Matthi Bolte-Richter: „Die Digitalisierung bei Schwarz und Gelb steckt im Papierstau“

Der Antrag

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Es ist sehr schön, dass Sie meine erste Rede 2010 eingeleitet haben und auch meine letzte im Jahr 2022, aber dazu kommen wir später. Jetzt kommen wir erst zu den Inhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ankündigungen, als diese Regierung 2017 an den Start ging, waren gigantisch. Sie haben den Menschen im Land das Blaue vom Himmel versprochen, was die Digitalisierung angeht: alles ganz schnell, alles digital, alles sofort und supertoll.

Wir haben Ihnen jetzt fünf Jahre lang konsequent auf die Finger geschaut, weil Sie regelmäßig hinter eigenen Zielen zurückgeblieben sind. Sie wollen bis zum Ende dieses Jahres 100 % der Gewerbegebiete mit Glasfaser versorgt haben – geschafft ist nicht einmal die Hälfte.

Wir arbeiten ja daran, dass Sie nach dem 15. Mai ein bisschen mehr Zeit haben, Herr Minister, aber selbst wenn Sie diese Zeit konsequent nutzen und Bagger fahren, um Glasfaser zu verlegen, wird es wahrscheinlich ein bisschen eng werden, das eigene Ziel zu erreichen.

Bei den Schulen ist es im Übrigen mindestens genauso dramatisch. Da rühmen Sie sich selbst mit gigabitfähigen Netzen und anderen Floskeln. Ihre eigenen Zahlen zeigen eine ganz andere Realität: Nur 12 % der Schulen haben einen Glasfaseranschluss vor dem Gebäude; das heißt „angeschlossen“ bei Ihnen. In Ihrer Statistik bedeutet „angeschlossen“ erst einmal gar nichts.

Ähnlich ist es bei der digitalen Verwaltung. Die Staatskanzlei steigerte unter Schwarz-Gelb ihren Papierverbrauch um 170.000 Seiten jährlich. Die Digitalisierung bei Schwarz und Gelb steckt im Papierstau. Ein Ankündigungsminister macht eben noch keine Digitalisierung, und wir haben viele Ankündigungen gehört, gerade wenn es um die digitale Verwaltung ging.

Im Oktober 2018 wurde das Gesetz zur digitalen Verwaltung für Ende des Jahres 2018 angekündigt. Ende 2018 wurde es für das erste Quartal 2019 angekündigt. Im Mai 2019 wurde es für vor der Sommerpause 2019 angekündigt, und in der Sommerpause 2019 wurde es für Ende 2019 angekündigt. Gekommen ist es dann im März 2020.

Das war ein Gesetzentwurf, der eine ganze Menge To-dos offengelassen hat. Die Liste mit nicht digitalisierten Verwaltungsprozessen zum Ende dieser Legislaturperiode ist 123 Seiten lang. Das ist nur die Landesebene, denn die große Herausforderung, auch die Kommunalverwaltungen zu digitalisieren, haben Sie vorsichtshalber ganz liegen lassen.

Um genau zu sein: Von 44 Zielen Ihrer Digitalstrategie haben Sie am Schluss der Regierungszeit nur acht erreicht, und das bei oftmals lächerlich ambitionslosen Zielen.

Sie loben sehr gerne Ihre Gründungspolitik. Unsere DWNRW-Hubs haben Sie fortgeführt. Das habe ich immer positiv bemerkt. Wir haben auch bereits zugesichert, dass wir im Falle einer Regierungsbeteiligung das Gründerstipendium fortführen und weiterentwickeln wollen. Aber das allein reicht doch noch nicht.

Wir haben immer wieder darauf gedrängt, dass Social Entrepreneurship nicht länger unter dem Radar der Landesregierung fliegen darf. Sie haben es dann mit der schwarz-gelben Regierung genauso gemacht wie immer. Sie haben ein Thema gesehen, sind es aber nicht strukturell angegangen, sondern Sie haben warme Worte gewählt, eine Plattform. Je nach Thema gibt es entweder eine Plattform oder eine App – das war die klassische Lösung – und die Feststellung des Ministers, dass das alles irgendwie ganz wichtig ist. Das reicht aber nicht.

Innovationspotenziale in der Green Economy, bei Sozialunternehmen und auch bei Gründerinnen sind in den letzten Jahren liegen geblieben. Sie müssen dringend gehoben werden, wenn wir als Innovationsstandort mithalten wollen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Ankündigungen waren riesig. Die Bilanz, wenn man sie ehrlich zieht, ist dürftig. Einen digitalen Aufbruch hat es in den letzten Jahren nicht gegeben. Das bleibt die Aufgabe für eine neue Landesregierung, und dafür kämpfen wir.

(Beifall von den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank. Das war’s! Das war jetzt auch meine letzte Rede in diesem Parlament.

Es war ein sehr spannender Weg, den ich als Digitalpolitiker gehen konnte. Er bedeutete mehr oder weniger, die Erfindung eines neuen Politikfeldes in Deutschland mitgestalten zu dürfen. Seit einigen Jahren – vielleicht ist das schon ein großer Erfolg – müssen wir, wenn wir sagen, dass wir Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker sind, zumindest nicht mehr beantworten, ob es um Stromnetze oder Fischernetze geht. Vielleicht ist das schon ein gewisser Erfolg.

Ich möchte allen danken, die mich auf diesem Weg durch die letzten zwölf Jahre begleitet haben, natürlich meiner Familie, aber auch den vielen Menschen, die hier an diesem wunderbaren Ort uns alle, so auch mich in unserer Arbeit unterstützen, den Mitarbeiterinnen des Landtags in der Verwaltung, mit denen wir als Abgeordnete oft zu tun haben, aber auch denjenigen, die wir oft nicht sehen, weil sie morgens früh unsere Büros putzen oder im Hintergrund die Technik am Laufen halten. Sie alle sorgen dafür, dass es hier funktioniert. So leisten sie einen konkreten Beitrag zum Funktionieren unserer parlamentarischen Demokratie.

(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)

Ich hatte in den letzten zwölf Jahren das Glück, mit wirklich tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammenarbeiten zu dürfen, sowohl direkt bei mir im Team als auch in meiner Fraktion. Ihr wart mal Blitzableiter, ihr wart mal Trostspender, aber ihr wart jeden Tag loyale Unterstützer*innen und Begleiter*innen, und das auf einem wahnsinnig hohen fachlichen Level und in aller Regel mit sehr guter Laune. Respekt dafür und tief empfundener Dank!

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich möchte auch Ihnen, den Kolleginnen aus den demokratischen Fraktionen, danken, gerade für die Zeit zu Beginn, bei mir mit Anfang 20. Hier im Landtag habe ich mich immer wertgeschätzt und ernst genommen gefühlt. Das ist wichtig, weil es darauf ankommt, dass die jungen Leute, die gerade in der Pandemie viel zu wenig gesehen wurden, in den Parlamenten dieses Landes eine Vertretung haben. Danke dafür, dass das in diesem Hause möglich ist.

Es war mir immer eine Ehre, dass ich meinem Land an diesem besonderen Ort dienen durfte. Es ist ein geliehenes Vertrauen der Bevölkerung. Es ist ein großes Privileg, Mitglied dieses Landtags sein zu dürfen. Ich habe es immer so erlebt. Es war und ist mir wichtig, dass wir uns das immer wieder vergegenwärtigen.

Machen Sie es gut! Streiten Sie weiter um den besten Weg! Das beste NRW liegt noch vor uns. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Lieber Herr Kollege Bolte-Richter, in der Tat, in zwölf Jahren ist viel passiert, ist auch viel Entwicklung zu beobachten gewesen. Ich wünsche Ihnen auch im Namen des Hohen Hauses für Ihren Lebensabschnitt, der weiter vom Engagement für digitale Themen gezeichnet sein wird, von Herzen alles Gute, Glück und Gesundheit. Alles Gute für Sie!

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)