Matthi Bolte-Richter: „Sie hätten fünf Jahre dafür Zeit gehabt“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Digitalisierung in ländlichen Regionen

Matthi Bolte-Richter (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wieder einmal haben sich die Abgeordneten Kolleginnen und Kollegen der regierungstragenden Fraktionen dafür entschieden, lieber hier als 100 Pressesprecher*innen der Landesregierung aufzutreten, statt sich auf wirkliche Politik für die Digitalisierung oder die ländlichen Räume zu konzentrieren.

In diesem Antrag beschreiben Sie – das hat Kollege René Schneider gerade schon ausgeführt – ein paar Projekte, die sich andere im Land ausgedacht haben und die dann durchgeführt wurden. Eigentlich benennen Sie konkret nur Sachen im Verkehrsbereich und einen Antrag, den Sie hier vor sieben Monaten eingebracht haben und aus dem bislang nichts gefolgt ist.

Auf viel Lyrik folgt noch mehr Lyrik, aber nichts Konkretes darüber, wo die Landesregierung die Digitalisierung in den ländlichen Räumen spürbar vorangebracht hätte.

Über diese intelligenten Digitalisierungskonzepte für die ländlichen Regionen, die Sie im Antrag von der Landesregierung fordern, habe ich schon gedacht: Na ja, wenn man das ganz zum Ende einer Legislatur fordert, dann hat man vielleicht irgendetwas nicht so richtig verstanden. Denn eigentlich macht man die Konzepte am Anfang und setzt sie dann um, wenn man regiert – nicht umgekehrt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Aber vielleicht erklären Sie uns, wie es dazu gekommen ist. Sie hätten jedenfalls fünf Jahre dafür Zeit gehabt.

Best Practice ist Vernetzen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Sie wollen auf bewährte und nun wirklich bekannte Programme wie LEADER aufmerksam machen – als ob die Leute vor Ort nicht wüssten, dass es diese Projekte gibt.

Viele Projekte, die Sie nennen, sind tatsächlich im ländlichen Raum – das stimmt. Dass es ein paar Projekte gibt, die im ländlichen Raum stattfinden, liegt aber auch ein Stück weit in der Natur der Sache, wenn zwei Drittel der Menschen in NRW im kreisangehörigen Raum leben. Dass dann, wenn ich Digitalisierungsprojekte auflege, davon auch etwas im ländlichen Raum ankommt, ist eher eine Selbstverständlichkeit als die Behauptung, dass es eine Digitalisierungsstrategie für den ländlichen Raum wäre oder gar ein integriertes Handlungskonzept, bei dem die verschiedenen Herausforderungen zusammengedacht werden. Das sieht man an dieser Stelle wirklich ganz deutlich.

Jenseits der ganzen formalen Sachen, die ich bisher angesprochen habe, ist in diesem Antrag ganz deutlich zu sehen, dass Sie alle Zukunftsfragen des ländlichen Raums mit diesem Papier ausklammern. Es geht nämlich um attraktive Arbeitsplätze vor Ort.

Sie haben hier vor über einem halben Jahr einen Antrag eingebracht, in dem Sie einen Prüfantrag dazu formuliert haben, ob nicht die Mitarbeiter*innen der öffentlichen Verwaltung irgendwann, eines Tages einmal, vielleicht in einem Coworking Space arbeiten könnten. Seitdem haben wir davon nichts mehr gehört.

Andere Länder wie zum Beispiel Schleswig-Holstein sind da schon längst weiter. In Schleswig-Holstein ist das Ganze bereits lange am Netz. Die Landesbediensteten können dort in landesgeförderten Coworking Spaces arbeiten, während man im MWIDE noch im Prüfungsauftragsarbeitskreis den Kaffee kocht.

Natürlich gibt es auch noch andere attraktive Arbeitsplätze als den öffentlichen Dienst. Auch da hätten Sie mal aktiv werden können, um gezielt Coworking-Kapazitäten im ländlichen Raum voranzubringen; gerne übrigens auch – dies ist vor allem für Gründerinnen ein Thema – in Anbindung an Kinderbetreuung. Damit wäre den ländlichen Regionen sicherlich mehr geholfen als mit dieser Lyriksammlung.

Das Thema „Logistik“ wird überhaupt nicht adressiert. Dabei ist es doch zentral, um in einer sich wandelnden Welt und einem sich für den Handel wandelnden Umfeld Perspektiven für die ländlichen Gebiete zu schaffen. Digitale Lösungen schaffen Versorgungsmöglichkeiten, wo sich der Einzelhandel immer mehr aus der Fläche zurückzieht. Neue Lieferkonzepte werden möglich. Nichts davon findet sich in Ihrem Text, nichts davon in Ihrem Regierungshandeln.

Genauso ist es bei der Energiewende. Die zentrale Dimension der Transformation wird bei Ihnen einfach mal ignoriert. Da lohnt sich auch ein Blick nach Schleswig-Holstein, weil der Windenergieausbau dort einer der zentralen Treiber der Glasfaserinfrastruktur war, und zwar gerade in den ländlichen Regionen. Dort ist es nämlich genau andersherum als bei uns: Der Glasfaserausbau ist in den ländlichen Regionen viel weiter als in den städtischen Gebieten, weil die Glasfaser genau da notwendig ist, wo innerhalb kürzester Zeiträume Anlagen gesteuert werden müssen.

Vielleicht hat auch der Feldzug der fossilen Ideologen von der FDP gegen die Windenergie hier in NRW damit zu tun, dass Sie in Ihrer Regierungszeit nur 8 % Glasfaser zugebaut haben.

(Beifall von den GRÜNEN – Lachen von Rainer Matheisen [FDP])

Herr Minister Pinkwart, ein Thema, bei dem wir uns an vielen Stellen durchaus einig sind, ist die Start-up-Förderung. Aber auch das gehört natürlich in einen solchen Antrag hinein, wenn wir über ländliche Räume sprechen. Aber es findet sich kein Wort zur Start-up-Kultur im ländlichen Raum.

Die wirtschaftliche Stärke des ländlichen Raums ergibt sich aus dem starken Mittelstand. Darüber sind wir uns doch einig. Aber auch dieser Mittelstand gerät durch die Digitalisierung massiv unter Druck. Er kann in Kooperation mit Start-ups auf den Zukunftskurs gebracht werden. Dort können zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen, gerade auch für Hochqualifizierte, die sonst abwandern. Auch dazu kommt wieder einmal nichts vor.

Bei Herrn Professor Pinkwart gab es mal das Rheinland Valley; da sollte das Rheinland auch nur aus Metropolen bestehen. Gucken Sie sich einfach mal im Land um. Dann werden Sie sehen, dass hier viel mehr Potenzial vorhanden ist.

Ich weiß wirklich nicht, was Sie sich von diesem Antrag versprechen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass er nichts, aber auch wirklich gar nichts nach vorne bringt – erst recht nicht für die Menschen in den ländlichen Regionen.

(Beifall von den GRÜNEN)