Monika Düker: „Es muss jetzt weiter daran gearbeitet werden, unsere Sicherheitsarchitektur und den Opferschutz zu verbessern“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN zum Anschlag am Berliner Breitscheidplatz 2016

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute den Opfern des Terroranschlags vom 19. Dezember 2016 gedenken, dann fällt, so denke ich, vielen von uns die Situation ein, in der wir von dem Anschlag erfahren haben und in der sich die Informationslage nach und nach verdichtete, dass es kein Unfall war, sondern der schlimmste islamistische Anschlag in Deutschland. Uns fällt außerdem das Entsetzen ein, das uns bei den Bildern vom Breitscheidplatz befiel.

Später sagte uns der damalige LKA-Chef im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, die ersten Gedanken seiner Mitarbeiter seien gewesen: Hoffentlich war es nicht der Amri. – Das heißt: Die Sicherheitsbehörden hatten den Attentäter auf dem Schirm.

Im Untersuchungsausschuss suchen wir daher Antworten auf die zentrale Frage, warum es nicht gelang, den Anschlag zu verhindern, und warum die Sicherheitsbehörden noch am 2. November, sechs Wochen vor dem Anschlag, in der Sitzung des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums in Berlin zum Gefährder Anis Amri bilanzierten: kein konkreter Gefährdungssachverhalt erkennbar.

Wir haben in der letzten Legislaturperiode drei Monate lang und seit Beginn dieser Legislaturperiode an diesen Fragen gearbeitet. Wir widmen uns dieser Aufgabe der Aufarbeitung im Ausschuss intensiv.

Auch wenn wir sicher nicht alle Fragen abschließend werden beantworten können, ist es doch unser gemeinsames Ziel, mit dem Bericht, den wir demnächst vorlegen werden, einen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten und, so noch nicht geschehen, Verbesserungen anzustoßen.

Ich will dem Bericht nicht vorgreifen. Die Arbeit daran läuft. Mein Ziel und das Ziel aller demokratischen Fraktionen ist, mit einem gemeinsamen Bericht ein starkes Signal zu senden; denn das sind wir den Opfern schuldig.

Mich persönlich hat erschüttert, am Montag in der Dokumentation in der ARD von der immer noch starken Verbitterung der Opfer und Hinterbliebenen zu hören. Für sie ist das Geschehene nicht aufgearbeitet und nicht verarbeitet.

Der Opferschutzbeauftragte der Bundesregierung Kurt Beck hat uns am 17.09.2021 im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eindrücklich von seiner Arbeit und von den intensiven Begegnungen mit den Opfern und Angehörigen berichtet und darüber, wie wichtig die direkte persönliche Ansprache war und ist. Ich zitiere aus seinem Bericht im Ausschussprotokoll 17/1555 vom 17.09.2021:

„Der Mann war im Sicherheitsdienst des Berliner Flughafens beschäftigt und konnte nach dem Ereignis diese Tätigkeit nicht mehr ausüben. Er konnte in keinen Bus, in keine U-Bahn mehr steigen, weil sofort schwerste psychische Beeinträchtigungen entstanden sind. Das ist mir mit seiner Zustimmung auch von dem Psychiater bestätigt worden. Man muss hin zu den Leuten. Ein Internetangebot kann ergänzend helfen, aber solche Dinge offenbart man nicht am Bildschirm und auch nicht in irgendeinem Büro. Da muss man zu den Leuten hin.“

Es braucht solche Opferschutzbeauftragte, die nach einer Tat Kontakt aufnehmen. Es braucht diese Ansprache, und es braucht ein Netz von Anlaufstellen wie Traumaambulanzen und anderen Opferschutzeinrichtungen. Leider sind die Empfehlungen aus dem Bericht von Kurt Beck aber immer noch nicht umgesetzt. Ich hoffe und kann nur in Richtung Berlin appellieren, dass das nicht in Vergessenheit gerät, sondern weiter daran gearbeitet wird, daraus Konsequenzen für einen verbesserten Opferschutz zu ziehen.

Die politische Aufarbeitung des Anschlags ist aus der Opferperspektive aber ebenfalls wichtig, um das Geschehene verarbeiten zu können. Auch dazu ein Zitat von Kurt Beck aus seinem Bericht im Ausschuss. Ich zitiere:

„… zu wissen, es wird auch nicht unter den Teppich gekehrt, sondern aufgeklärt, so gut man immer nur aufklären kann, darf man, wie ich gelernt habe, aus Opfersicht argumentiert, nicht gering schätzen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehörte dem Untersuchungsausschuss in der letzten Wahlperiode an, und ich gehöre ihm in dieser Legislaturperiode an. Ich kann deshalb auch sagen, dass wir dort seit fast fünf Jahren daran arbeiten, um genau das zu machen, nämlich einen Beitrag zur Aufarbeitung zu leisten und die Dinge schonungslos auf den Tisch zu legen. Was ist schiefgelaufen? Wo gab es Kommunikationsprobleme und Widersprüche?

Diese Arbeit endet hoffentlich bald mit einem gemeinsamen Bericht, und ich hoffe, damit dann ein wichtiges Signal an die Opfer aus Nordrhein-Westfalen senden zu können: Wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben alles dafür getan, diesen Anschlag aufzuarbeiten und mit einem Bericht die Fehler, die passiert sind, zu benennen, auch wenn wir am Ende wahrscheinlich nicht sagen können – wobei ich nicht vorgreifen will –, dass sich der Anschlag hätte verhindern lassen, wenn dieses oder jenes an dieser Stelle passiert wäre. Soweit werden wir nicht bilanzieren werden können, allerdings ist es wichtig, Fehler aufzudecken.

Es wurden bereits viele Verbesserungen umgesetzt, und es muss jetzt weiter daran gearbeitet werden, unsere Sicherheitsarchitektur und den Opferschutz zu verbessern. Ich hoffe, dass unser Bericht dazu viele Impulse geben wird. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU, der SPD und der FDP)