Horst Becker: „Sie haben sich auf Leitlinien, Strategien und Ankündigungen verstanden und sehr, sehr wenig gemacht“

Zum Antrag de Fraktionen von CDU und FDP zur Wirtschaftspolitik

Horst Becker (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fünf Wochen vor der Wahl behandeln wir heute einen Antrag, von dem Herr Sundermann völlig zu Recht gesagt hat, dass er rückwärtsgewandt sei.

Ich füge noch hinzu, dass er von angeblichen Großtaten dieser Landesregierung und dieser Koalition redet.

In der Überschrift Ihres Antrags behaupten Sie, dass Nordrhein-Westfalen stärker als je zuvor sei. Herr Sundermann hat soeben auf die Zahlen des letzten Jahres hingewiesen, und ich möchte die Zahlenreihe zum Wirtschaftswachstum seit 2017 nennen.

2018, also ein halbes Jahr nach der Regierungsübernahme, hatten Sie ein Wirtschaftswachstum in NRW – mit Sicherheit beruht das nicht alleine auf Ihrer Verantwortung – von 1,5 % im Gegensatz zu 1,1 % im Bund. Damals haben wir uns hier darüber auseinandergesetzt, was auf die CDU/FDP-Regierung zurückzuführen sei und was nicht.

Im Jahr 2019 kam es dann prompt dazu, dass es im Bund plus 1,1 % und in NRW minus 0,1 % waren.

Im Coronajahr 2020 gab es im Bund ein Minus von 4,6 %. Hier haben Sie es immerhin geschafft, ein Minus von 4,5 % zu erreichen.

Im letzten Jahr waren es ausweislich der Zahlen des Statistikportals von Bund und Ländern – nicht der Zahlen des RWI – 2,9 % im Bund und 2,2 % in Nordrhein-Westfalen. Wie man dann davon reden kann, dass man das energisch verbessert hätte und NRW einen ganz anderen Platz einnehmen würde, erschließt sich mir nicht.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Des Weiteren erschließt sich mir nicht, dass Sie in Ihrem Antrag einer Fata Morgana gleich sogar behaupten, Sie seien eine Koalition, die sich der Energiewende und der Transformation zu einem klimaneutralen Industriestandort mit – man höre und staune – Tatendrang gewidmet habe. Davon habe ich in den letzten Jahren nichts gemerkt. Auch meine Partei hat davon nichts gemerkt. Ich glaube, dass wir damit auch nicht die Einzigen waren, denn draußen im Lande haben davon ebenfalls viele nichts gemerkt. Das gilt übrigens in gleichem Maße für die Photovoltaik.

Ihre Wasserstoff-Roadmap kam viel zu spät. Darüber hinaus haben Sie sich in den letzten Jahren überhaupt auf Leitlinien, Strategien und Ankündigungen verstanden und sehr, sehr wenig gemacht.

Ich will noch einmal deutlich machen, dass das in der Tat etwas mit der Zukunft unseres Landes zu tun hat, und zwar nicht erst, aber auch seit dem Krieg in der Ukraine. Der Gesamtenergieverbrauch in der Bundesrepublik – also nicht der Stromverbrauch alleine, sondern die Äquivalenz dazu – beträgt 2.500 Terrawattstunden im Jahr. Von diesen 2.500 Terrawattstunden müsste ein großer Teil in NRW produziert oder für die Chemie- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen in Wasserstoffform zur Verfügung gestellt werden.

Wenn man das will, muss man die Windenergie und die Photovoltaik eben ganz anders ausbauen, als Sie das getan haben. Darüber hinaus müsste man sich im Hinblick auf die Wasserstoffproduktion zu Partnerschaften in die sonnenreichen Länder rund um das Mittelmehr aufmachen und solche Produktionen dort intensivieren, damit wir sie hier nutzen können.

Meine Damen und Herren, Sie behaupten, Sie hätten Schulden abgebaut. Das lässt natürlich die Coronajahre außer Acht. Aber selbst dann kann man feststellen, dass Sie im Verhältnis zu den gigantischen Steuereinnahmen, die Sie im Gegensatz zu der Vorgängerregierung zu verzeichnen hatten, quasi überhaupt nichts abgebaut haben.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich stelle ganz deutlich fest, dass das eine glückliche Wahlperiode war. Im Gegensatz zu diesem Finanzminister wird der nächste Finanzminister oder die nächste Finanzministerin kein Lucky Lutz sein, wie dieser Finanzminister es ist, sondern der- oder diejenige wird es bedeutend schwieriger haben.

Ich könnte den Antrag weiter durchgehen. Ich könnte also darüber reden, was Sie mit der Landesplanung, mit dem Niederrhein und mit der Auskiesung gemacht haben, womit Sie die Heimat zerstört haben. Ich könnte auch darüber reden, dass es eben nicht stimmt, was Sie hinsichtlich des Mobilfunks behaupten, denn eine Abdeckung von 99,9 % würde nur gelten, wenn wir alle mit drei Handys und drei Netzen herumliefen. So könnte man durch diesen gesamten Antrag gehen.

Ich stelle einfach fest, dass Sie selber nicht daran glauben, mit diesem Selbstlob am Ende irgendeinen Wähler zu überzeugen. Deswegen, sehr geehrte Damen und Herren, will ich nun ein paar persönliche und auch ein paar persönlich-politische Worte verlieren.

Erstens. Ich bin dankbar, dass diese Bundesregierung bis jetzt alles versucht hat, um von den Energieimporten aus Russland unabhängig zu werden, und hoffe, dass sie dafür auch weiterhin alles versuchen wird. Vor allen Dingen bin ich aber dafür dankbar, dass man den Rufen nach einem Gasboykott durch uns als Bundesrepublik bis jetzt nicht gefolgt ist, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das den Industriestandort Nordrhein-Westfalen mit Stahl und Chemie ganz besonders treffen und uns das maßgeblich schaden würde. Sicher bin ich übrigens auch, dass diejenigen, die das jetzt massiv auch hier in Deutschland einfordern, schon im Dezember nicht mehr an diese Worte erinnert werden wollen.

Im Übrigen glaube ich auch nicht daran, dass ein solcher Gasimportstopp, der in den Devisen für Russland weniger ausmacht als Öl und Kohle, dazu führen würde, dass das passieren würde, was wir alle wollen, nämlich dass dieser Krieg gestoppt wird. Im Gegenteil: Ich denke, dass dieser irrational handelnde Präsident an dieser Stelle möglicherweise die Eskalation weitertreiben würde, als uns allen das lieb und reicht sein kann. Wir müssen deshalb einen kühlen Kopf bewahren und vernünftig bleiben.

Zweitens. Ich will darauf verweisen, dass wir durch Corona gelernt haben, dass Teile der Globalisierung so nicht weitergehen, wir tatsächlich, um Lieferketten überhaupt noch aufrechtzuerhalten, eine andere Logistik brauchen und darüber hinaus Teile der Industrie und der Chemie wieder ins Land zurückholen müssen. Das ist ganz besonders dann erforderlich, wenn wir noch berücksichtigen, dass von den USA zurzeit China als einer der Hauptgegner gesehen wird, und die USA alles dafür tut, die Entkopplung der Weltwirtschaft oder der westlichen Wirtschaft von China voranzutreiben.

Wer weiß, wie verhaftet wir inzwischen auch in Nordrhein-Westfalen mit der chinesischen Industrie und mit Teilen von China sind, wird sich fragen müssen, ob das in unserem Sinne sein kann. Auch hier rate ich deshalb dazu, dass wir die Interessen unseres Landes und insbesondere unseres Bundeslandes mit kühlem Kopf wahren.

Meine Damen und Herren, das alles wird den Landtag in den nächsten Jahren, in der nächsten Wahlperiode vor erhebliche Herausforderungen stellen. Diejenigen, die in den nächsten fünf Jahren die Verantwortung tragen werden, beneide ich nicht und wünsche ihnen wirklich eine glückliche Hand und kluge Entscheidungen, um das Land durch diese schwere Zeit, von der ich sicher bin, dass sie kommen wird, zu steuern.

Ganz persönlich möchte ich noch einmal allen Kolleginnen und Kollegen und insbesondere denjenigen der eigenen Fraktion für die letzten 17 Jahre Danke sagen. Ich habe diese Zeit sehr genossen, die eine spannende Zeit und eine Zeit mit Verantwortung war. Es war auch eine Zeit am Anfang und am Ende in der Opposition. Allerdings konnte ich auch viele Gespräche über die Fraktionen hinweg genießen und habe diese immer wieder als anregend empfunden.

Jetzt bleibt es mir, auf Wiedersehen zu sagen. An irgendwelchen Stellen werden wir uns wieder begegnen. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Gesundheit, und denjenigen, die hier im Landtag diese Verantwortung tragen werden, wie gesagt, eine glückliche Hand. An dieser Stelle sage ich ausnahmsweise auch einmal: Glückauf und Ihnen allen alles Gute.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Herr Kollege Becker. Das war Ihre letzte Rede – Sie haben es selbst angeführt – nach 17 Jahren hier im Haus. Ich möchte noch auf zwei Sachen eingehen, die Sie nicht erwähnt haben, für die wir Ihnen aber dankbar sind, und in den Mittelpunkt stellen.

Das eine ist: Von den 17 Jahren waren Sie auch sieben Jahre lang Parlamentarischer Staatssekretär. Das ist insofern etwas Besonderes, als wir in Nordrhein-Westfalen eine gesetzliche Regelung haben, die nur einen Parlamentarischen Staatssekretär vorsieht. In dieser Zeit haben wir Sie alle als sehr engagiert, sehr streitbar und manchmal auch Attacke fahrend erlebt.

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Meistens Attacke fahrend!)

Insofern haben Sie mich persönlich mit Ihrem eher sanften letzten Redebeitrag sehr überrascht.

(Heiterkeit)

Ich danke Ihnen allerdings dafür. Mittlerweile kommen wir alle, die wir ausscheiden, auch in die Jahre.

Ich möchte zweitens betonen: Mit Ihnen zu diskutieren, war immer fordernd, und das weiß ich als Vorsitzende des Vorstandes des Versorgungswerks ganz besonders. Horst Becker und ich haben dieses Versorgungswerk gemeinsam aus den Kinderschuhen gehoben und dahin gebracht, wo es heute steht.

Lieber Horst Becker, von Herzen alles Gute für die Zukunft!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Bleib so, wie du bist! Die mahnenden Worte und die Merkposten haben wir gehört. Und weil du es gesagt hast, sage ich es jetzt auch einmal: Ein herzliches Glückauf für dich und deine Zukunft! – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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