Matthi Bolte-Richter: „Wer sich gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit einsetzt, braucht gesellschaftliche Unterstützung“

Zum Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN zur Aufarbeitung von Berufsverboten

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein neuer Tag beginnt. Ein jahrzehntealtes Thema kommt auf die Tagesordnung. Es war uns wichtig, heute diesen Antrag einzubringen und ihn zu debattieren, auch um denjenigen Dank zu sagen, die sich in verschiedenen Initiativen, aber auch in den Gewerkschaften für die Aufarbeitung der Berufsverbotspraxis des Radikalenerlasses einsetzen, für die Rehabilitierung der Betroffenen kämpfen und dafür die Erinnerung wach halten.

Wir hatten vor und nach der Einreichung dieses Antrags eine ehrliche Diskussion im Kreis der demokratischen Fraktionen, die auch nicht erst ein paar Monate dauert, sondern schon seit Jahren andauert. Die ersten Entwürfe für den Antrag sind vor drei Jahren im Kreis der Fraktionsvorsitzenden zirkuliert. Das heißt also, dass es etwas ist, was nicht vor wenigen Wochen hier auf die Tagesordnung gekommen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es gab dazwischen noch ein paar Kleinigkeiten wie eine Pandemie, die zum Beispiel die Ausstellung, die eben angesprochen wurde, verschoben hat. Insofern ist es, glaube ich, ein Prozess, der sehr nachvollziehbar ist.

Ich will mich bedanken bei Frau Freimuth und Herrn Diegel für die Diskussionen, die es gab. Wir haben auch festgestellt, wie wichtig es ist, das Geschehene anhand von Einzelschicksalen zu verstehen.

Herr Diegel, ich nehme Ihnen die Empathie, die Sie gezeigt haben, nach diesen Gesprächen ab, auch wenn Sie die heute gut zu verstecken wussten. Das zeigt letzten Endes doch, wie wichtig die Arbeit der betroffenen Gruppen ist.

Die Berufsverbotspraxis hat Lebenswege entscheidend beeinflusst. Sie stellt einen tiefen Eingriff in die Freiheit der Betroffenen, in die Selbstverwirklichung der Menschen dar.

Der Radikalenerlass war ein Fehler. Er war ein Eingriff in die Grundrechte – und das zu einem Zeitpunkt, an dem wir feststellen müssen, dass die Grundrechte keine Schönwettereinrichtung sind. Im Gegenteil: Der demokratische Rechtsstaat beweist seine Stärke doch dadurch, dass er die Grundrechte gerade in schwierigen Zeiten hochhält und garantiert.  Und diese Stärke hatte der Rechtsstaat in den frühen 70er-Jahren nicht. Er hat Schwäche gezeigt, als er durch die Berufsverbote die Grundrechte zur Disposition gestellt hat.

Obwohl sich der Radikalenerlass formal gegen Links- und Rechtsextreme richten sollte, traf er in der Praxis doch vor allem Mitglieder kommunistischer, sozialistischer Gruppen, aber eben auch Angehörige von Friedens- und Abrüstungsinitiativen. Fast ausnahmslos waren die Betroffenen zuvor legalen politischen Aktivitäten nachgegangen, wie auch dem Kandidieren auf Wahllisten, der Teilnahme an Demonstrationen oder der Unterzeichnung von politischen Aufrufen.

Wir sprechen also über Menschen, die eine klare politische Haltung hatten und vielfach heute noch haben und sich für gesellschaftlichen Fortschritt eingesetzt haben. Es ist rückblickend ein besonderer Hohn, dass diese Menschen ausgerechnet in einer Zeit, als bis in Spitzenfunktionen des Staates noch zahlreiche Altnazis aktiv waren, in ihren Grundrechten derart eingeschränkt wurden.

Die Berufsverbote waren eine massive Einschränkung, eine massive Verletzung der Grundrechte. Diese Haltung wird durch die Rechtsprechung auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt. Sie schlägt sich in vielen Einzelentscheidungen nieder, die die Betroffenen in zeit- und kraftraubenden Prozessen erstreiten mussten. Es sind viele Einzelschicksale. Die Zahl 5.000 wird in Betroffeneninitiativen so diskutiert, die nach 50 Jahren nicht in Vergessenheit geraten dürfen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Aus unserer Sicht haben die Betroffenen Respekt und Anerkennung verdient, Anerkennung vor allem auch dafür, dass sie bis heute mit großem Engagement für demokratische Prinzipien streiten und sich dafür einsetzen, dieses unrühmliche Kapitel der deutschen Geschichte aufzuarbeiten und dafür zu streiten, dass es sich nicht wiederholt.

Wir brauchen – und das ist eine Aufgabe für den nächsten Landtag – eine Aufarbeitung. Wir haben im Antrag verschiedene Vorschläge gemacht, wie eine solche aussehen kann – gerade auch vor dem Hintergrund, dass wir in Niedersachsen gesehen haben, dass das dortige Verfahren nicht unbedingt zu einem Erfolg geführt hat, den wir uns gewünscht hätten. Wir wollen Erkenntnisse gewinnen, konkret herausfinden, wie sich die damalige Praxis ausgewirkt hat und über wie viele Menschen wir genau reden, und in diesem Prozess natürlich auch über unbürokratische Möglichkeiten für Entschädigungen und rechtliche Rehabilitierung zumindest sprechen. Es geht auch darum, dass Betroffene Anerkennung für ihre Geschichte, für ihr persönliches Schicksal finden können.

Wer sich gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit einsetzt, darf nicht drangsaliert werden, sondern braucht gesellschaftliche Unterstützung.

In diesem Sinne danke ich allen, die die Praxis der Berufsverbote im kollektiven Gedächtnis halten, und wünsche uns, dass die Aufarbeitung in der nächsten Wahlperiode gelingt. Ich habe das Gefühl, dass wir durchaus mit der Diskussion der letzten Monate einen Stein ins Wasser werfen konnten, und würde mir sehr wünschen, dass dieser am Ende Wellen schlägt, die dann zu einem positiven Ergebnis führen. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)