Johannes Remmel: „Deshalb ist es wichtig, fachliche Konsequenzen zu ziehen, aber auch genau zu prüfen, bei wem die Verantwortung gelegen hat“

Zum Zwischenbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „Hochwasserkatastrophe“

Johannes Remmel (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn meiner Rede all denen danken – Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesregierung –, die dazu beigetragen haben, den Auftrag des Parlaments umzusetzen und zu untersuchen, welche Versäumnisse die Landesregierung bei diesem Thema hatte und wo das Hochwasserkrisenmanagement verbessert werden kann.

Ich kritisiere aber alle diejenigen, die vermeintlich verhindern wollen, diesen Auftrag des Parlaments noch in dieser Legislaturperiode mit einer Debatte abzuschließen. Denn nach der Meinung derjenigen, die immer wohlfeil erklärt haben: „Es ist wichtig, dass es diesen Untersuchungsausschuss gibt, der eine wertvolle Arbeit leistet“, darf dieser Untersuchungsausschuss am Ende keine Wertung gegenüber dem Parlament abgeben.

Ich finde, das ist Arbeitsverweigerung und stellt den Auftrag der Verfassung auf den Kopf.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Denn aus der Verfassung ist ausdrücklich das Recht der Minderheit abgeleitet, sozusagen im Sinne von Checks and Balances denjenigen, die die Macht, wenn auch nur auf Zeit, haben, sagen zu können und zu dürfen – was in Diktaturen nicht möglich ist –, wo sie Fehler gemacht haben, und Verantwortung einzuklagen. Das muss innerhalb einer Legislaturperiode, wenn das Parlament den Auftrag gegeben hat, auch möglich sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb kritisieren wir die Ausschussmehrheit, die Mehrheit hier im Parlament, dafür, dass das, was vorgelegt worden ist, im Wesentlichen eine Loseblattsammlung ist. Ich meine schon, dass das im Sinne des Auftrags dieses Parlaments, hier Aufklärung zu leisten, in gewisser Weise auch eine Arbeitsverweigerung ist. Denn es erfolgen eben keine Antworten, wo Antworten nötig sind und die Menschen fragen: Was war denn, und wer hat Verantwortung?

Es ist völlig klar – auch das ist ein Ergebnis –, dass Hochwasserkatastrophen und Naturkatastrophen in Zukunft nicht völlig verhindert werden können. Aber wir haben den Auftrag, alles dafür zu tun, Prävention zu leisten und die Warnsysteme so einzustellen, dass sich das, was hier stattgefunden hat, nicht wiederholt. Das sind wir den Menschen, aber auch den künftigen Generationen schuldig, weil – das wissen wir alle – sich die äußeren Umstände und das Klima so verändern werden, dass so etwas wieder auf uns zukommen wird. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Deshalb ist es wichtig, fachliche Konsequenzen zu ziehen, aber auch genau zu prüfen, bei wem die Verantwortung gelegen hat.

Da muss ich sagen, dass wir es hier mit einem „freundlichen“ – in Anführungsstrichen – Unwetter zu tun hatten. Denn es hat sich lange angekündigt. Mindestens drei bis vier Tage vorher war klar, dass es zu solchen Ereignissen kommen wird. Die Warnungen lagen alle vor und standen an der Wand.

Das Unwetter war sogar so „freundlich“, dass es zwei Nullpunkte gab. Es gab also nicht nur eine Katastrophe. Vielmehr hat die Katastrophe zunächst in Hagen vom 13. auf den 14. Juli 2021 eingesetzt. Dann hat das Unwetter eine Pause eingelegt und gesagt: Gut, vielleicht bereitet ihr euch noch darauf vor. – Vom 14. auf den 15. Juli 2021 setzte dann die große Katastrophe in der Nordeifel ein.

Alle Expertinnen und Experten haben uns erklärt, dass gerade an dem 14. noch genügend Zeit war, Warnungen auszusprechen und zu sagen: Bringt euch in Sicherheit.

Die Daten und Fakten lagen alle auf dem Tisch. Aber niemand innerhalb der Landesregierung – kein Minister, keine Ministerin – und auch keine Fachbeamtinnen und Fachbeamten haben diese Initiative ergriffen, auf die Trommel geschlagen und laut gewarnt. Auch das muss hier und heute auf den Tisch. Warum und weshalb nicht?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Deshalb möchte ich mich mit dem Prinzip beschäftigen, das dem zugrunde liegt. Das Prinzip, das wir festgestellt haben, ist Verantwortungsdelegation: die anderen; die Kommunen, die Hydrologen – nicht die Meteorologen –, das LANUV, die Bezirksregierungen.

All das haben wir im Ausschuss an Argumenten gehört. Allerdings hat niemand gesagt: Ja, ich habe die Verantwortung, selbst wenn ich sie vielleicht rechtlich nicht habe. Aber ich habe sie nicht übernommen. Ich habe nicht auf die Trommel geschlagen, als ich auf sie hätte schlagen müssen.

Dieses Prinzip zu durchbrechen und es besser zu machen, ist ein Ergebnis, das wir festhalten müssen.

Es hat in diesem Land kein funktionierendes Hochwasserkrisenmanagement gegeben, obwohl die Voraussetzungen dafür im Großen und Ganzen vorhanden waren.

(Thomas Schnelle [CDU]: Nein!)

Hier hat niemand die Verantwortung übernommen. Das kann man durchdeklinieren. Das Umweltministerium, das zuständige Ressort, das LANUV: personelle Lücken. Systeme sind vorhanden, aber konnten nicht bedient werden. Es hat keine Kommunikation im Fachamt gegeben. Es hat keine Kommunikationen zwischen den Ämtern gegeben. Es hat keine Abfrage bei den Bezirksregierungen gegeben. Es hat keine Diskussion zwischen Ministerien – Ministerin, anderen Ministerien – über diese Frage gegeben, obwohl die Fakten vorlagen. Das Stichwort ist für mich „Sprachlosigkeit“.

Der Innenminister war in Urlaub. Es wurde zu spät informiert, obwohl alle Instrumente – vom Lagezentrum über Informationen – bei ihm vorhanden sind. Am 12./13. lagen die entsprechenden Informationen vor. Der Minister wird aber, selbst nachdem der Staatssekretär morgens gesagt hat: „Wir müssen vielleicht etwas tun“, nicht vom Staatssekretär informiert, sondern erst mittags von seiner Persönlichen Referentin.

In der Staatskanzlei war eine Ahnung vorhanden, dass etwas auf uns zukommen könnte. Der Staatssekretär, der Chef der Staatskanzlei, hat sich erkundigt und auch Informationen bekommen.

An dem besagten 14. schaltet man nach dem Ereignis in Hagen aber plötzlich um. Es gibt keine Informationen mehr darüber, dass Aktivitäten im Sinne der Ressortkoordination und der Gefahrenabwehr erfolgen.

Nein, es wird der Besuch des Ministerpräsidenten vor Ort vorbereitet, und dafür werden die Kapazitäten gebündelt. Insofern erfolgt eine Flucht aus der Verantwortung, und das ist das Ergebnis – leider.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Ich habe mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was mir damals widerfahren wäre, wenn ich in der Verantwortung gewesen wäre. Ich habe eine christliche Erziehung. Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Ich glaube aber, das zählt hier nicht. Es geht um politische Verantwortung, und das ist ein Grundprinzip unserer Demokratie, nach politischer Verantwortung zu fragen.

Ich habe mal im Duden nachgeschaut, was unter „Verantwortung“ steht. Da heißt es:

„[…] [mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene] Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass […] alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht.“

Darüber hinaus steht im Duden, es ist die

„Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen […].“

Es geht darum, Schuld auf sich zu nehmen. Beides, Frau Ministerin Heinen-Esser, haben Sie nicht getan. Weder haben Sie Verantwortung übernommen, noch haben Sie für die notwendige Schadensabwehr gesorgt, und dabei heißt es doch im Amtseid, den Sie geschworen haben, Schaden vom Land abzuwenden. Beides haben Sie nicht getan.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Die Nachricht gestern Abend hat bei mir zu Fassungslosigkeit geführt. Das war Ihr Costa-Concordia-Moment dieser Legislatur. Sie sind von Bord gegangen, als das Schiff sank. Niemand war an Bord und hat geholfen, zu retten. Sie sind zurück in den Urlaub gefahren, haben – in Anführungszeichen – „Homeoffice“ gemacht, und dann hat da auch noch eine Geburtstagsparty stattgefunden. Sie haben den Ausschuss getäuscht und die Unwahrheit gesagt. Frau Ministerin Heinen-Esser, übernehmen Sie die Verantwortung und treten Sie zurück.

(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der AfD)

Aber auch diese politische Hygiene darf am Ende nicht davon ablenken, dass es weitere Verantwortliche in dieser Landesregierung gegeben hat, die bis heute keine Verantwortung übernommen haben. Ich nenne hier den Innenminister. Ich nenne auch den Chef der Staatskanzlei, und am Ende ist es auch der Ministerpräsident a. D.

Dies muss weiter aufgeklärt werden. Hier muss weitergearbeitet werden. Deshalb stimme ich allen Empfehlungen und auch der Forderung zu, diesen Untersuchungsausschuss in der nächsten Legislaturperiode fortzuführen. Insbesondere müssen die bereits vorhandenen fachlichen Ansätze – es geht um ein verbessertes Hochwasserrisikomanagement, um ein Hochwasserpräventionssystem, in das Gegenden aufgenommen werden, wo Sturzfluten auftreten können, um den Aufbau von Regensammelsystemen – einschließlich der Gefahrenabwehr im entsprechenden Gesetz berücksichtigt werden. Dafür wünsche ich Ihnen allen viel Erfolg, und dem Land wünsche ich alles Gute. – Glück auf!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Remmel. Ich glaube, das war heute Ihre letzte Rede, nicht?

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Heute ja! – Heiterkeit)

Das soll mir was heißen. Ich hätte sonst ein paar Worte gefunden, die ich eigentlich auch finden darf, nicht?

(Heiterkeit)

Das ist ein Moment, in dem man das sehr schwer anbringen kann, aber muss.

Wenn Herr Remmel in diesen Wochen aus dem Parlament ausscheidet, dann scheidet ein Mann aus, der, wenn ich es richtig nachgerechnet habe, dem Landtag 27 Jahre angehört hat. Liege ich richtig, Johannes?

(Johannes Remmel [GRÜNE]: Fünf Jahre als Minister war ich kein Mitglied des Landtags!)

– Ja, stimmt. Mensch, das müssen wir abziehen. Das gibt es nur bei den Grünen.

(Heiterkeit)

Die Grünen geben ihr Mandat ab, wenn sie ein Amt antreten. So war das bisher immer, und deshalb hast du völlig recht, Johannes. Das sind fünf Jahre weniger. Du warst dann 22 Jahre ordentliches Mitglied des Landtags und auch noch als Minister für unser Land tätig und in Verantwortung. Außerdem hattest du viele Funktionen in unserer Fraktion inne.

Ich denke, diese Stelle bietet eine gute Gelegenheit, Johannes Remmel für sein Engagement, für seine geleistete Arbeit im Sinne der Demokratie und der Menschen in unserem Land und, wie man auch gerade hören konnte, auch für seine rhetorische Kraft herzlich zu danken. Dafür gebührt dir mein persönlicher Dank und der Dank des Präsidiums. Alles Gute für die Zukunft und die Zeit ohne Parlamentarismus, was einem Vollblutpolitiker unter Umständen gar nicht so leicht fällt.

Der Übergang ist allerdings fällig. Demokratie lebt von diesen Wechseln. Also nochmals alles Gute für die Zukunft, Johanne Remmel!

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP und von Minister Dr. Joachim Stamp)