deswegen habe ich es im ersten Beitrag auch nicht gemacht –, weil wir ja im Ausschuss noch darüber reden werden. Es war die Vereinbarung, dass wir das Thema dort hinbringen.

Aber aufgrund von geänderten Umweltbedingungen und Depositionsbelastungen sind Waldkalkungen vielerorts gar nicht mehr notwendig. Bayern verzichtet zum Beispiel komplett darauf. Denn einen Nachholbedarf – so hat eine Überblickstudie ergeben – gibt es nicht. Darüber hinaus ist Bodenversauerung nicht mehr das gravierendste Problem, sondern Stickstoffeutrophierung und der Klimawandel gefährden unsere Waldökosysteme am meisten.

Dagegen müssen wir vorgehen. Waldkalkung ist tatsächlich nicht mehr das, was es in den 80er-Jahren noch war. Kollege Ritter hat eben schon das Notwendige dazu gesagt. Aber wir werden im Ausschuss darüber noch diskutieren, und darauf freue ich mich.

Wir wissen auch: Mit den bisherigen Methoden – das haben wir in den vergangenen Jahren gesehen – haben wir es nicht geschafft, den Wald zu erhalten. Deswegen müssen wir neu denken, statt immer wieder in die 80er- und 90er-Jahre zurückzufallen. Die Forstbetriebe haben schon in den vergangenen Jahren mit der naturgemäßen Waldwirtschaft versucht, anders zu wirtschaften, Dauerwald zu erstellen. Genau in die Richtung muss es gehen. Davon habe ich bei Ihnen gerade nichts gehört. Aber wir haben ja noch Zeit bis zur Ausschusssitzung. In den nächsten anderthalb Jahren belesen Sie sich vielleicht dazu, sodass wir da weiterkommen. – Vielen Dank dazu.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Als Letztes noch zur Baumartenwahl. Frau Kahle-Hausmann hat gerade gesagt, dass auch die Eichen kein zukunftsfähiger Baum mehr seien. Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich würde das auch abstreiten, denn wir müssen an erster Stelle erst einmal auf unsere heimischen Baumarten setzen. Da gehört die Eiche, da gehört die Traubeneiche dezidiert dazu, da gehört auch die Tanne, die Weißtanne dazu, um einen stabilen Mischwald aufzubauen, in dem auch Nadelgehölze sind.

Wir werden an der einen oder anderen Stelle andere Baumarten anpflanzen, Experimentierbaumarten anpflanzen. Das kann man sicherlich mal machen und auch beobachten, was passiert. Aber mit den heimischen Baumarten und deren Epigenetik werden wir eine ganze Menge machen können. Damit werden wir klimastabile Mischwälder aufbauen können, bzw. sie werden sich selbst aufbauen können. Wir werden daraus mit forstlichen, waldbaulichen Maßnahmen für uns auch Holz nutzen können, um damit in eine ökologische Zukunft zu gehen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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