Norwich Rüße: „In anderen Ländern kann tatsächlich Hunger ausbrechen“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Versorgungssicherheit mit Qualitätsgetreide

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass man unterschiedliche Sichtweisen erst einmal akzeptieren und in einem Parlament auch aushalten muss.

Dieses Thema ist aus meiner Sicht auch viel zu ernst, als dass wir es uns nicht leisten sollten, intensiv darüber zu diskutieren und gemeinsam darüber zu streiten, was der richtige Weg ist.

Sie haben einen Antrag vorgelegt. Das ist völlig in Ordnung. Ich finde aber, dass Frau Watermann-Krass genauso gut das Recht hat, ihre andere Sichtweise darzustellen. Darüber muss man sich nicht so empören.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Ich glaube, uns alle hat tatsächlich erst einmal erschüttert, welche Folgen dieser Krieg für das Land hat. Wir wissen heute noch nicht, ob in der Ukraine überhaupt eine Ernte stattfinden kann. Wir wissen natürlich – Herr Höne, da haben Sie völlig recht –, dass das in Teilen dieser Welt zu Hunger führen kann.

Das ist so, ja. Umso mehr hat mich erstaunt, dass in Ihrem Antrag dann die Versorgungssicherheit in Deutschland im Mittelpunkt steht. Warum?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das ist doch nicht nachvollziehbar. Wenn es Ihnen tatsächlich darum geht, die schlimmsten Folgen, die nämlich andere Länder treffen werden – nicht uns, wir müssen etwas mehr bezahlen, das wird so sein – … Aber in anderen Ländern kann tatsächlich Hunger ausbrechen, es zu Unruhen kommen. Wir erinnern uns doch alle daran, wie es im Arabischen Frühling war.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Dann müssen wir gemeinsam darüber diskutieren, welche Möglichkeiten Deutschland, Nordrhein-Westfalen haben, um hier unterstützend tätig zu werden. Und da bin ich von Ihrem Antrag enttäuscht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ihr Antrag spricht im Wesentlichen zwei Punkte an. Der eine Punkt ist 4 % Flächenstilllegung. Da sage ich Ihnen gleich: Wir wissen doch alle, wie die Flächenstilllegung war. Wir haben doch Erfahrung damit. 4 % Flächenstilllegung heißt doch nicht 4 % weniger Ertrag. Es ist doch ganz klar, welche Flächen stillgelegt werden: entlang von Wäldern, sumpfige Flächen, wo man sagt, da will ich sowieso nicht so gerne ackern. Sie werden dadurch gar nicht so viel gewinnen. Das ist auch mittlerweile berechnet, Frau Winkelmann. Deshalb ist das nicht unbedingt ein Punkt, der wirklich viel bringt.

Besonders spannend finde ich aber das einjährige Moratorium für die Umsetzung der Düngeverordnung. Da fragt man sich als allererstes: Wir reden in Deutschland, in Europa darüber: Haben wir überhaupt genügend Düngemittel? Das heißt, es könnte sein, dass das, was Sie wollen, mehr düngen, praktisch gar nicht passieren wird.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Und dann ist die Frage an der Stelle, wenn wir das machen würden: Müssen wir das überhaupt machen? In Deutschland sind 80 % des Weizens backfähiger Weizen. Aber nur 30 % davon werden tatsächlich zum Backen verwendet. Das heißt, Sie haben da ein Delta, das in den Schweinetrog kommt und nicht verbacken wird.

Ich hätte in diesem Antrag erwartet, dass Sie etwas vorlegen, wodass Sie sagen: Wir gucken mal, wie wir aus dieser jetzt schon zu erwartenden Ernte 2022 etwas herausziehen können, dem Trog entziehen können, einlagern für die Menschen in Ländern, in denen Hunger herrscht,

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

und nicht auf die Ernte abzielen 2023. Das ist zu wenig an der Stelle. So geht das nicht.

Ich sage Ihnen auch, was mich wirklich geärgert hat. Als wir die Fraktionssitzung hatten, haben wir von den anderen Fraktionen die Anträge zugestellt bekommen, damit wir sie schnell haben, um damit umzugehen. Wir können in den Fraktionen bestimmen: Wer macht was? Ich gucke da auch immer rein.

Dann sehe ich – deshalb hat Frau Watermann-Krass nämlich recht – den Dateinamen dieses Antrags. Und dieser Name hieß nicht etwa „Antrag Welternährung“, „Antrag Krise Ukraine“ – so hätte ich den genannt –, sondern „Antrag Düngeverordnung“. So haben wir den gekriegt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Das sagt doch alles aus, was Ihnen wirklich wichtig war an der Stelle. Ihnen war wichtig, Düngeverordnung, 4 % Flächenstilllegung. In Wirklichkeit wollen Sie sich bei den Bäuerinnen und Bauern gerade auch vom LsV beliebt machen. Da wollen Sie sich einschmeicheln. Darum geht es Ihnen im Kern.

Ich stehe nicht zu dem, was Sie politisch bis vor wenigen Monaten mitverantwortet haben und was Sie in Teilen sogar richtig gemacht haben. Warum können Sie das nicht? Warum tun Sie das nicht? Das ist aus meiner Sicht völlig unverständlich.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege Rüße.

Norwich Rüße (GRÜNE): Sie hätten andere Wege gehen können. Sie hätten mehr vorschlagen müssen. Warum nicht weniger tierische Produkte, was ich eben gesagt habe? Warum ist da nichts gekommen? Warum schlagen Sie nicht vor, dass Deutschland massiv mehr Geld reingeben soll in das Welternährungsprogramm, damit da der Ankauf möglich ist? Warum tun Sie das nicht in dem Antrag?

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Herr Kollege.

Norwich Rüße (GRÜNE): Und weil der Antrag so ist, wie er ist, müssen wir ihn ablehnen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Jetzt ist die Redezeit natürlich deutlich überschritten. Ich habe schon etwas länger versucht, Sie zu unterbrechen, weil es den Wunsch nach einer Zwischenfrage von der Kollegin Winkelmann gibt. Insofern frage ich, ob Sie diese noch zulassen wollen.

Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, gerne.

Vizepräsidentin Angela Freimuth: So.

Bianca Winkelmann (CDU): Danke schön, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen bzw. die Frage am Ende Ihrer Rede zugelassen haben.

Nur um das hier noch einmal klarzustellen: Geben Sie mir recht, dass der Antrag, über den wir gerade gesprochen haben, „Krieg in der Ukraine – Versorgungssicherheit mit Qualitätsgetreide jetzt im Blick behalten“ heißt?

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Ha, ha, ha!)

Norwich Rüße (GRÜNE): Das ist der große Unterschied zwischen der Überschrift eines Antrags und dem, was ich gesagt habe, Dateinamen. Ihr Antrag hatte als Dateiname „Antrag Düngeverordnung“.

(Zurufe von Bianca Winkelmann [CDU] und Daniel Sieveke [CDU])

Das, Frau Winkelmann, war sehr entlarvend, weil es deutlich gezeigt hat, was im Mittelpunkt Ihres Antrags und Ihres Begehrens steht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

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