Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich gehörte dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz sowohl in der 16. als auch in dieser Legislaturperiode an. Die Arbeit in den beiden Ausschüssen hätte gegensätzlicher nicht sein können.
Als der Untersuchungsausschuss der letzten Legislaturperiode eingesetzt wurde, waren es nicht einmal 100 Tage bis zur Wahl. Leider konnten damals einige Kollegen populistischen Versuchungen nicht widerstehen.
Mit den damaligen völlig unhaltbaren Vorverurteilungen und Tatsachenbehauptungen, die keiner Überprüfung standgehalten haben, war damals eine unabhängige Aufarbeitung nur schwer möglich. Ich meine, so viel selbstkritische Reflexion muss heute auch möglich sein.
Ich möchte noch einmal konkret in Erinnerung rufen, was zum Beispiel der damalige Abgeordnete und derzeitige Minister Stamp mehrfach ohne jeden Beleg und wider besseres Wissen behauptet hat. Zum Beispiel sagte er in der Sitzung des Innenausschusses am 2. Februar 2017 ausweislich des Ausschussprotokolls 16/1594 – ich zitiere –:
„Ich persönlich habe den Eindruck, dass man Amri ganz bewusst an der langen Leine hat laufen lassen, um damit an andere heranzukommen, und danach ist das Ganze entglitten, und das ist aus meiner Sicht eine Art russisches Roulette, das Ihnen hier“
– er meinte den damaligen Innenminister –
„völlig aus dem Ruder gelaufen ist.“
Spätestens jetzt nach der Vorlage des Abschlussberichts sollten Herr Stamp, aber auch andere vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob es nicht angemessen wäre, sich bei den Mitarbeitern des LKA NRW dafür zu entschuldigen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Daniel Sieveke [CDU] – Zuruf von der SPD: Auch die Medien!)
Damals hat man den Mitarbeitern faktisch Strafvereitelung im Amt vorgeworfen. Stattdessen haben sie das Gegenteil gemacht – wir wissen es –: Sie haben mehrfach versucht, Amri festzusetzen. Die NRW-Behörden haben sich dafür eingesetzt, keine Überwachungslücke entstehen zu lassen. Sie wurden nicht müde, auf seine Gefährlichkeit hinzuweisen.
Genau diese Erkenntnis hat der zweite Untersuchungsausschuss, der gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode eingesetzt wurde, in vielen Zeugenbefragungen und durch Aktenstudium gewonnen. Tatsächlich zeichnete sich immer deutlicher ab, dass das Landeskriminalamt NRW durch die Information der Vertrauensperson VP01, die im Abu-Walaa-Netzwerk eingesetzt war, umfangreiche Erkenntnisse über Amris Gefährlichkeit hatte – die allerdings nicht alle gleichermaßen teilten.
Noch in der letzten Sitzung des Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums zum Gefährder Amri in Berlin am 2. November 2016 weisen die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden laut ihrer eigenen Aufzeichnungen und Aussagen auf einen sogenannten Gefahrenüberhang hin, den die Berliner Sicherheitsbehörden nicht teilten. Im Protokoll finden wir dann nur sechs Wochen vor dem Anschlag die fatale Fehleinschätzung – Zitat –: kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar.
Die unterschiedlichen Einschätzungen und die nachweislich schwierige Zusammenarbeit mit den Berliner Sicherheitsbehörden erschwerten die Bearbeitung des Falls „Amri“. Ich nenne das Beispiel „Berliner Busbahnhof“: Als im Februar 2016 Amri dort ankam, baten die NRW-Behörden um Observation. Das LKA Berlin hat erkennungsdienstliche Maßnahmen vorgenommen. Amri wurde so gewarnt, und die VP01 wurde gefährdet.
Mit dem neuen Gefährdereinstufungssystem RADAR-iTE gibt es inzwischen eine bundeseinheitliche Gefährdereinstufung. Auch bei der Registrierung von Geflüchteten wurden mit einem einheitlichen Ankunftsnachweis die notwendigen Konsequenzen aus dem unhaltbaren Zustand von Mehrfachidentitäten und Aliasnamen gezogen.
Wir konnten auch die strukturellen Defizite der damaligen Sicherheitskonferenz im Innenministerium als Schnittstelle zwischen ausländerrechtlichen Angelegenheiten und Sicherheitsfragen aufarbeiten. Sie war nicht optimal aufgestellt. Die daraus resultierenden Probleme sind benannt und dargestellt worden, und Konsequenzen sind gezogen worden.
Inwieweit Fehleinschätzungen, Abstimmungsprobleme oder Organisationsmängel, die wir festgestellt haben, am Ende wirklich ursächlich für den Anschlag waren, oder umgekehrt die Frage: „Hätte man den Anschlag verhindern können und, wenn ja, wie?“, können wir ehrlicherweise bei aller gewissenhaften und gründlichen Aufarbeitung mit einer einfachen Wenn-dann-Ableitung nicht sagen oder beantworten.
Zum Schluss bleibt die Erkenntnis: Auch wenn das Asylverfahren schneller gelaufen wäre, auch wenn die Sicherheitskonferenz im Innenministerium NRW damals der Anregung des LKA gefolgt wäre und eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen hätte, auch wenn noch andere Ausweisungsmöglichkeiten intensiver geprüft worden wären, auch wenn für die Beschaffung von Passersatzpapieren notwendige Handflächenabdrücke schneller besorgt worden wären – all diese Abläufe hätten in jedem Fall besser laufen können; das haben wir dargestellt –, verweigerte am Ende Tunesien die Passersatzpapiere mit der Nichtanerkennung der tunesischen Identität Amris.
Daher war weder eine Abschiebung noch die Verhängung von Abschiebungshaft möglich. Tragischerweise hat Tunesien erst nach dem schrecklichen Anschlag die Konsequenzen gezogen und Rückführungen akzeptiert – zum Beispiel direkt danach bei Bilal Ben Ammar, einer Kontaktperson Amris, die im Februar nach dem Anschlag sehr schnell abgeschoben werden konnte.
Aus den Handlungsempfehlungen möchte ich ähnlich wie die Kollegen ganz besonders die Empfehlung für einen besseren Opferschutz hervorheben. Auch aus dem Bericht des Opferschutzbeauftragten Kurt Beck ist einiges noch nicht umgesetzt worden.
Opfer, egal welcher Herkunft, und deren Angehörige brauchen nach den traumatischen Erlebnissen schnelle und persönliche proaktive Ansprache, Informationen und Unterstützungsangebote. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Denn der Umgang mit den Opfern nach dem Anschlag war völlig unzureichend. Das haben wir im Gespräch noch einmal eindrücklich geschildert bekommen.
Auch ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die sehr gute Zusammenarbeit, natürlich ganz besonders beim Vorsitzenden, vor allem bei unseren Fraktionsreferenten – sie haben Großartiges geleistet und uns sehr gut vorbereitet –, natürlich bei der Landtagsverwaltung – bei Frau Kwast, Herrn Bertling und Herrn Karaoglan – sowie beim Sitzungsdokumentarischen Dienst; auch das war kein leichter Job.
Auch wenn wir am Schluss nicht alle Fragen beantworten konnten und wenn Widersprüche stehen bleiben mussten, war diese Arbeit, die wir den Opfern und Hinterbliebenen schuldig waren, doch richtig und wichtig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das war jetzt auch meine letzte Rede hier im Landtag.
Im Rückblick auf die 22 Jahre hier im Landtag Nordrhein-Westfalen in unterschiedlichsten Funktionen bleibt bei mir vor allem ein Gefühl, und das ist Dankbarkeit. Ich bin dankbar fürs Streiten im besten demokratischen Sinne – das ist nicht immer supergut gelungen, aber meistens doch ganz ordentlich –, aber auch fürs Streiten für den besten Weg, für gute Politik, für die Menschen in unserem Land.
Dankbar – das will ich hier besonders betonen – bin ich aber auch fürs Zusammenstehen, wenn es um die Verteidigung der grundsätzlichen Werte unserer Demokratie, des Parlamentarismus, des Rechtsstaats und der Menschenrechte ging. Leider war dies besonders in dieser Legislaturperiode häufig notwendig. Dieser Konsens der demokratischen Fraktionen ist wertvoll. Er bleibt Auftrag und bleibt nötig.
Auch wenn die Entscheidung, aufzuhören, bei mir eigentlich seit Langem klar ist, ist dann doch etwas Wehmut dabei, das letzte Mal hier am Redepult zu stehen und sich zu verabschieden. Bevor ich jetzt zu rührselig werde, wozu ich aufgrund meiner ostwestfälischen Herkunft eigentlich nicht unbedingt neige, möchte ich mich noch einmal herzlich bedanken und Ihnen alles Gute wünschen. Passen Sie auf unser Land auf! – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen lieben Dank, Frau Kollegin Düker. – Ich glaube, wir alle haben Sie als streitbare, engagierte und an der Sache orientierte Abgeordnete hier im nordrhein-westfälischen Landtag kennenlernen dürfen. Auch Ihnen wünschen wir von Herzen alles erdenklich Liebe und Gute, Glück und Gesundheit sowie viel Energie für den neuen Lebensabschnitt.
(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Eine Reihe von Abgeordneten verabschiedet sich persönlich von Monika Düker [GRÜNE].)