Lena Zingsheim-Zobel: „Wir kommen gerne an einen gemeinsamen Tisch, aber mit Plan und Voraussicht“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf eine Bildungskonferenz

Portrait Lena Zingsheim-Zobel

Lena Zingsheim-Zobel (GRÜNE): Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zu dem Antrag komme, möchte ich die Gelegenheit nutzen, allen heute startenden Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern einen erfolgreichen Start an ihren Schulen zu wünschen und ihnen dafür zu danken, dass sie Tausende von Schülerinnen und Schülern zukünftig täglich prägend begleiten werden.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Nun zum Antrag: Zu viele Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen erreichen in der 4. Klasse weder in Mathematik noch in Deutsch die Mindeststandards. Wir haben es jetzt gehört. Diese Aussagen der IQB-Studie haben uns in den letzten Wochen nachhaltig und alarmierend beschäftigt. Sie haben recht, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD: Die Studie zeigt verheerende Missstände im Bildungssystem, die wir so nicht weiter hinnehmen können.

Das viel genutzte Bild der Coronapandemie als Brennglas für die Herausforderungen des nordrhein-westfälischen Bildungssystems prallt hier nun auf Zahlen in Bezug auf die Leistungserbringung in Mathematik und Deutsch. Aber seien wir einmal ehrlich: Die Coronapandemie ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere Teil ist – und da kann sich keine demokratische Fraktion wegducken –, dass die Probleme über Generationen gewachsen sind und sich nicht von heute auf morgen auflösen werden, so gerne wir das hier hätten.

Die Herausforderung, Lehrinhalten zu folgen und lesen und rechnen zu lernen, während das Kind vor zwei Wochen noch vor einem schrecklichen Angriffskrieg geflohen ist – für die, die in Freiheit aufgewachsen sind, unvorstellbar –, Lesen zu lernen in einer bisher vollkommen fremden Sprache, sich zu freuen, dass es endlich verstanden wird, und dann in der Schriftsprache vor einem Berg an Buchstaben zu stehen, die das Kind alleine niemals sortiert bekommt, weil der andere Berg, der der Sorgen und Ängste, eben auch noch da ist, oder frei Geschichten zu erfinden, die dazu führen, dass Kinder mit emotional-sozialen Entwicklungsschwierigkeiten keinen Halbsatz geschrieben bekommen, weil sie schon im nächsten Gedanken stecken: Das nennen Sie in Ihrem Antrag nicht, ist aber doch genauso eines Blickes würdig.

Sie, liebe SPD-Fraktion, kommen nun mit einer Bildungskonferenz. Es gibt doch im Grunde zwei Wege, damit umzugehen. Entweder bringen Sie weiter Anträge ins Plenum zur direkten Abstimmung ein, die in Teilen ziemlich vereinfacht darlegen, was jetzt vermeintlich Sache ist, und mehr Symbolik betreiben, als konstruktiv zu sein, oder wir alle machen gemeinsam wirklich Ernst, entscheiden nicht über Köpfe hinweg, nehmen uns den aktuellen Krisen an und setzen die Segel in eine andere, eine gemeinsame Windrichtung.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Ich finde es richtig, dass unsere Bildungsministerin direkt nach Veröffentlichung der Zahlen die passenden Worte gefunden hat – ich zitiere –: „Die Ergebnisse sind ein Alarmsignal“ – und dass sie umgehend erklärt hat, dass wir bestehende Maßnahmen auf den Prüfstand stellen müssen und dass wir dem Negativtrend mit einem umfassenden, grundlegenden und weitreichenden Ansatz begegnen werden, bei dem selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, alle von Ihnen geforderten Akteurinnen zusammenkommen.

Sie fordern allerdings auch, diese Bildungskonferenz so schnell wie möglich einzuberufen. Stimmt, die Zeit drängt. Aber ohne dass ich in den vergangenen Jahren in der landespolitischen Debatte tief dringesteckt habe, so ließ sich doch immer in der Praxis erkennen, dass Schnellschüsse eher nach hinten losgegangen sind.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zurufe von der SPD)

Es reicht nicht, alle an einen Tisch zu bringen, die Themen in die Mitte des Tisches zu werfen und dann munter drauflos zu diskutieren. So heterogen, wie die Fraktionen immer diskutieren würden, ist auch die Schülerschaft in diesem Lande. Unterschiedliche Voraussetzungen bedürfen unterschiedlicher Ansätze.

Die IQB-Studie hat nämlich nicht nur den Kompetenzrückgang belegt, sondern auch die unfassbar starke Schieflage der Disparitäten in der Bildungsgerechtigkeit wieder einmal mit voller Wucht gezeigt. Und für alle von uns ist doch klar: Bildung darf weder vom Geldbeutel der Eltern noch von der Postleitzahl abhängen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Für einen Antrag der SPD finde ich wirklich enttäuschend, dass Sie es nicht schaffen, eine Bildungskonferenz für alle zu fordern, ohne dann herauszuarbeiten, dass bei dieser Bildungskonferenz „Vielfalt und Diversität in Inhalt und Besetzung“ auch tatsächlich drübersteht.

(Andreas Bialas [SPD]: Das muss doch selbst Ihnen zu billig sein, oder?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich lade Sie ehrlich und herzlich noch einmal ein, mit uns gemeinsam an einem zukunftsfähigen Bildungssystem zu arbeiten. Das ist ohne Zweifel ein dickes Brett, und das wird, ohne es schönzureden, einiges kosten. Deshalb kommen wir gerne an einen gemeinsamen Tisch, um konkrete weitere Schritte mit Wissenschaft und Verbänden abzuwägen – dies dann aber mit Plan und Voraussicht.

Hätten Sie diesen Antrag in den Ausschuss überweisen lassen, hätten wir zusammen überlegen können, wie wir weiter verfahren. Eine Bildungskonferenz allein sorgt nämlich nicht sofort für – ich zitiere – „gute Bildung und damit für eine gute und gerechte Zukunft unserer Kinder und unseres Landes“. Wenn das mal so einfach wäre! – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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